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Ardalan Shekarabi ist mit seiner Familie aus dem Iran geflohen. Der Sozialdemokrat ist in Schweden Sozialversicherungsminister.

© Johanna Lundberg/imago images/Bildbyran

Schwedens Sozialminister im Interview: "Die Aktienrente ist der richtige Weg"

Ardalan Shekarabi über sein Land als Vorbild, höhere Renditen für die Rente zu erreichen, und Schwedens Sonderweg bei der Corona-Bekämpfung.

Deutschland eifert Schweden nach, wenn es um das Rentensystem geht. Die deutsche rot-grün-gelbe Regierung will eine Aktienrente einführen. Rund zwei Prozent der Rentenbeiträge sollen kapitalmarktbasiert angelegt werden und eine höhere Rendite bringen. Schweden hat solche Vorsorgefonds bereits seit 1998. Ein Vorbild für Deutschland? Ja, sagt Schwedens Sozialversicherungsminister Ardalan Shekarabi. Die für 2022 geplante Anschubfinanzierung von zehn Milliarden Euro aus der Staatskasse ist wegen der Ukraine-Krise jedoch im ersten Haushaltsentwurf der Regierung Scholz nicht aufgetaucht.

Minister Shekarabi, vor den Nordischen Botschaften ist die Ukrainische Flagge gehisst. Wie sehr beeinflusst der Krieg Schweden? Kommen auch zu Ihnen Geflüchtete?
Der Krieg beschäftigt uns sehr. Geflüchtete kommen von Polen aus zu uns. Und wir haben Sorge um unsere nationale Sicherheit. Wir haben in der vergangenen Woche beschlossen, unseren Verteidigungsetat zu erhöhen. Und es gibt eine große Verunsicherung in der Bevölkerung. Ich habe in den vergangenen zwei Wochen viele Schulen besucht. Die jungen Leute können nicht fassen, dass plötzlich Krieg vor unserer Haustür herrscht.. Schweden hat eine lange Friedensgeschichte. In den vergangenen 200 Jahren gab es keinen Krieg bei uns.
Ihre Familie ist aus dem Iran geflohen. Berührt Sie die Flucht der Menschen aus der Ukraine daher besonders?
Ja, aber damit bin ich nicht allein. Viele Schweden sind ja aus ihren früheren Heimatländern geflohen. Die Bilder von Menschen auf der Flucht lösen schmerzhafte Erinnerungen aus. Aber es gibt auch eine große Welle der Hilfsbereitschaft bei uns. Viele junge Menschen, die selber Migrationshintergrund haben, engagieren sich für die Geflüchteten aus der Ukraine.

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In Deutschland sollen demnächst nahezu alle Corona-Regeln aufgehoben werden. Vielen Bundesbürgern macht das Angst. Schweden ist von Anfang an einen Sonderweg gegangen und hatte praktisch keine Beschränkungen. Wie ist Ihre Erfahrung. Ist die Furcht begründet?
Natürlich müssen wir vorsichtig bleiben. Covid ist eine gefährliche Krankheit. Wir dürfen nicht vergessen, dass Corona unser Leben in den vergangenen zwei Jahren auf den Kopf gestellt hat. Wir sind aber davon überzeugt, dass nicht Restriktionen, sondern Impfungen der richtige Weg sind. In Schweden sind 84 Prozent der Menschen doppelt geimpft, derzeit läuft eine große Kampagne für die Booster-Impfung. Es ist wichtig, dass möglichst viele Menschen alle Impfungen haben, bevor die kalte Jahreszeit wiederbeginnt. Bei den jungen Leuten setzt jetzt eine gewisse Nachlässigkeit ein, man muss sie erinnern. Aber es gibt bei uns keine grundsätzlichen Vorbehalte gegen das Impfen.

Gibt es in Schweden irgendwelche Einschränkungen wegen Corona?
Für Geimpfte gibt es praktisch keine Einschränkungen. Für Ungeimpfte gelten einige Empfehlungen.

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Keine Masken, kein Lockdown: Schweden ist bei Corona einen Sonderweg gegangen.
Keine Masken, kein Lockdown: Schweden ist bei Corona einen Sonderweg gegangen.

© imago images/MASKOT

Deutschland will Schweden auch auf einem anderen Feld folgen, der Rente. Die Koalition hat sich darauf geeinigt, dass künftig zwei Prozent der Rentenbeiträge in eine sogenannte Aktienrente fließen sollen. Sie haben so etwas schon seit 14 Jahren. Ist das die richtige Lösung für eine alternde Gesellschaft?
Ja. Wir haben neben der gesetzlichen Rentenversicherung seit 1998 kapitalmarktbasierte Vorsorgefonds, die „Capital Funds“. Der größte von ihnen ist der halbstaatliche AP7-Fonds. In ihn fließen 99 Prozent der Beiträge. Seine Renditen sind gut, die Kosten sind minimal. Die Aktienrente ist der richtige Weg. Wir lassen Deutschland gern an unseren Erfahrungen teilhaben.
Neben dem AP7 konnten die Schweden bislang aus über 800 Fondsangeboten wählen. Gab es keine Flops darunter?
Doch, deshalb werden wir das System jetzt reformieren. Unter den 800 Anbietern waren nicht alle seriös.
Wie funktioniert das schwedische Rentensystem?
Die Arbeitgeber und der Staat zahlen die Rentenbeiträge, 16 Prozent fließen wie in Deutschland in die Rentenkasse.
Arbeitnehmer zahlen nichts?
Nein, aber dafür bekommen sie weniger Lohn, das gleicht sich wieder aus. Weitere 2,5 Prozent der Einkünfte gehen in den Vorsorgefonds – mit höherer Rendite.
Wie hoch ist die Rendite?
Das hängt von den Anbietern ab. Im Schnitt der vergangenen Jahre waren es sieben Prozent, aber es gibt auch Anbieter, die zehn Prozent und mehr schaffen. 2020 waren die Renditen etwas niedriger. Der AP7 hat konservativer angelegt und so nur 4,4 Prozent erzielt.

Hoffentlich fallen die Kurse nicht: Ein Teil der Rente soll künftig in Aktien und Anleihen angelegt werden.
Hoffentlich fallen die Kurse nicht: Ein Teil der Rente soll künftig in Aktien und Anleihen angelegt werden.

© Getty Images/iStockphoto

Kürzlich sind die Börsen wegen des Kriegs gecrasht. Sind Aktien wirklich eine solide Basis für die Altersvorsorge?
Jedes Investment birgt Risiken. Deshalb ist ja auch nur ein kleiner Teil der Rentenbeiträge in „Capital Funds“ investiert. Aber die Vorsorgefonds legen das Geld ja unterschiedlich an. Die Menschen haben die Wahl.
Wie viele Fonds bleiben nach der geplanten Reform übrig?
Ich denke, um die 200. Aber das wichtigste ist, dass wir die Aufsicht und den Wettbewerb der Fonds untereinander verbessern werden. Bisher haben wir ein reines Lizenzsystem, die Höhe der Verwaltungsgebühren hat bislang praktisch keine Rolle gespielt. Das soll sich ändern. Wir verbessern die Kontrolle.
Hat der Staat Menschen, die Geld bei schlechten Anbietern verloren haben, den Schaden ersetzt?
Nein, das ist das Risiko der Anleger, wenn die Rendite des Fonds niedrig ist.
Sie haben schon 1998 begonnen, Deutschland zieht erst jetzt nach. Ist das Timing nicht gefährlich, wenn man bedenkt, dass bald drei Millionen Babyboomer in Rente gehen und die Rentenversicherung jeden Cent braucht?
Unsere Erfahrung ist positiv. Klar, gibt es Risiken, und die Details, wie man so etwas auflegt, sind wichtig. Aber ich kann Ihnen sagen, wir haben bessere und höhere Renten durch die „Capital Funds“.
Die Koalition verspricht im Koalitionsvertrag, dass das Rentenniveau nicht sinken, die Beiträge nicht steigen werden und die Menschen auch nicht länger arbeiten müssen. Aber ist das finanzierbar? Müssen Menschen nicht länger arbeiten, wenn die Lebenserwartung steigt?
Wir haben in Schweden dieselbe Diskussion. Es gibt nicht die eine richtige Antwort, Sie müssen verschiedene Werkzeuge kombinieren. Natürlich ist es eine Lösung, das Renteneintrittsalter heraufzusetzen. Aber viele Leute sind so krank, dass sie noch nicht einmal das aktuelle Renteneintrittsalter erreichen. Wenn Sie das Alter weiter heraufsetzen, müssen Sie die Arbeitsbedingungen verbessern. Außerdem ist es wichtig, dass auch Leute, die lange gearbeitet haben, aber trotzdem nur eine kleine Rente haben, über die Runden kommen. Seit September gibt es daher auch bei uns eine Art Grundrente. Und im August werden wir eine Mindestrente auf den Weg bringen.

Grundrente: Wer lange gearbeitet und trotzdem nur eine kleine Rente hat, bekommt vom Staat einen Zuschlag.
Grundrente: Wer lange gearbeitet und trotzdem nur eine kleine Rente hat, bekommt vom Staat einen Zuschlag.

© imago images/photothek/Ute Grabowsky

Wie hoch wird die sein?
Ungefähr 800 Euro im Monat. Aber es gibt noch einen Mietkostenzuschuss von bis zu 700 Euro im Monat. Außerdem haben 90 Prozent der Schweden noch eine Betriebsrente.
Wann geht man in Schweden in Rente?
Derzeit noch mit 65, nächstes Jahr mit 66 und 2026 mit 67. Und danach wird das Renteneintrittsalter an die durchschnittliche Lebenserwartung geknüpft.
Gibt es etwas, das Sie von Deutschland lernen können?
Ja. Die deutsche Grundrente finden wir spannend. Und dass der Begriff Respekt im letzten Wahlkampf eine so große Rolle gespielt hat, ist uns aufgefallen. Einige der älteren Menschen bei uns fühlen sich abgehängt. Dass die Rente eine große Rolle im erfolgreichen Wahlkampf der Sozialdemokraten gespielt hat, ist ein Vorbild für unsere Partei.
Wann wird bei Ihnen gewählt?
In diesem September.

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