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Japans Premier Shinzo Abe

© dpa

Staatsverschuldung wächst: Japan zahlt für Abenomics hohen Preis

Eine höhere Mehrwertsteuer soll beim Schuldenabbau helfen. Doch der wirtschaftsliberale Premier Abe zögert.

Tokio - Shinzo Abe versucht es sich leicht zu machen. Unermüdlich betet der japanische Premierminister die Grundbegriffe seiner Wirtschaftspolitik herunter. Mit Staatsausgaben, lockerer Geldpolitik und Wachstumsreformen werde Japan nach zwei Jahrzehnten ökonomischen Stillstands endlich wieder wachsen. Dazu müsse man nur seine Liberaldemokratische Partei (LDP) wählen. Das haben die Japaner getan – seit Sonntag hat seine Koalition die Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments.

Abe hat nun also freie Hand, kommt aber um eine unangenehme Kleinigkeit auch nicht mehr herum. Er muss den Japanern sagen, ob er die längst beschlossene Erhöhung der Mehrwertsteuer umsetzt – oder zurückzieht. Nach einer Entscheidung vom vergangenen Jahr soll Japans Abgabe auf Konsum im April 2014 von fünf auf acht Prozent und in einem späteren Schritt auf zehn Prozent steigen. Diverse Ökonomen fordern das seit langem. Denn mit rund 240 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ist Japan die mit großem Abstand am höchsten verschuldete Industrienation der Welt.

Aber seit Shinzo Abe im Dezember ins Amt gewählt wurde, stellte er wiederholt in Aussicht, die Steuer vielleicht doch nicht anzuheben. Noch in der Opposition hatte seine LDP unter anderem mit der Zustimmung zu diesem Beschluss verfrühte Wahlen herausgeschlagen, die die Partei schließlich gewann. Seither betont Abe stets, er wolle erst abwarten, wie sich die japanische Wirtschaft entwickle. Habe sich bis zum Sommer keine merkliche Besserung eingestellt, werde er nicht zögern, die Steuererhöhung einfach auszusetzen.

Seit Anfang der 90er Jahre eine Spekulationsblase platzte, ist Japans Wirtschaft praktisch nicht mehr gewachsen. Das heutige Bruttoinlandsprodukt ist in etwa so hoch wie das von 1994, die Einkommen sind in den vergangenen Jahren tendenziell gesunken. Immer wieder hat das Land auch mit fallenden Preise zu kämpfen. Erwarten Verbraucher und Firmen auch für die Zukunft ein sinkendes Preisniveau, schieben sie größere Investitionen hinaus.

In seinem ersten halben Jahr im Amt hat Abe, der Japan bereits zwischen 2006 und 2007 regierte, mehrere Schritte für eine Wiederbelebung unternommen. Seine als „Abenomics“ bekannte Wirtschaftspolitik besteht aus Konjunkturprogrammen, einer sehr lockeren Geldpolitik und wachstumsorientierten Reformen. Im ersten Quartal ist Japans Wirtschaft daraufhin um (aufs Jahr hochgerechnete) 4,1 Prozent gewachsen, nachdem es Ende vergangenen Jahres noch in einer Rezession gesteckt hatte. Im Mai fielen erstmals seit sieben Monaten die Preise nicht mehr. Der Aktienleitindex Nikkei hat in diesem Jahr rund 40 Prozent zugelegt, der Wert des Yen ist um mehr als 20 Prozent gegenüber dem US-Dollar gefallen – gute Signale für die Exportwirtschaft.

Zwar deuten die Daten darauf hin, dass sich das Land in jene Richtung bewegt, die Abe als Bedingung für eine höhere Mehrwertsteuer genannt hat. Nur besteht gleichzeitig die Befürchtung, dass eine höhere Steuer die bisherigen Erfolge zunichte machen könnte. Das Büro des Premierministers schätzt, dass jede Anhebung um einen Prozentpunkt ein halbes Prozent Wirtschaftsleistung kosten würde. Takatoshi Ito, Professor an der Universität Tokio und mehrfacher Anwärter auf den Posten des japanischen Zentralbankchefs, hält den Schritt dennoch für unvermeidlich. „Wird die Steuer nicht drastisch angehoben, steuert Japan früher oder später auf eine Schuldenkrise zu.“ Nur ginge selbst die Anhebung auf zehn Prozent nicht weit genug: Die Konjunkturprogramme – zuletzt in Höhe von 20,2 Billionen Yen (156 Milliarden Euro) – blähen die Schulden weiter auf. Allein für die Stabilisierung dieser Last wären nach Studien von Volkswirten Erhöhungen um bis zu 31 Prozent nötig. Bisher hat sich Japan vor allem im Inland verschuldet. Steigen die Staatsschulden aber weiter, ist es nur eine Frage der Zeit, bis Geld im Ausland geliehen werden muss. Dort dürfte man bei einem derart hohen Schuldenstand auch höhere Zinsen verlangen. Eine Schuldenkrise wäre dann nicht auszuschließen. Nach Berechnungen des Japan Center for Economic Research könnten die Zinsen zehnjähriger Anleihen schon in sechs Jahren auf zehn Prozent ansteigen.

Dass die Mehrwertsteuer daher früher oder später angehoben werden muss, wird von kaum jemandem bezweifelt. Für die Verbraucher hat die Debatte einen bitteren Beigeschmack. Nicht nur sind ihre Einkommen lange nicht mehr gestiegen. Im letzten Jahr senkte die Regierung auch die Steuern auf Unternehmenserträge – und erwägt derzeit einen weiteren Nachlass. Felix Lill

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