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Die Hagia Sophia in Istanbul (Türkei).

© picture alliance / Marius Becker

Spannungen mit der Türkei: "Deutsche Unternehmen zeigen sich besorgt"

7000 deutsche Unternehmen sind in der Türkei aktiv. Auch sie werden in ihren Aktivitäten eingeschränkt – oder schweigen bewusst.

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Für die Türkei ist Deutschland seit langem der wichtigste Handelspartner: Aus keinem anderen Land importieren die Türken so viele Waren wie aus der Bundesrepublik. Gleichzeitig sind 7000 deutsche Unternehmen vor Ort aktiv. Der Energiekonzern Eon zum Beispiel versorgt zusammen mit einem lokalen Partner Millionen Türken mit Strom. Daimler baut am Bosporus Busse und Lkw. Siemens hat erst 2017 einen Milliardenauftrag für ein Windenergieprojekt in der Türkei bekommen.

BASF ist schon seit 1880 vor Ort. Heute hat der Chemiekonzern 900 Angestellte sowie sechs Produktionsstätten in der Türkei. „Das Land ist unser zweitgrößter Absatzmarkt in dieser Region und gewinnt für uns weiter an Bedeutung“, sagte eine Sprecherin. Daran ändern auch die jüngsten Entwicklungen nichts. „Wir glauben trotz der aktuellen schlechten Situation immer noch an das Potenzial der Türkei.“

Gleichzeitig geht aber die Rezession im Land nicht ohne Spuren am Konzern vorbei. „Die aktuelle Situation ist sehr herausfordernd“, sagte die BASF-Sprecherin. „Wir spüren eine deutliche Zurückhaltung unserer Kunden in allen Sparten.“ Der Konzern verkauft in der Türkei unter anderem Kunststoffe, Textilchemikalien, sowie  Ausgangsstoffe für Pflege- und Reinigungsmittel. Schon jetzt wirkt sich der Wirtschaftsabschwung aufs Geschäft aus: „Das geht mit einem entsprechenden Umsatzrückgang einher“, so die Sprecherin. 2018 hat der Konzern in der Türkei noch 800 Millionen Euro erwirtschaftet.

Dabei ist das Land für BASF nicht nur ein wichtiger Produktionsstandort sondern auch strategisch von Bedeutung: Von Istanbul aus koordiniert der Konzern sein Geschäft für Afrika, Russland und den Mittleren Osten. Wohl auch deshalb hofft man bei BASF auf ein Umdenken in der Regierung Erdogan. „Die türkische Regierung muss zunächst Rahmenbedingungen schaffen, die geeignet sind, Vertrauen zurückzugewinnen“, sagte die Sprecherin. Erst wenn stabile Verhältnisse und langfristige Planungssicherheit wieder herrschen, könnte über weitere Investitionen in türkische Produktionsanlagen nachgedacht werden.

So deutlich wie der Chemiekonzern BASF wollen sich andere deutsche Unternehmen, die am Bosporus aktiv sind, nicht äußern. Die Drogeriemarktkette Rossmann zum Beispiel, die in der Türkei landesweit mit Läden vertreten ist, hält sich bewusst mit kritischen Kommentaren zurück. Als Begründung heißt es lediglich, Rossmann trage in der Türkei die Verantwortung für 1000 Mitarbeiter.

Wirtschaftsverbände appellieren an Regierung

Appelle gibt es jedoch von den Wirtschaftsverbänden. "Deutsche Unternehmen zeigen sich angesichts der wirtschaftlichen Lage in der Türkei besorgt", sagte Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Sie würden dort in zunehmendem Maße in ihren Wirtschaftsaktivitäten eingeschränkt werden. "Die türkische Regierung muss dringend Maßnahmen ergreifen, um die Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Dazu gehört die Rückkehr zu demokratischen Strukturen." Deutliche Signale "zur Stärkung der Rechtssicherheit" erwartet auch DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. Die jüngsten Ereignisse rund um die Ausreise deutscher Journalisten aus der Türkei hätten das ohnehin schon beschädigte Vertrauen hiesiger Investoren zusätzlich geschwächt.

Aus Kreisen der deutschen Wirtschaft in der Türkei hieß es, die Entwicklung werde genau beobachtet. Objektive Presseberichte würden wichtige Informationen für Investitionsentscheidungen liefern. Die jüngsten Ereignisse hätten bereits Spuren bei der deutschen Wirtschaft hinterlassen. "Konkrete Konsequenzen wie Probleme bei der Einreise sind bisher jedoch nicht bekannt geworden", sagte ein Experte. "Die Unternehmen setzen darauf, dass die Politik Lösungen findet."

Das Image des Landes ist stark beschädigt

Die für politische Krisen besonders anfällige Fremdenverkehrsindustrie bekommt die Folgen der jüngsten Spannungen besonders zu spüren. Nach den verschärften Reisehinweisen aus Berlin als Folge der Festnahmedrohung von Innenminister Süleyman Soylu gegen Besucher, die in Deutschland an Kundgebungen von Türkei-kritischen Organisationen teilgenommen haben und in der Türkei Urlaub machen wollen, sind die Buchungszahlen zurückgegangen. Der Vorsitzende des türkischen Hotelierverbandes, Timur Bayindir, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Zahl der täglich gebuchten Pauschalreisen in die Türkei sei von etwa 1000 auf 300 bis 500 gefallen.

Mit Sorge sieht Bayindir, dass die Image-Werbung seines Landes einen schweren Rückschlag erlitten hat: „Da ist der Eindruck entstanden: ‚Bei Reisen in die Türkei droht die Festnahme.“ Auch der Journalist Yildiray Ogur zieht eine für die Türkei ernüchternde Bilanz der vergangenen Tage. Der Versuch, mit dem „Knüppel“ gegen ausländische Medien vorzugehen, habe der Wirtschaft, dem Tourismus und dem Image des Landes geschadet, schrieb Ogur in der Zeitung “Karar”.

Dieser Schaden kommt zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt: Die Türkei steckt nach neuen Zahlen des Statistikamtes in Ankara in einer Rezession. Nach einem Rückgang der wirtschaftlichen Leistung um 1,6 Prozent im dritten Quartal des vergangenen Jahres, schrumpfte die Wirtschaft im vierten Quartal um 2,4 Prozent. Viele Experten und potenzielle Investoren rechnen damit, dass die Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr ebenfalls deutlich zurückgeht. In dieser Lage braucht das Land vor allem Verlässlichkeit, sagt ein europäischer Wirtschaftsvertreter: Jede Fabrik, die nicht schließe, sei für die Türkei jetzt wichtig. Doch die Festnahmedrohung und der Rauswurf von deutschen Journalisten vermitteln das Bild eines Landes mit unberechenbaren Zuständen.

Die anstehenden Kommunalwahlen am 31. März könnten für neue Turbulenzen sorgen. Laut Umfragen könnte die Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt Ankara an die Opposition verlieren. Auch in Istanbul, der mit 15 Millionen Menschen größten Stadt des Landes, hat die AKP große Probleme. Versuche der AKP, die Folgen der Wirtschaftskrise für die Verbraucher unter anderem mit subventionierten Lebensmitteln zu lindern, werden den Wahltag möglicherweise nicht lange überdauern. Einige Fachleute erwarten, dass die Türkei sich nach dem 31. März an den Internationalen Währungsfonds (IWF) wenden wird, um ein Hilfspaket zu vereinbaren.

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