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Die derzeit diskutierte Reform der Düngeverordnung reicht diesen Demonstranten vor dem Landwirtschaftsministerium nicht aus. Am 5. Januar machten sie sich an die Arbeit, um dem Gülleüberschuss beizukommen.

© Rainer Jensen/dpa

Stickstoff in der Umwelt: Wo der Dünger bleibt

Der Einsatz von Stickstoff hat die Erträge in der Landwirtschaft vervielfacht und das Grundwasser belastet. Eine Lösung: Bauern sollen Buch führen.

Stickstoff war der Treibstoff der sogenannten grünen Revolution. Durch den massenhaften Einsatz von Stickstoff-Dünger sind die landwirtschaftlichen Erträge weltweit dramatisch erhöht worden. Doch diese Strategie der Überdüngung „hat unerwünschte Nebenwirkungen“, sagt Heidi Foth, Professorin an der Universität Halle-Wittenberg und Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU). Foth stellte das Sondergutachten „Stickstoff: Lösungsstrategien für ein drängendes Umweltproblem“ vor, das der Rat am Mittwoch Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) übergeben hat. Knapp 100 Jahre nach der Entwicklung des ersten technischen Verfahrens zur Herstellung von Kunstdünger seien die Folgen für die „menschliche Gesundheit, die Umwelt, das Wasser, die Luft und für das Klima sichtbar“, sagte Foth.

Trotz klarer rechtlicher Vorgaben, was den Stickoxid-Gehalt in der Luft oder den Nitrat-Gehalt in Gewässern betrifft, „werden diese Ziele nicht eingehalten“, stellt Foth fest. In Ballungsräumen übersteigen die Stickstoffoxide aus Autoabgasen die Grenzwerte ziemlich durchgehend. Schon deshalb bedauert es Foths Ratskollegin, die Bonner Professorin für Umweltökonomie, Karin Holm-Müller, dass die Europäische Kommission entschieden hat, die schon weitgehend erarbeiteten neuen Luftreinhalte-Verordnungen in Brüssel auf die lange Bank zu schieben. Die Luftbelastung trage zu Lungenkrankheiten bei, berichtet Heidi Foth. Zu hohe Nitratwerte in Gemüse werden im Körper zu Nitrit abgebaut, die im Verdacht stehen, Krebs auslösen zu können.

Immer mehr tote Zonen in der Ostsee

Dass es in der Ostsee „jedes Jahr mehr tote Zonen ohne Sauerstoff im Wasser“ gibt, ist nach Einschätzung des Frankfurter Zoodirektors Professor Manfred Niekisch vor allem auf die Überdüngung zurückzuführen. Heide Foth berichtete, dass auf die meisten Felder mehr Gülle ausgebracht wird, als die Böden aufnehmen könnten. Der Überschuss gehe direkt ins Grundwasser, denn Nitrat ist wasserlöslich. Und deshalb ist es für die Wasserwerke auch ein sehr problematischer Stoff, dem technisch kaum beizukommen ist. Vor allem in Gebieten mit hohen Nutzviehbeständen, wie im Schweinegürtel in Westfalen und Niedersachsen übersteigt das Gülleaufkommen die Aufnahmefähigkeit der Böden um ein Vielfaches. Dort sind inzwischen auch immer mehr Trinkwasserquellen zu stark mit Nitrat belastet.

Den Wasserwerken bleibt dann wenig anderes übrig, als neue Trinkwasserquellen zu erschließen und das Wasser so lange zu mischen, bis die Grenzwerte eingehalten werden. In einigen besonders belasteten Gebieten wird es allerdings immer schwerer noch unbelastete Trinkwasserquellen zu finden. Um die Trinkwasserquellen zu schützen, werden inzwischen aus Gebieten mit hohen Viehdichten mehr und mehr Gülle-Lastwagen losgeschickt, um die nitrathaltige Fracht auf weniger belasteten Böden auszubringen. Der Stickstoffüberschuss auf den Böden ist aber auch ein Klimaproblem. Überdüngung führt zur Bildung von Lachgas, einem hoch potenten Treibhausgas.

Probleme für die Artenvielfalt

Für die Artenvielfalt ist die massenhafte Überdüngung ein weiterer Stressfaktor. Magerrasen, der sich durch geringe Stickstoffwerte und eine hohe Artenvielfalt auszeichnet, ist inzwischen fast überall Mangelware, bedauert Niekisch. Er nennt als akut durch den Stickstoffüberschuss gefährdete Lebensräume Binnenseen, kleine Gewässer, die Wacholderheide, Moore, Dünen aber selbst Ackerrandstreifen. Wenn dort keine Blühpflanzen mehr sprießen, sieht es aus wie in weiten Teilen Brandenburgs, wo keine Insekten mehr summen, kaum noch Vögel zu finden sind und die Landschaft wie ausgeräumt wirkt.

Problemfall Landwirtschaft

Der SRU hat acht Handlungsfelder identifiziert, in denen dringend etwas geschehen müsste, um die Stickstoffbelastung zu senken. Der Hauptverursacher, die Landwirtschaft, müsste den größten Beitrag zur Lösung des Problems leisten, argumentiert Karin Müller-Holm. Einen Ansatzpunkt biete die Dünge-Verordnung, die gerade diskutiert wird. Im Dezember hat das Landwirtschaftsministerium nach wochenlangen Verhandlungen mit dem Umweltministerium einen Entwurf für die Verordnung vorgelegt. Im Februar soll das Kabinett die Verordnung verabschieden. Die Dünge-Verordnung soll dazu beitragen, dass die Überdüngung vermindert wird. Dazu beitragen soll auch eine bessere Buchführung über die Stickstoffbilanz von Betrieben. Die Hoftorbilanz, die schon seit Anfang der 2000er Jahre diskutiert wird, soll allerdings frühestens 2018 und auch nur für wenige Großbetriebe kommen. Damit ist gemeint, dass die landwirtschaftlichen Betriebe genau darüber Buch führen müssen, wie viel Stickstoff oder andere Nährstoffe in ihren Hof reingehen, und wie viel Stickstoff den Hof wieder verlässt. Bisher machen die Bauern eine Kalkulation, die selbst erzeugte Futtermittel mit einkalkuliert, mit dem Ergebnis, dass sich rechnerisch kaum ein Stickstoffüberschuss ergibt. Faktisch sei er aber da, argumentiert Heide Foth.

Die Regierungsberater wollen einen höheren Mehrwertsteuersatz für Fleisch

Der verminderte Steuersatz für Dieselfahrzeuge sollte aus Sicht des SRU ebenfalls aufgegeben werden, weil es vor allem Dieselmotoren seien, die zur Stickstoffoxidbelastung in den Städten beitrage. Zudem seien die Dieselfahrzeuge für einen Großteil der ebenfalls gesundheitsschädlichen Feinstaubbelastung verantwortlich. Den verminderten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent auf Fleisch oder andere tierische Produkte finden die Umweltweisen angesichts der Stickstoffprobleme der Massentierhaltung und der Klimawirkung der Fleischproduktion ebenfalls völlig verfehlt. Sie empfehlen, auf tierische Produkte den vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent zu erheben. Außerdem schlagen sie eine Stickstoffabgabe für die landwirtschaftlichen Betriebe vor, um auch einen „ökonomischen Anreiz“ zur Minderung des Stickstoffüberschusses zu haben. Am wichtigsten findet Manfred Niekisch aber die „Erarbeitung einer umfassenden Stickstoffminderungsstrategie“. Das Problem habe viele Ursachen. Am unmittelbarsten leiden die Wasserwerke unter der Entwicklung. Aber die Probleme seien so vielfältig wie die Verursacher der Probleme. Doch die Zuständigkeiten seien zersplittert und häufig unklar. Auch deshalb seien die Stickstoffziele der Wasserrahmenrichtlinie und der Luftreinhalteverordnung nicht erreicht worden, analysiert Niekisch.

In Fachkreisen wird das Thema heiß diskutiert

Der SRU hat den richtigen Zeitpunkt für sein Gutachten erwischt. Das Problembewusstsein steigt gerade weltweit. Das Umweltbundesamt hat fast zeitgleich eine Analyse über die Umweltprobleme, die Stickstoffverbindungen verursachen, vorgelegt. Die Wasserbetriebe arbeiten im ganzen Land an Strategien, die Phosphat- und Nitratgehalte im Abwasser in den Griff zu bekommen, auch wenn das alles noch im Versuchsstadium ist. Und 2015 hätten die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie erreicht werden sollen, und wegen der Nicht-Einhaltung der Stickstoff-Verordnung läuft ohnehin schon ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland, das die EU-Kommission im vergangenen Jahr in Gang gesetzt hat. Dass der Stickstoff ein „drängendes Umweltproblem“ ist, hat sich zumindest in den Fachkreisen herumgesprochen.

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