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Oliver Rottmann, Geschäftsführender Vorstand beim Kompetenzzentrum Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e.V. an der Universität Leipzig

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Sozialer Wohnungsbau statt Mietendeckel: Warum der Staat die Daseinsvorsorge neu denken sollte

Wasser, Strom, Mobilität. Deutsche Kommunen sollten den freien Markt als Partner verstehen - und an den richtigen Stellen eingreifen. Ein Gastbeitrag.

Daseinsvorsorge als Kern der öffentlichen Leistungsbereitstellung hat in Deutschland eine lange Tradition. Sie geht ursprünglich auf ein Konzept des Verwaltungswissenschaftlers Ernst Forsthoff aus den 1930er Jahren zurück. Er beschrieb damit die Abhängigkeit der Stadtbewohner von öffentlichen Versorgungsleistungen, beispielsweise Elektrizität und Wasser, infolge der Verstädterung. Zu Zeiten Forsthoffs war die Wirtschaftspolitik allerdings autark und Wettbewerb spielte in öffentlichen Strukturen keine Rolle. Heute hingegen bildet Wettbewerb – zumindest in der Theorie – ein wichtiges Element zur Realisierung der Daseinsvorsorge und der effizienten und zielgerichteten öffentlichen Leistungserbringung. Wettbewerb in der Daseinsvorsorge führt jedoch in der Praxis zu einer dauernden Debatte darüber, ob diese öffentlich, von privaten Unternehmen oder in Kooperationsform erbracht werden soll – besonders in den Sektoren Energie, Mobilität, Wasser, Wohnen, digitale Versorgung (Breitband) oder auch der Rohstoff- und Kreislaufwirtschaft.

Der Staat hat eine Gewährleistungsverantwortung

Daseinsvorsorge an sich ist nicht eindeutig definiert. Es können somit keine zwingenden Vorgaben zur Art und Weise der Aufgabenerledigung aus ihr abgeleitet werden, wodurch auch eine Erbringung durch den Markt möglich und manchmal aus Wirtschaftlichkeitsgründen sogar geboten ist. Aus den zugrundeliegenden Rechtsnormen geht allerdings eine Gewährleistungsverantwortung des Staates für die Aufgabenerbringung hervor. Wurde der Staat vor den EU-Liberalisierungsprozessen in der Daseinsvorsorge noch selbst tätig („produzierender Staat“), entwickelte sich das Konzept in den 1990er Jahren weiter zu einem „gewährleistenden Staat“. Dem folgend ist nicht mehr der Staat selbst für die Erbringung entsprechender Leistungen verantwortlich, sondern er übt allein die Garantiefunktion für die Erbringung von Leistungen wie Wasser-, Energie- oder Mobilitätsversorgung aus, die vom Markt selbst nicht oder nur unzureichend angeboten werden.

Dennoch werden Daseinsvorsorgeleistungen aufgrund der Komplexität (Netzstrukturen) und der Verflechtung der Dienstleistungen nach wie vor häufig durch den Staat erbracht. Durch den Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung des Grundgesetzes kann eine Gemeinde nun aber selbst bestimmen, auf welche Art und Weise und in welchem Umfang sie Leistungen für ihre Bürger zur Verfügung stellt. Begrenzt wird die Kompetenz lediglich durch das Prinzip der Örtlichkeit, das heißt eine Begrenzung auf die eigene Gebietskörperschaft.

Auf EU-Ebene ermöglicht das europäische Recht der Daseinsvorsorge gewisse Ausnahmemöglichkeit von Wettbewerbsregeln, wobei sich Wettbewerb und Daseinsvorsorge auch hier nicht ausschließen. Wettbewerb kann vielmehr als ein wesentliches Element „guter“ Daseinsvorsorge betrachtet werden, um Qualität und hinreichende Quantität der öffentlichen Leistungserstellung zu gewährleisten. Er ermöglicht der Kommune, eine effiziente und effektive Entscheidung treffen zu können („Make or buy“).

Eine steuernder Staat ist nicht immer sinnvoll

Die Rolle des Wettbewerbs selbst wurde unmittelbar nach der EU-Liberalisierung durch Marktöffnung und die durch Optimierungs- und Kostenzwänge geprägten kommunalen Haushaltslage gestärkt. In Folge dieser Einflüsse kam es zur Auslagerung von Aufgaben und Leistungen aus den öffentlichen (Kern-)Haushalten in Extrahaushalte, wie öffentliche Unternehmen. An diesen konnten sich nun private Dritte beteiligen oder sie wurden gänzlich privatisiert. Damit stieg auch der Anteil privater Investoren, die sich an der Daseinsvorsorge beteiligten oder diese allein erbrachten (materielle Privatisierung).

Insbesondere die materiellen (echten) Privatisierungen, wie zum Beispiel von kommunalen Wohnungsunternehmen, haben jedoch dazu geführt, dass die öffentliche Hand auf bestimmte Leistungen keine Steuerungsmöglichkeit mehr ausübt. Dies ist in einigen Bereichen sozialpolitisch fraglich (in Städten mit überhitzten Wohnungsmärkten oder strukturschwachen Gebieten mit geringer Mobilitätstaktung); in anderen Sektoren aber schlicht unnötig und marktlich effizienter lösbar. Heute sind private Unternehmen in der Daseinsvorsorge oftmals in der Minderheitsstellung, so bleiben Steuerung und letzte Entscheidungskompetenz in öffentlicher Hand. Das Anlagevermögen verlässt die Kommune nicht.

Dennoch ziehen zahlreiche Kommunen mit Verweis auf die Daseinsvorsorge Aufgaben wieder an sich („Rekommunalisierung“), wodurch sie aber in Konkurrenz zu privaten Anbietern treten. Diese Tendenz führt dazu, dass sich die öffentliche Hand in Wirtschaftsbereiche ausdehnt, die mit einer Grundversorgung wenig zu tun haben, und in Konkurrenz zu privaten Unternehmen tritt, die derartige Aufgaben effizienter lösen könnten, wie beispielsweise. in der Rohstoff- und Kreislaufwirtschaft. Nicht bestritten wird damit das „Ob“ der Aufgabenerfüllung, sondern das „Wie“ der Leistungserbringung. So werden in sozialen Diensten, wie Jugendhilfe, Kindertagesstätten oder Pflegeeinrichtungen in hohem Maße private Anbieter problemlos einbezogen. In infrastrukturellen Ver- und Entsorgungsbereichen (Energie, Wasser, Mobilität, Entsorgung) wird dies aber häufig kritisch gesehen.

Mehr sozialer Wohnungsbau statt Mietendeckel

Vor dem Hintergrund aktueller wie zukünftiger gesellschaftlicher, ökonomischer und technischer Entwicklungen, wie Breitbandausbau, Energiewende, Urbane Mobilität und Wohnungsknappheit in Städten stellt sich aktuell die Frage nach dem zukünftigen Leistungsumfang der Daseinsvorsorge. So ist beispielsweise die Wohnungswirtschaft in Deutschland im strengen Sinne nicht Teil der Daseinsvorsorge. Hier könnte sich der Staat im sozialen Wohnungsbau deutlich stärker engagieren, anstatt Mietdeckel einzuführen oder über Enteignungen zu diskutieren. In der Mobilität könnte von staatlicher Seite speziell in ländlichen Räumen (wo öffentliche Verkehrsangebote gefährdet sind) die Ladeinfrastruktur als Daseinsvorsorge betrachtet werden. Damit erhielten Verkehrsangebote einen höheren Klimaschutz- und Mobilitätsbezug.

Nicht zuletzt stellt der demografische Wandel eine große Herausforderung für die Daseinsvorsorge der Zukunft dar, insbesondere für das Leistungsangebot in der Fläche und in dünn besiedelten Räumen. Ohne neue Organisationsformen und dafür benötigte infrastrukturelle Voraussetzungen können diese kaum gewährleistet werden. Digitalisierung und Automatisierung bilden hierbei zentrale Treiber der Entwicklung. Daher scheint es sinnvoll, die Daseinsvorsorge zukünftig um bestimmte Grundversorgungs- oder Universaldienste zu erweitern, insbesondere in Bezug auf Breitbandversorgung, Wohnraum und neue Mobilitätsformen, in anderen Bereichen aber auch zu diskutieren, was der Markt besser regeln kann.

Dr. Oliver Rottmann ist Geschäftsführender Vorstand des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e.V. an der Universität Leipzig

Oliver Rottmann

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