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Ein bisschen lächeln für die Kohle: Die Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (Sachsen, links) und Dietmar Woidke (Brandenburg, rechts) hoffen ebenso wie Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis von der IG BCE auf einen langwierigen Ausstieg.

© dpa/Bernd Settnik

Standortkonferenz der IGBCE: Sonderwirtschaftschaftszone Lausitz

Was wird aus der Region ohne die Braunkohle? Politiker und Berater diskutieren über die Potenziale.

Im ICE von Berlin nach Weißwasser in 45 Minuten, das wünscht sich der sächsische Ministerpräsident. Vorrang beim Aufbau des schnellen 5-G-Mobilfunkstandards, dafür plädiert der Regierungschef aus Potsdam. Vielleicht braucht die Region aber auch den Status einer Sonderwirtschaftszone, wie ein Politik- und Unternehmensberater meint. Auf einer Standortkonferenz Lausitz wurde am Dienstag in Cottbus über die Zukunft geredet. Aber nicht nur. Michael Kretschmer und Dietmar Woidke bemühten die Vergangenheit, um daraus Argumente für einen möglichst späten Ausstieg aus der Braunkohle abzuleiten.

"80 Prozent der Menschen, die hier 1989 in Lohn und Brot waren, mussten nach der Wende mindestens einen neuen Beruf lernen", erinnerte Woidke, der aus der Lausitz stammt, an den dramatischen Zusammenbruch der Ostwirtschaft. Und damit sich das nicht wiederholt "brauchen wir 25 bis 30 Jahre, um zuverlässige Alternativen zu schaffen". An diesen langen Zeitraum glaubt der brandenburgische SPD-Politiker aber vermutlich selber nicht; in der Kohlekommission der Bundesregierung wird über ein Datum in der zweiten Hälfte der 2030er Jahre diskutiert. Und wenn es nach den Klimaschützern geht, dann ist spätestens 2030 Schluss mit der Verstromung der Braunkohle aus der Lausitz und dem Rheinland, wo gerade der Hambacher Forst für weitere Tagebaue geräumt wird.

Das ist tief im Westen, wo die Kohle auch gute Arbeitsplätze bietet, aber wo die Region nicht so abhängig ist von diesem Energieträger wie in der Lausitz. Die ganze Diskussion über das Ende der Kohle "wirkt unglaublich deprimierend auf die Menschen vor Ort", berichtete Sachsens Regierungschef Kretschmer. 1,5 Milliarden Euro Umsatz erwirtschafte die Braunkohle jedes Jahr allein in der Lausitz. Wenn diese Wertschöpfung weg sei und durch neue Unternehmen kompensiert werden solle, brauche man für deren Ansiedlung 30 Jahre, rechnete der CDU-Politiker vor. Das wäre dann also irgendwann Ende der 2040er.

Alles Quatsch, meinte Hans Gerd Prodoehl. Der Politik- und Unternehmensberater meint, die Politikfelder Kohleausstieg und Strukturwandel müssten entkoppelt werden, um mit der Zukunft beginnen zu können. Von Prodoehl, der 17 Jahre als Wirtschaftsförderer in der nordrhein-westfälischen Landesregierung gearbeitet hat, stammt die Idee mit der Sonderwirtschaftszone. Der polnische Staat etwa schaffe besondere Bedingungen in 14 dieser Zonen, und bei den Briten gebe es sogar 36 davon. Infrastruktur wird hier vorrangig ausgebaut, die Verwaltung agiert wirtschaftsfreundlich, Genehmigungen gibt es flott und Transformationsfonds stehen auch bereit. "Doch Geld hat noch nie Strukturwandel geschafft", sagte Prodoehl. Das machen Menschen.

Sowohl Prodoehl als auch Michael Widmer von der Bank of America Merrill Lynch betonten die Notwendigkeit einer "verbesserten Demografie": Die einst marode Metropole Pittsburgh sei mit Hilfe einer modernen öffentlichen Infrastruktur zu einer der lebenswertesten Städte in den USA geworden. Solche Städte ziehen junge Talente an. Also Cottbus gleich Pittsburgh? Prodoehl regte einen Architektenwettbewerb für die Lausitz an, um mit attraktiven Wohnkonzepten die Region als "Komplementärstandort für Dresden und Berlin" zu profilieren. Das werde indes nur funktionieren mit einem "unternehmerischen Staat", der Innovationen vorantreibt und Märkte gestaltet. Prodoehl sprach von "Airbus II" und "Galileo II". Naheliegender ist vermutlich die Ansiedlung des Unternehmens, das für den Bund die Pkw-Maut eintreiben soll - warum nicht in der Lausitz? Doch wer beteiligt sich sozusagen im Interesse der Lausitz an der gegenwärtig laufenden Ausschreibung?

Die "Zukunft Lausitz AG" jedenfalls nicht. Weil es sie nicht gibt. Stattdessen ein "Dschungel an Institutionen", in dem sich in beiden Bundesländern alle möglichen Akteure mit Wirtschaftsförderung befassen, wie Prodoehl kritisierte. Stattdessen eine AG mit einem Vorstand statt Verwaltern, das signalisiere Investoren "klare politische Führung" und einen Ansprechpartner für alle Belange. "Die Zusammenarbeit funktioniert noch nicht gut", stimmte Klaus Freytag zu. Es seien "zu viele Akteure unterwegs", sagte der Lausitz-Beauftragte des brandenburgischen Ministerpräsidenten. Barbara Meyer dagegen aus dem sächsischen Wirtschaftsministerium findet gerade das gut. "Wir brauchen einen Leitbildprozess, um die Bevölkerung mitzunehmen". Das hört sich nach viel Zeit an.

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