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Deutsche-Bahn-Chef Richard Lutz weiß um die "schwierige Situation", in der sich sein Konzern befindet.

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Update

Sinkende Gewinne, zu hohe Ausgaben: Bahn-Chef schreibt Brandbrief an Manager

"In einer schwierigen Situation" sei die Deutsche Bahn, schreibt Chef Richard Lutz in einem Brief an die Führungskräfte. Steigende Schulden werden zum Problem.

Einen „Wow-Effekt“ beim Bahnfahren wünschte sich Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), als er im Juni mit Branchenvertretern zusammen saß, um ein „Zukunftsbündnis Schiene“ zu vereinbaren. Einfach, günstig, komfortabel und verlässlich solle die bundeseigene Deutsche Bahn (DB) werden, schrieb Scheuer auf seinen Wunschzettel. Drei Monate später ist er da, der Wow-Effekt – allerdings ganz anders, als ihn sich der Minister vorgestellt hat. Verursacht hat ihn der Bahnchef. Mit einem bitterbösen, schonungslosen Brandbrief an mehr als 1000 Führungskräfte löst Richard Lutz ein Beben im Unternehmen und in der Politik aus.

In dem vierseitigen Schreiben, das dem Tagesspiegel vorliegt und am Wochenende seine Empfänger erreichte, beschreibt der Bahnchef den Schienenkonzern in einer „schwierigen Situation“, die sich zuletzt noch verschlechtert habe. Allen Meldungen von Passagierrekorden und relativ pannenarmen Sommermonaten zum Trotz, bewegt sich die Bahn nach Ansicht des sechsköpfigen Vorstands, der den Brief geschlossen unterschrieben hat, in Richtung Abstellgleis.

ERGEBNIS UND SCHULDEN

„Da gibt es leider nichts zu beschönigen“, führt Lutz aus. Das operative Ergebnis liege auch per Juli „deutlich unter Vorjahr und weit weg von unserer Zielsetzung“. Das innerhalb von wenigen Monaten zwei Mal auf zuletzt 2,1 Milliarden Euro reduzierte Gewinnziel für 2018 sei schon wieder in Gefahr. Um 160 Millionen Euro fahre man dem gesetzten Ziel hinterher. Die aktuelle Situation zeige, „wie breit und tief unsere operativen Schwächen gehen“. Lutz warnt, eine dritte Gewinnwarnung könne nicht die Antwort auf die prekäre Situation sein. „Es würde unsere finanzielle Lage weiter destabilisieren und Vertrauen und Goodwill, die wir bei Eigentümer und Öffentlichkeit noch haben, zusätzlich beschädigen.“

Um Schlimmeres zu verhindern, verhängt die Bahn-Führung einen unbefristeten Ausgabenstopp – „eine qualifizierte Ausgabensteuerung für den Systemverbund Bahn“. Mit anderen Worten: Oberhalb einer bestimmten Summe müssen alle Ausgaben künftig genehmigt werden – „die Konzernleitung selbstverständlich eingeschlossen“, wie es in dem Brief heißt. Die Maßnahme dürfte notwendig sein, weil auch die Schulden der Bahn aus dem Ruder zu laufen scheinen. Die Schallmauer von 20 Milliarden Euro, die der Vorstand auf keinen Fall durchbrechen will, ist nah: Mitte des Jahres verbuchte die DB einen Schuldenstand von 19,7 Milliarden Euro. „Wenn die Schuldenbremse nicht greift – und das könnte 2019 passieren –, dann spielen die Haushaltspolitiker nicht mehr mit“, warnt ein Aufsichtsrat.

FÜHRUNGSKRISE

Einen nicht unerheblichen Anteil haben massiv gestiegene Verwaltungskosten. Laut Lutz sind diese „seit 2015 um einen deutlichen dreistelligen Millionenbetrag“ gestiegen. Dies wurmt den seit März 2017 amtierenden Vorstandschef umso mehr, als die „geschäftsfeldübergreifende Zusammenarbeit“ auf den Führungsebenen des Staatskonzerns offenbar nicht funktioniert. Sie sei „unbefriedigend und einer der Gründe, warum wir in der Performance abrutschen“, schreibt Lutz. Deutlicher kann man seinen Top- Managern nicht bescheinigen, dass sie mehr ihre eigenen Interessen als die des gesamten Unternehmens oder der Kunden im Blick haben. Dabei wird Lutz nicht müde, in seinen öffentlichen Reden vom „Mannschaftsspiel“ bei der Bahn zu sprechen. Dass davon im Alltag wohl wenig zu spüren ist, ist auch dem zurückliegenden Personalwechsel im Konzernvorstand geschuldet. Nicht nur Lutz ist jung im Amt, auch Personalchef Martin Seiler, IT-Vorstand Sabina Jeschke und Güterverkehrs-Chef Alexander Doll sind erst seit einigen Monaten dabei. Und: Der frühere Finanzvorstand Lutz ist bis heute zugleich Herr über die Zahlen geblieben. „Eine Ämterhäufung, die dem Konzern nicht guttut“, wie es im Aufsichtsrat heißt. Abzusehen ist aber, dass Lutz das Finanzressort Anfang 2019 an den Ex-Investmentbanker Alexander Doll abgibt – der wiederum eigentlich genug mit der Sanierung des tiefroten Güterverkehrs zu tun hat.

BAUSTELLEN

Mit einem für 2018 erwarteten Minus von bis zu 200 Millionen Euro ist die Cargo-Sparte weiter die größte Baustelle der Bahn. Nach etlichen Führungswechseln und angesichts des anhaltend scharfen Wettbewerbs mit der Straße, ist eine Erholung nicht in Sicht. Die Zulassung von extralangen Gigaliner-Lkw auf der Autobahn konterkariert die Ansage des Verkehrsministers, mehr Verkehr auf die Schiene verlagern zu wollen. „So eine Politik setzt natürlich das staatseigene Bahnunternehmen enorm unter Druck“, sagte Philipp Kosok, Bahnexperte des ökologischen Verkehrsclubs VCD, am Montag. Er sprach mit Blick auf Lutz’ Brief von einem „Hilferuf an die Bundesregierung“.

Doch die Bahn löst auch ihre hausgemachten Probleme nicht. Im Gegenteil: Die von Lutz angesprochenen Defizite bei der Zusammenarbeit werden intern schon länger beklagt. „Eigentlich räumt Lutz damit ein, dass er den Laden nicht im Griff hat“, heißt es in Gewerkschaftskreisen. Zu unterschiedlich sind die Interessen: Personenverkehr gegen Güterverkehr, Digitalisierung contra Old Economy, Internationalisierung versus Eisenbahn in Deutschland. „Ressort-Egoismen“ gibt es genug. „Vielen Mitarbeitern ist das ,Wir-Gefühl abhanden gekommen“, beschreibt ein Aufsichtsrat die Lage. Der Konzern bestehe aus zu vielen Teilen, die nicht am Ganzen, sondern gegeneinander arbeiteten.

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