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Mithilfe von Augmented Reality steht die Mauer wieder vor dem Brandenburger Tor.

© Peter A. Kolski

Smartphone-App: Berliner bauen die Mauer nach

Handynutzer können virtuell an der ehemaligen Grenze entlanglaufen. Sogar der Apple-Chef hat die Augmented-Reality-App schon ausprobiert.

Täglich fragen Besucher, aber auch Berliner, wo genau eigentlich die Mauer stand. Peter Kolski hat nun eine Smartphone-App entwickelt, die den Verlauf exakt nachzeichnet. Mehr noch, sie baut die Mauer virtuell wieder auf und zeigt so, wie die Teilung der Stadt wirklich aussah.

Wie das funktioniert, demonstriert Kolski an der Bernauer Straße. Er steht auf der Wiese, einige Meter vor ihm befinden sich die rostigen Metallstangen, die den früheren Mauerverlauf zeigen. Kolski hält sein Smartphone hoch, die Kamera zeigt die Szenerie auf dem Bildschirm. Dann tippt er auf das Display, und wo eben noch die Metallstangen waren, steht nun die graue Mauer. Die Bäume sind dahinter verschwunden, nur die Kronen mit den gelben Blättern schauen darüber hervor. Er schwenkt nach rechts und ein Wachturm erscheint. Noch einige Meter weiter ist der U-Bahnhof Bernauer Straße, und wo eben noch Autos über die Brunnenstraße fuhren, ist der Weg nun virtuell versperrt.

"Pokemon Go" setzte den Startschuss

Augmented Reality (AR) nennt sich die Technologie, bei der reale Bilder mit künstlichen Objekten überlagert werden. Die erste populäre Anwendung dafür war das Handy-Spiel „Pokémon Go“, bei dem vor zwei Jahren Millionen Fans anfingen, Cartoonmonster in der realen Welt zu jagen. Inzwischen nutzen auch Unternehmen wie Ikea oder Otto die Technologie. Sie haben Apps entwickelt, mit denen sich Kunden Möbel vorab ins Zimmer beamen und sich so auf dem Bildschirm ansehen können, wie sie in der Wohnung wirken.

Apple-Chef Tim Cook ist ein großer Fan der erweiterten Realität. Er sieht darin deutlich mehr Potenzial als in Virtual-Reality-Anwendungen, bei denen die Nutzer sich mit Spezialbrillen komplett von der Realität abschirmen. Es gibt auch immer wieder Gerüchte, dass Apple an einer AR-Brille arbeitet, mit der man sehen kann, aber zusätzliche Informationen angezeigt bekommt.

Dabei könnte sogar Brandenburger Technologie eine Rolle spielen: Im Vorjahr hatte Apple die Teltower Firma Sensomotoric Instruments übernommen. Das Unternehmen hat unter anderem eine Technik entwickelt, mit der sich die Blickrichtung eines Menschen verfolgen lässt. Und auch bei einer überraschenden Stippvisite Cooks in Berlin standen Ende Oktober AR-Entwickler im Zentrum.

Apple-Chef macht Werbung

So besuchte der Apple-Chef Asana Rebel. Das Start-up sitzt in Kreuzberg und hat eine Gesundheits-App entwickelt. Nutzer können sich damit verschiedene Videos und Anleitungen für Übungen ansehen, im Kern ist es Yoga, doch die Macher haben es so angepasst, dass der Fitnessaspekt stärker im Vordergrund steht. Mit mehr als acht Millionen Downloads haben die Kreuzberger in drei Jahren so eine der erfolgreichsten Yoga-Apps weltweit entwickelt. Mit AR-Funktionen soll das Erlebnis noch verbessert werden: Die Nutzer können dabei virtuell um den Yogatrainer herumgehen und sich so von allen Seiten anschauen, wie er bestimmte Bewegungen macht. „Wir haben Tim Cook einen Prototyp präsentiert“, sagt Mitgründer Pascal Klein. In zwei bis drei Monaten soll die Erweiterung dann verfügbar sein. Der Apple-Chef lobte die Jungunternehmer nach seinem Besuch schon mal werbewirksam auf Twitter.

Mit der App können Nutzer auch durch den Todesstreifen spazieren
Mit der App können Nutzer auch durch den Todesstreifen spazieren

© Brooks/Kraft/Apple/dpa/Peter Kolski

Mit Kolski traf er sich am Brandenburger Tor, um sich dessen „MauAR“-App vorführen zu lassen. „Sie haben die Geschichte der Berliner Mauer durch Augmented Reality zum Leben erweckt“, lobte Cook. Kolski will zu dem Treffen nicht viel sagen – vielleicht haben ihm die Geheimniskrämer bei Apple auch ein Sprechverbot erteilt. Nur so viel: „Ich fühle mich geehrt, und das motiviert natürlich auch.“ Denn im Gegensatz zu Asana Rebel, die sich auf 25 Millionen Dollar von Investoren und Hunderttausende zahlende Kunden stützen können, finanziert der 37-Jährige die App selbst.

Auch Originalfotos sind zu sehen

Im Hauptberuf arbeitet der Entwickler für eine Innovationsagentur und hat auch schon für große Dax-Konzerne AR-Anwendungen entwickelt. Um das Mauerprojekt kümmert er sich in seiner Freizeit. Seit Monaten arbeitet er jedes Wochenende daran, unterstützt von seinem Jugendfreund Sebastian Strauß. Er fand nicht einmal Zeit, den Gutschein einzulösen, den er vor einem Jahr als einer der Preisträger beim sogenannten „Coding da Vinci“-Hackathon gewonnen hat. Dort ist die Idee entstanden, dass Techniktüftler Ideen entwickeln, um frei zugängliche Kulturdaten zu nutzen. Kolski überlegte sich, Originalfotos und Texte der Stiftung Berliner Mauer zu nutzen und sie per App mit ihren Entstehungsorten zu verknüpfen. An insgesamt 250 Punkten können die Nutzer so auf die Zusatzinformationen zugreifen.

Die Mauer lässt sich jedoch auf der Gesamtlänge von 155 Kilometern mit der App nacherleben. Die Illusion ist ziemlich beeindruckend und ein Vorzeigebeispiel für die Möglichkeiten von Augmented Reality. Allerdings hakt die Technik manchmal. Dann schwebt die Mauer beispielsweise über dem Boden in der Luft. „Das liegt an den Kamerasensoren“, sagt Kolski. Sie können die Tiefe in den Bildern nicht richtig messen, je nach Hintergrund führt das zu Schwierigkeiten. Auch die Positionierung der Mauer ist nicht immer perfekt. Denn der Handystandort wird per GPS geortet, doch die Satelliten messen nur auf einige Meter genau.

Der Potsdamer Platz war besonders aufwändig

„Wir haben auch andere Technologien getestet“, sagt Kolski. Am Brandenburger Tor hat er die gesamte Umgebung abgefilmt, um seine fiktive Mauer an der exakten Stelle platzieren zu können. Doch das ist einerseits extrem aufwendig und funktioniert auch nur begrenzt, da sich die realen Orte allein durch Wetter und Jahreszeiten permanent verändern. Doch auch so ist der Effekt verblüffend. So kann man mit wenigen Schritten auch einfach durch den Grenzwall hindurchgehen und findet sich plötzlich im Todesstreifen zwischen zwei Mauern wieder. Denn „die Mauer“ bestand ja in der Regel aus zwei Teilen zur Ost- und Westseite.

„Hier sind wir früher immer Fahrrad gefahren“, erinnert sich Kolski. Seine Eltern waren 1981 geflohen, als er gerade drei Monate alt war. Nach dem Mauerfall spielte er dann als Kind gern auf dem ehemaligen Grenzstreifen in Reinickendorf, kletterte auf die Türme und schlug große Brocken heraus.

Kindheitserinnerungen haben Erfinder geprägt

„Wir haben beide eine besondere Beziehung zur Mauer“, sagt sein Mitstreiter Strauß, der als Kind auch Mauerspecht spielte und einen halben Schrank voller Gesteinsstücke hatte. Dessen Vater war zehn Jahre vor dem Mauerfall auch nach West-Berlin geflüchtet und hatte dort seine Frau kennengelernt. „Und mein Kind ist ausgerechnet am 9. November geboren“, sagt Strauß.

Auch deswegen stecken sie so viel Herzblut in das Projekt. Eigentlich war geplant, dass die App pünktlich am 9. November erscheint. Vor einer Woche haben die beiden sie bei Apple zur Freigabe eingereicht, doch am Freitagnachmittag warten sie immer noch auf die Veröffentlichung. „Wir wissen nicht, woran es liegt“, sagt Kolski. „Wir freuen uns darauf, sie im App-Store zu sehen“, hatte Tim Cook bei Twitter geschrieben. Eigentlich sollte es also jeden Moment so weit sein. Interessenten können sich in der Zwischenzeit unter mauar.berlin registrieren.

Um die kostenlose App zu nutzen, benötigt man ein iPhone ab der Version 6s. Eine Tablet-Version soll folgen. Auch für Android-Geräte würde Kolski sein Programm natürlich gern anbieten, schließlich sind die deutlich stärker verbreitet. Doch von denen könne nur ein kleiner Teil AR-Inhalte wiedergeben, sagt Kolski. Zudem bedeutet die Entwicklung noch einmal zusätzlichen Aufwand. Ohne eine Förderung oder finanzielle Unterstützung wäre das jedoch schwierig zu realisieren.

Ideen für andere Erweiterungen haben sie auch noch viele. So sollen Nutzer die Mauer in der App künftig auch bemalen.

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