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Schlaue Gebäude, vor allem mit einem ausgklügelten Energiemanagement, sind bislang eher selten. Nach Angaben von Siemens kommen die nur auf einen Anteil von zehn Prozent.

© imago images/Joko

Siemens Smart Infrastructure im Porträt: Alles auf Strom

Der Siemens-Bereich konzentriert sich auf intelligente Gebäude und Energienetze und sieht ein riesiges Potenzial.

Im ganzen Land widmen sich Projekte dem Stoff der Zukunft, der Klimaschutz verspricht und für das elektrische Zeitalter unverzichtbar ist. Am Freitag setzte Markus Söder im Fichtelgebirge den symbolischen Spaten für den Bau einer Anlage zur Erzeugung von grünem Wasserstoff. Mit 8,75 Megawatt elektrischer Leistung entsteht im nordbayerischen Wunsiedel eine der größten CO2-freien Wasserstoffanlagen mit „Modellcharakter für ganz Deutschland“, wie es bei Siemens heißt. Der Elektrolyseur von Siemens Energy wandelt erneuerbare Energie in ein speicherbares Medium um. Das ermöglicht diverse Anwendungen in Verkehr und Industrie – die vielbeschworene Sektorkopplung wird Realität.

Siemens auf drei Säulen

Generalunternehmer der Anlage ist die Siemens-Sparte Smart Infrastructure, die zusammen mit Smart Industries und Siemens Mobility (Schienenfahrzeuge und -technik) die Siemens AG bildet. Vom Bereich der Energieerzeugung mit dem Namen Siemens Energy hatte sich der Konzern 2020 auf dem Wege eines Börsengangs getrennt. Siemens steht also noch auf drei Säulen und hält dazu die Mehrheit an der Medizintechnikfirma Siemens Healthineers.

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70 000 Mitarbeiter machen 14 Milliarden Umsatz

Mit 70 000 Mitarbeitenden kommt Smart Infrastructure (SI) auf einen Umsatz von gut 14 Milliarden Euro. Ein Teil davon stammt aus Berlin, wo SI mit 1700 Beschäftigten Schaltanlagen, Schutzgeräte und überhaupt Leittechnik für Mittel- und Niederspannungsnetze produziert. Als traditionell größter industrieller Arbeitgeber der Stadt, hier wurde der Konzern 1847 gegründet, bezieht Siemens nach eigenen Angaben jährlich Güter und Dienstleistungen von über 2200 Lieferanten aus Berlin im Wert von rund 350 Millionen Euro.

Siemens-Vorstand Matthias Rebellius, seit 1990 im Konzern, ist für den Konzernbereich Smart Infrastructure zuständig.
Siemens-Vorstand Matthias Rebellius, seit 1990 im Konzern, ist für den Konzernbereich Smart Infrastructure zuständig.

© promo

2022 wieder auf dem Niveau von 2019

„Der Investitionsbedarf in Infrastruktur ist enorm“, sagt Matthias Rebellius, der im Siemens-Vorstand für Smart Infrastructure zuständig ist, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Der Trend zur Elektrifizierung hat uns im ersten Halbjahr starkes Wachstum gebracht.“ Und das beschleunigt sich, denn viele Länder versuchen mit Konjunkturprogrammen die Covid-Rezession hinter sich zu lassen und mit Investitionen Wirtschaft und Gesellschaft grüner und digitaler zu machen. „Unsere Prognose für den Markt bestätigt sich derzeit. Bereits 2022 wird unsere Industrie das Niveau von 2019 erreichen“, sagt SI-Chef Rebellius.

Innovationspotenzial von 90 Prozent

Knapp die Hälfte des Umsatzes der SI stammt aus dem Bereich Smart Buildings. „Nur etwa zehn Prozent der gewerblich genutzten Gebäude sind heute schon smart“, sagt Rebellius. Die Geschäftsaussichten sind also vielversprechend. „Bei Smart Buildings sehen wir ein Innovationspotenzial von 90 Prozent.“ Der Markt für energieeffiziente Gebäude wachse in diesem Jahrzehnt von 15 Milliarden auf 50 Milliarden Euro. Aktuell hat SI rund 750 000 Gebäudeservice-Kunden, die vor allem an einem intelligenten und effizienten Energiemanagement interessiert sind. „Es gibt zunehmend Gebäude, die auch Energie erzeugen. Allein das vervielfacht die Komplexität von Verteilnetzen“, sagt Rebellius.

Rebellius ist seit 1990 im Konzern

Gebäudetechnik, Elektrifizierung (Steuerung von Netzen) und elektrische Produkte für die Netze sind die drei Bereiche der Smart Infrastructure. Diplom-Ingenieur Rebellius, 1965 in Wuppertal geboren, arbeitet seit 1990 im Konzern. Als Entwicklungsingenieur befasste er sich anfangs mit chipbasierten Steuerungen für Werkzeugmaschinen. In der Industrieautomatisierung war Siemens damals schon Marktführer, heute sind die Digital Industries mit dem Internet der Dinge und dem Einsatz Künstlicher Intelligenz die profitabelste Säule der Siemens AG.

Neues Konzept für Mercedes-Marienfelde

KI setzt auch Rebellius ein, wenn es um die optimale Steuerung von Energienetzen oder die Energieversorgung von Gebäuden geht. Zum Beispiel in Berlin-Marienfelde, wo Siemens als Partner von Mercedes an einer neuen Struktur des Standorts arbeitet, der bislang noch Verbrennungsmotoren baut.

„Für große Kunden können wir einheitliche Angebote machen inklusive Energiemanagement und Flächenoptimierung“, erläutert Rebellius im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Wir helfen bei der Elektrifizierung und der nachhaltigen Entwicklung der Gebäude“, grundsätzlich biete SI eine Art Dreiklang an. „Produkte, Lösungen und Services, alles zunehmend digital unterlegt.

Dynamik beim Aufbau der Ladeinfrastruktur

Das gilt auch für die Elektromobilität. „In diesem Markt sehen wir enormes Wachstum“, sagt Rebellius mit Blick auf die Ladeinfrastruktur. „Dafür haben wir ein komplettes Programm aufgelegt inklusive Mittel- und Niederspannungsnetze.“ Derzeit gehen jede Woche hierzulande rund 250 neue Ladepunkte ans Netz, doch nach Einschätzung der Autoindustrie reicht das bei Weitem nicht aus. Rund 2000 müssten es pro Woche sein, um bis 2030 das Ziel von mehr als einer Million Ladepunkten zu erreichen.

Wasserstoff aus Bayern

„Die großen Trends sind Dekarbonisierung, Digitalisierung und Urbanisierung“, beschreibt Rebellius den Wandel in diesem Jahrzehnt. Und natürlich Wasserstoff. Im bayerischen Wunsiedel können demnächst pro Jahr 1350 Tonnen Wasserstoff ausschließlich mit regenerativer Energie aus Photovoltaik und Windkraft hergestellt werden. Durch den Einsatz dieser Menge in Verkehr und Industrie werden jährlich bis zu 13 500 Tonnen CO2 vermieden, gibt der Generalunternehmer SI an. „Wir haben dazu ein Energiekonzept mit intelligenter Vernetzung entworfen“, sagt Siemens-Vorstand Rebellius, der das Innovationspotenzial allein in solchen Smart Grids auf 80 Prozent veranschlagt. Auf dem Weg in die All Electric World muss dieses Potenzial nur noch gehoben werden.

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