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Will DB Cargo nach vielen verlorenen Jahren wieder erfolgreich machen: Sigrid Nikutta.

© Stefan Weger

Sigrid Nikutta über den europäischen Güterverkehr: „Die Straße ist in Wirklichkeit sauteuer“

Die Verkehrswende entscheidet sich auch in Verona, betont die DB-Cargo-Chefin im Interview. Nur europäische Zusammenarbeit führe zu mehr Schienengüterverkehr.

Rund 30.000 Mitarbeiter:innen arbeiten für DB Cargo daran, jeden Werktag etwa 3600 Züge durch 18 europäische Länder zu schicken. Von etwa einer Million Tonnen Güter fahren rund 60 Prozent über eine Grenze. Ein Problem sind dabei noch immer unterschiedliche Stromspannungen und Sicherheitssysteme in den europäischen Ländern. Die Gütertochter der Deutschen Bahn reagiert mit über 600 mehrsystemfähigen E-Loks und mehrsprachigen Lokführer:innen darauf.

Das Unternehmen wickelt als größte Gesellschaft etwa 20 Prozent aller Gütertransporte in Europa ab. Doch DB Cargo hat in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren etwa die Hälfte ihrer Transporte an Wettbewerber verloren und macht seit Jahren hohe Verluste. Schafft die seit einem Jahr amtierende Cargo-Chefin Sigrid Nikutta hier die Wende ist die 52-Jährige auch eine Kandidatin für den CEO-Posten des Gesamtkonzerns.

Frau Nikutta, als der Suezkanal blockiert war, fuhren Waren plötzlich wieder um das Kap der Guten Hoffnung. Hat diese Blockade auch mehr Güter auf die Schiene gebracht?
Ja, die Suezkanal-Blockade hat gezeigt, wie wichtig es ist, immer Alternativen zu haben. Bis hin zu Bloomberg TV interessierten sich urplötzlich alle für Transporte auf der Schiene. Und das haben wir natürlich gemerkt. Das China-Geschäft von DB Cargo boomt wie nie. Diese Entwicklung begann allerdings schon vor dem Problem mit dem Suezkanal. Wir fahren mit doppelt so vielen Zügen nach China wie im letzten Jahr.

Auch ein Effekt der Coronakrise?
Erfolg hat immer viele Väter und Mütter. Aber es hat durchaus etwas mit Corona zu tun. Während der Coronakrise war die Geschwindigkeit der Transporte entscheidend. Gerade wenn es um Schutzausrüstung, Masken und Ähnliches ging. Während ein Schiff vier bis sechs Wochen braucht, ist ein Zug in zwölf bis vierzehn Tagen da. Das hat dem Ganzen einen ungeheuren Schub gegeben.

Und in Europa?
Wir alle erinnern uns an die Bilder der kilometerlangen Staus an den Grenzen aufgrund der Einreiseformalien und der Corona-Tests. 60 Prozent aller Güterzüge von DB Cargo überschreiten mindestens eine Grenze. Wir hatten aber keinerlei Staus. Da zeigt sich der Systemvorteil. Ein Güterzug kann bis zu 52 Lkw ersetzen. Das heißt: ein Corona-Test und nicht 52. Und wir konnten gegebenenfalls auch sehr schnell Lokführerwechsel an den Grenzen organisieren. Das hat dazu geführt, dass die Lieferketten auf der Schiene stabil waren.

Wie konnte DB Cargo davon wirtschaftlich profitieren?
Wir haben sofort eine Hotline geschaltet und gesagt: Die Verlagerung auf die Schiene organisieren wir schnell und unaufwändig für alle – und genau das hat gewirkt. So kam dann auch der viel beschriebene Pastazug zustande, mit dem wir Nudeln von Italien nach Deutschland gefahren haben. Aber mit unseren Zügen waren in der Coronakrise auch Verpackungsmaterialien von Deutschland nach Italien unterwegs – und Zellstoffe als Grundstoffe für Hygieneprodukte. Es gibt eine neue Sensibilität dafür, wie wir arbeiten und transportieren lassen. Neben den guten Arbeits- und Hygienebedingungen bei der Bahn geht es um Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Und da ist die Schiene konkurrenzlos.

„Die Bahn rollt mit Stahl auf Stahl.“ Wenig Widerstand auf der Schiene bedeutet geringen Energieverbrauch – effektiver geht es nicht.
„Die Bahn rollt mit Stahl auf Stahl.“ Wenig Widerstand auf der Schiene bedeutet geringen Energieverbrauch – effektiver geht es nicht.

© picture alliance/dpa

Im europäischen Güterverkehr ist die Schiene auf einigen Strecken wie dem Alpentransit schon sehr erfolgreich. Auf anderen Strecken hat sie einen sehr geringen Marktanteil – etwa zwischen Spanien und Deutschland.
Für DB Cargo ist die Route nach Spanien eine sehr spannende. Wir haben in Spanien eine eigene Gesellschaft – die Transfesa, die viele Teile für die Automobilindustrie transportiert, aber auch Orangen aus Spanien über Frankreich nach England bringt. Die Route von Spanien nach Nordeuropa gehört zu unseren 13 Hauptkorridoren. Aber da gibt es noch unglaubliche Potentiale – zumal die Strecke lang ist. Je länger die Strecke ist, desto mehr greifen der Systemvorteil der Schiene und der Umweltvorteil. Die Bahn rollt mit Stahl auf Stahl, effektiver geht es nicht. Wir haben den geringsten Widerstand und den geringsten Energieverbrauch.

Was kann man also tun, damit Obst aus Spanien nicht mehr mit dem LKW nach Deutschland kommt?
Es wichtig, dass wir hier die Angebote machen. Die Rahmenbedingungen sind aber auch entscheidend. Ich hoffe, dass wir dazu kommen, dass das umweltfreundlichste Verkehrsmittel auch bevorzugt wird. Wir müssen den Zustand, dass Lkw in riesigen Schlangen tausende Kilometer durch Europa fahren, irgendwann beenden. Und es sieht alles danach aus, dass das sehr kurzfristig auch der Fall sein wird.

Mit Hilfe der Politik?
Ich wünsche mir Kostentransparenz und Kostengerechtigkeit. Die vermeintlich so günstige Straße – das wissen wir – ist ja in Wirklichkeit sauteuer. Weil die Allgemeinheit die Kosten der Straße trägt. Die Straße hat doppelt bis dreimal so hohe externe Kosten wie die Schiene. Sie werden aber nicht verursachungsgerecht getragen. Wenn wir das ändern, regelt sich alles andere von selbst.

Wie wichtig ist die europäische Perspektive für die Verkehrswende?
Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag das Ziel verankert, den Modal Split der Schiene bis 2030 von 18 Prozent auf 25 Prozent zu erhöhen. Das ist wichtig und richtig. Aber wir müssen das Thema europäisch denken. Über die Verkehrsverlagerung auf die Schiene wird auch am Terminal in Verona oder am Terminal in Frankreich oder Spanien entschieden. Das Europäische Jahr der Schiene ist für mich deshalb auch ganz entscheidend. Denn technische Innovationen können wir nur in Europa umsetzen – etwa die Einführung einer Digitalen Automatischen Kupplung. Es geht darum, fast 500 000 Güterwagen in ganz Europa mit einer einheitlichen digitalen Kupplungstechnik auszurüsten. Das macht den Schienengüterverkehr insgesamt und langfristig wirtschaftlicher.

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Sie haben den in der Pandemie eingeführten Pastazug erwähnt. Warum haben die Wettbewerber insgesamt geringere Transportmengen verloren als DB Cargo?
DB Cargo hat das größte Netzwerk und die größten Kunden. Viele unserer Verlader kommen aus der Automobil- und Stahlindustrie. Das sind zwei Industriebereiche, die im letzten Frühjahr einen dramatischen Einbruch hatten. Den haben wir natürlich auch gespürt. Seitdem haben wir uns aber sehr gut stabilisiert und ich bin stolz darauf, dass wir jetzt in den ersten Monaten dieses Jahres sogar leicht über unseren Planungen liegen.

DB Cargo ist dennoch das größte Sorgenkind des DB-Konzerns. Die Gütertochter hat in den vergangenen zehn Jahren fast die Hälfte ihrer Transportmenge an Wettbewerber verloren.
Der Güterverkehr auf der Schiene scheint in ganz Europa in einer herausfordernden Situation zu sein. Wenn, dann haben wir ein systemisches Problem, weil eben nicht das umweltfreundlichste und nachhaltig-günstigste System gewählt wird. Jahrzehntelang wurde in eine andere Richtung gesteuert. Hier gilt es nun, einen gesellschaftlichen Trend umzukehren. Ich bin aber überzeugt, das wird gelingen. Ich spüre es ganz deutlich in Gesprächen mit unseren Kunden. CO2-arme Produktion spielt eine zunehmende Rolle. Und das heißt auch: mehr Transporte über die Schiene. Mit mehr Transporten wird dann auch eine bessere Wirtschaftlichkeit einhergehen.

Aber die Güterbahnen sind traditionell stark bei Massen- und Schuttgütern wie Kohle, die immer weniger werden.
Dass der Kohletransport zurückgehen wird, wissen wir. Ähnliches gilt perspektivisch auch für Mineralöltransporte. Dafür werden Wasserstofftransporte in der Zukunft ein wichtiges Geschäftsfeld für uns. Hinzu kommen nachhaltige Baustoffe. Wir transportieren inzwischen wieder viel mehr Holz. Ein großes Thema ist aber natürlich auch die Konsumgüterindustrie. Supermarkt-Waren sind zunehmend auf langen Lieferketten durch ganz Europa unterwegs. Die Orangen aus Spanien sind ein Beispiel dafür. Wir wollen zudem Pakete, die oft durch halb Europa unterwegs sind, auf die Schiene bringen. Wir besprechen gerade mit DHL, wie wir 20 Prozent ihrer Pakete über die Schiene transportieren können.

Sie möchten auch den Einzelwagenverkehr wieder stärken. Wie weit sind Sie da in ihrem ersten Jahr bei DB Cargo schon gekommen?
Das Einzelwagensystem ist ja ein gigantisches Netzwerk. Es gibt über 4000 Zugangspunkte in dieses Netz, um einzelne Wagen oder Wagengruppen zu transportieren. Das ist wichtig für mittelständische Kunden. Aber auch 50 Prozent der Stahltransporte erfolgen im Einzelwagensystem. Und ein Netzwerk lebt von Menge. Wir müssen die Prozesse digitalisieren, damit es schneller und kostengünstiger geht, und das europäische Netzwerk ausweiten, damit mehr Input in den Einzelwagenverkehr kommt. Lange war es sehr kompliziert und langwierig, einzelne Wagen zu kombinieren und durch ganz Europa zu schicken. Da hilft uns nun die Digitalisierung. Jeder Wagen ist getagged und teilt uns seinen Transportweg mit. Dadurch können wir das System über intelligente Algorithmen und KI optimieren. Das entwickelt sich zunehmend zu einem riesigen Vorteil. 

DB-Cargo soll zu einer Plattform für Transporte auf der Schiene werden. Was meinen Sie damit?
DB Cargo ist mit 20 000 Zügen pro Woche der größte Player im Schienengüterverkehr in Europa. Wir haben aber auch Vor- und Nachläufe in unseren Verkehren, die man gar nicht auf der Schiene fahren kann. Mein Ziel ist es, dass sich die Kunden einfach an DB Cargo wenden und alles andere von uns organisiert wird – auch der Vor- und Nachlauf auf der Straße und die Prozesse beim Kunden im Werk. Wir sind der Bahnlogistiker mit der Schiene im Herzen.

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