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Streu im Stall, Platz und mehr Zeit bei der Mutter: Ferkel sollen es künftig besser haben - zumindest, wenn der Bauer das staatliche Tierwohllabel will.

© picture alliance / dpa

Staatliches Tierwohllabel: Wie Julia Klöckner das Leben der Schweine verbessern will

2020 will die Ministerin das neue Staatslabel auf den Markt bringen. Doch Kritiker sagen: Ohne schärfere Gesetze ändert sich am Tierleid nichts.

Die Uhr tickt. Seit Dienstag zählen Aktivisten von Greenpeace, wie viele Schweine in Deutschland gequält werden. Ferkel, denen vorsorglich die Ringelschwänzchen abgeschnitten werden, damit sie diese ihren Artgenossen später nicht in den engen Ställen abfressen. Oder die ihre Männlichkeit schon wenige Tage nach der Geburt – ohne Betäubung – verlieren. Bis Mittwoch morgen, kurz vor elf, sind es mehr als 145.000 Tiere, die der "Tierleidzähler" nach einem Tag und gut zehn Stunden anzeigt.

Aktion vor dem Bundesagrarministerium: Seit Dienstag zählt Greenpeace gequälte Ferkel.
Aktion vor dem Bundesagrarministerium: Seit Dienstag zählt Greenpeace gequälte Ferkel.

© imago/Mike Schmidt

Mit der Aktion vor dem Bundesagrarministerin in Berlin will Greenpeace Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner unter Druck setzen. Denn die CDU-Politikerin hat am Mittwoch erstmals öffentlich vorgestellt, wie sie das Leben der Schweine in Deutschland verbessern will. Klöckner plant ein dreistufiges, staatliches Tierwohllabel, das den Tieren von der Geburt bis zu ihrem Tod mehr Schutz und bessere Haltungsbedingungen garantieren soll als es die geltenden Gesetze tun. "Tiere sind Mitgeschöpfe, keine Wegwerfware", sagt Klöckner.

"Tiere sind Mitgeschöpfe und keine Wegwerfware", sagt Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner.
"Tiere sind Mitgeschöpfe und keine Wegwerfware", sagt Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner.

© imago/photothek

Was ist geplant?

Ab dem nächsten Jahr soll das staatliche Tierwohllabel auf Schweinefleischpackungen, später auch bei Geflügel, auftauchen. Um das Label zu bekommen, müssen Landwirte zahlreiche Kriterien erfüllen. Schweine sollen mehr Platz im Stall bekommen, die Buchten, in denen die Tiere leben, sollen tierfreundlicher gestaltet werden, Ferkel sollen länger bei den Sauen bleiben dürfen, die betäubungslose Kastration von Ferkeln wird für Labelprodukte verboten und Tiertransporte zum Schlachthof werden verkürzt. Dabei steigern sich die Anforderungen von Stufe eins bis zur höchsten Stufe drei. Während Schweine verglichen mit dem gesetzlichen Mindeststandard in der ersten Stufe 20 Prozent mehr Platz bekommen sollen, sind es in Stufe drei 100 Prozent mehr.

Über die gesetzlichen Vorgaben hinaus: Die Kriterien für das neue Tierwohl-Label sind strenger. Geplant ist ein System mit drei Stufen.
Über die gesetzlichen Vorgaben hinaus: Die Kriterien für das neue Tierwohl-Label sind strenger. Geplant ist ein System mit drei Stufen.

© AFP

Wie streng ist das Label?

Für alle Kriterien gilt: Die Vorgaben des staatlichen Tierwohllabels sind strenger als die gesetzlichen Vorschriften. Und einige der Anforderungen, die Klöckner aufstellt, gelten unabhängig von Labelstufen – etwa Einschränkungen für Tiertransporte. Heute dürfen Schweine bis zu 24 Stunden zum Schlachthof transportiert werden, für ihr Tierwohllabel will Klöckner die Zeit auf acht Stunden verkürzen. Nach vier Stunden sollen die Tiere trinken dürfen und die Lastwagen müssen Streu auf dem Boden haben. Ein Schweineschnitzel bekommt nur dann das Tierwohlsiegel, wenn während des gesamten Lebens des Tiers die Kriterien eingehalten werden, kontrolliert wird das von externen Stellen. Klöckners Siegel ist damit deutlich ambitionierter als die Haltungskennzeichnungen, mit denen der Handel arbeitet. Diese beziehen sich ausschließlich auf die Haltung der Tiere im Stall - und die Einstiegsstufe des vierstufigen Labels entspricht gerade mal den gesetzlichen Tierschutzvorgaben.

Wird das Fleisch teurer?

Ja. "Mehr Tierwohl kostet mehr Geld", sagt Klöckner. Ein Schwein, das nach den neuen Tierwohlkriterien gehalten wird, dürfte zehn bis zwölf Euro mehr kosten. Ob die Verbraucher bereit sind, das zu zahlen? Die bisherigen Erfahrungen des Handels lassen daran zweifeln. In den Läden überwiegt billiges Fleisch aus Massentierhaltung, wie kürzlich eine Tagesspiegl-Umfrage gezeigt hat. Klöckner hofft darauf, dass sich die Verbraucher umstellen. In Dänemark und Holland, wo es bereits ein staatliches Tierwohllabel gibt, greifen 20 Prozent der Kunden zum Fleisch mit dem Staatslabel. Und auch in Deutschland erklären die Bundesbürger in Umfragen stets, dass sie bereit sind, für Tierwohl mehr Geld auszugeben. "Die Menschen müssen jetzt von Montag bis Freitag an der Ladentheke zeigen, dass sie ihren Sonntagsreden Taten folgen lassen, betont die Ministerin. Damit die Preisaufschläge nicht zu hoch werden, will Klöckner den Bauern beim Umbau der Ställe mit staatlichen Förderprogrammen helfen. Zudem soll der Start des neuen Tierwohllabels mit einer 70 Millionen Euro schweren Werbekampagne begleitet werden.

Ganz schön eng. 26,4 Millionen Schweine leben in Deutschland. Ein Hof hat durchschnittlich 1200 Tiere, weiß das Statistische Bundesamt.
Ganz schön eng. 26,4 Millionen Schweine leben in Deutschland. Ein Hof hat durchschnittlich 1200 Tiere, weiß das Statistische Bundesamt.

© DPA

Was sagen die Kritiker?

"Das Tierwohllabel von Ministerin Klöckner grenzt an Verbrauchertäuschung", sagt Ex-Bundesagrarministerin Renate Künast (Grüne). Es biete in der Eingangsstufe kaum einen Unterschied zum gesetzlichen Standard. In Zukunft habe ein 110 Kg schweres Schwein gerade mal 0,90 m² Platz statt 0,75 m². Da das Label freiwillig sei, würden die meisten Schweine "auch weiterhin arme Schweine bleiben". Statt auf freiwillige Lösungen zu setzen, fordert Künast strengere gesetzliche Standards für die Tierhalter. Den BUND ärgert, dass das Kupieren von Ringelschwänzen weiterhin erlaubt sei, der Bundesverband der Verbraucherzentralen fordert gesetzliche Mindeststandards. Und auch Greenpeace ist unzufrieden. Auf den allermeisten Produkten bleibe weiterhin nicht erkennbar, ob dem Tier der Ringelschwanz gekürzt oder der Hoden ohne Betäubung entfernt wurde. Dem "Tierleidzähler" dürfte die Arbeit nicht ausgehen.

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