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Gründer wechseln in die USA, weil es dort mehr Geld gibt, meint der SAP-Chef.

© M. Wolff

SAP-Chef Bernd Leukert im Interview: „Das Vertrauen in die deutsche Industrie ist extrem groß“

Bernd Leukert, Vorstandsmitglied von SAP, spricht im Tagesspiegel-Interview über die digitale Agenda der Regierung, Datensicherheit und die Industrie 4.0.

Herr Leukert, über die digitale Agenda der Bundesregierung und den IT-Gipfel wurde viel diskutiert. Lohnt sich die Aufregung?

Wir sind froh, dass es überhaupt eine digitale Agenda gibt. Der Breitbandausbau ist sicher ein wichtiges Element. Er wird aber bei weitem nicht ausreichen, um die Bedürfnisse der Industrie zu befriedigen. Der Mehrwert für die Industrie entsteht mit den Anwendungen, die ganz neue Geschäftsmodelle möglich machen. Da gibt es noch großen Handlungsbedarf.

Zum Beispiel?

Wir haben im Mittelstand viele Weltmarktführer, die davon abhängig sind, dass sie unter den Hochschulabsolventen und Facharbeitern hierzulande den Nachwuchs mit dem notwendigen Wissen finden. Es fehlt an Forschungsgeldern, um erst einmal eine Basis für die richtige Ausbildung zu schaffen. Wir sind in Gesprächen mit Universitäten und Ministerien, um beide zusammenzubringen und für eine Anschubfinanzierung zu sorgen.

Um welche Ausbildung geht es?

Durch die Industrie 4.0...

... also die Digitalisierung und Vernetzung der Produktionsprozesse über das Internet...

...wird ein Großteil der Innovationen über Software, Algorithmen und Daten in die Produkte einfließen. Das gilt selbst für Konsumgüterhersteller. Auch Rasenmäher oder Kühlschränke werden sich mit dem Netz verbinden. Dafür braucht man aber Leute, die nicht nur die Fachkompetenz aus dem Maschinen- und Automobilbau oder der Elektrotechnik mitbringen, sondern die auch eine mathematisch-analytische Ausbildung haben. Das sind ganz neue Anforderungen.

Vernetzte Rasenmäher oder Waschmaschinen gibt es schon.

Ja, es gibt viele individuelle Projekte. Für ein einzelnes Unternehmen bedeutet das aber einen großen Kraftakt. Idealerweise würde man in Forschung und Lehre – unterstützt durch Fördergelder und die Industrie – eine Referenzarchitektur für jeden Industriezweig definieren.

Wie soll das aussehen?

Wenn eine Firma zum Beispiel einen Rasenmäher herstellt, der sich mit dem Internet verbindet, wäre es hilfreich, wenn sie nicht für jedes Gerät eine eigene Lösung entwickeln muss, sondern auf gewisse Standards zurückgreifen kann. So ähnlich wie wir heute standardisierte Stecker für Elektrogeräte haben. Ein Standard für die Industrie 4.0 könnte dann auch eine Grundlage für neue Ausbildungs- und Studiengänge sein.

Wir brauchen ein Bildungssystem 4.0?

Hochschulen und Fakultäten müssen sich öffnen und enger zusammenarbeiten. Wir müssen den Mut haben, Standards zu definieren. Im Maschinenbau, überall wo Deutschland Weltmarktführer ist, haben wir doch die Chance, selbst Standards zu setzen. Wir sollten nicht warten, bis andere es tun.

Sind andere weiter?

Die Amerikaner haben bereits ein Industriekonsortium gegründet. Dieses Konsortium hat angekündigt, dass es eine Referenzarchitektur definieren wird. Es gibt eine intensive Kooperation mit Firmen wie General Electric. Ich kann allerdings nicht beurteilen, ob es nur Marketing-Sprüche sind oder ob es bereits Fabriken gibt, die so arbeiten. Es wird einen Verdrängungswettbewerb geben – auch zwischen den Industrien. Es kommen ja verschiedene Disziplinen zusammen, Maschinenbau und Software zum Beispiel. Es geht schlicht um die Frage: Wem gehören die Daten? Ich glaube, dass wir aufeinander zugehen und Partnerschaften und Konsortien bilden sollten. Davon würden alle profitieren

Inwiefern?

Wir haben ein Pilotprojekt mit einem Maschinenbauer: Der stellt bei seinen Kunden Maschinen auf und rechnet die Maschinenstunden nach Nutzung ab, ähnlich wie ein Stromzähler den Verbrauch misst. Dabei kann er die Produktion laufend überwachen und die Maschinen arbeiten immer im Idealzustand. Die Maschinenbaufirma möchte das ausbauen, braucht aber jemanden, der die Daten sammelt und überwacht. Wenn es einen Standard für diese Prozesse gäbe, wäre das einfacher. Dafür brauchen wir die Unterstützung der Regierung, die Zusammenarbeit mit der Forschung und die Kompetenz der Universitäten, damit Mitarbeiter, die in Zukunft in die Unternehmen gehen, bereits Ahnung davon haben.

Hat die Regierung das verstanden?

Wir sind schon ein großes Stück vorangekommen. Aber wir dürfen nicht nur darüber reden, sondern wir müssen auch Gelder für Bildung und Forschung zur Verfügung stellen, die Themen in Lehrpläne integrieren und in den Universitäten nicht die Software von gestern lehren, sondern die von morgen. Bei SAP zeigen wir in unseren Innovationszentren in Palo Alto und Potsdam, wie wir Kreativität und Innovation in interdisziplinären Teams fördern. Interessanterweise kommen jetzt auch andere Regierungen und wollen, dass wir ihnen helfen.

Und SAP hilft?

Wir haben vor kurzem eine Zusammenarbeit mit der südkoreanischen Präsidentin Park Geun Hye vereinbart. Wir werden in Seoul ein Design-Innovationcenter errichten, das nicht nur SAP, sondern auch den koreanischen Universitäten und der Industrie zur Verfügung steht. Diese Entscheidungsfreude und Agilität würde ich mir hier auch wünschen.

Wir groß ist das Vertrauen im deutschen Mittelstand in die Speicherung von Daten in der Cloud?

Ich glaube, man muss in Stufen vorgehen. Den Zustand einer Maschine in Echtzeit überwachen zu können ist ein Schritt, die Maschine aus der Cloud zu steuern ein nächster.

Ist die deutsche Cloud die Lösung?

Gründer wechseln in die USA, weil es dort mehr Geld gibt, meint der SAP-Chef.
Gründer wechseln in die USA, weil es dort mehr Geld gibt, meint der SAP-Chef.

© M. Wolff

Ist eine „deutsche Cloud“ ein möglicher Weg, Vertrauen zu schaffen?

Wir haben die große Chance, mit einer Richtlinie für Datensicherheit und Datenschutz Wettbewerbsvorteile für Europa und für Deutschland zu etablieren. Das Vertrauen in deutsche Ingenieurskunst und in die deutsche Industrie ist extrem hoch. Das könnte auch für den deutschen Mittelstand ein enormer Vorteil sein.

Wie überzeugen Sie einen mittelständischen Maschinenbauer, seine Daten der Cloud anzuvertrauen?

Das ist ein Dauerthema. Wenn ein Maschinenbauer sagt: Meine Daten bleiben bei mir, dann muss man das selbstverständlich akzeptieren. Aber man muss dem Maschinenbauer in der Konsequenz auch klarmachen, dass er dann die entsprechenden Kompetenzen braucht, um ein eigenes Rechenzentrum zu betreiben.

SAP ist das einzige Start-up aus Deutschland, das es in den vergangenen Jahrzehnten zum Weltkonzern gebracht hat. Was sind die wichtigsten Gründe?

Die SAP-Gründer hatten damals eine große Portion Mut zum Risiko. Und sie verfolgten eine Software-Idee, die es noch nicht gab. Das gilt übrigens heute noch immer, wenn Sie ein Unternehmen gründen wollen. Und dann muss man sich permanent selbst hinterfragen, darf keine unternehmerische Angst zeigen und nicht sagen, wir bleiben bei dem, was uns bisher stark gemacht hat. Zudem ist es wichtig, globale Trends zu erkennen. Nehmen sie die Liste der größten Unternehmen der Welt. Da finden Sie vier oder fünf chinesische Unternehmen unter den Top Ten. Mit denen muss man reden. Man muss Partnerschaften eingehen, sie am besten zu Kunden machen.

Sind die Rahmenbedingungen für Start-ups in Deutschland so viel schlechter als im Silicon Valley?

Der entscheidende Unterschied ist, dass im Silicon Valley sehr viel Risikokapital unterwegs ist. Über SAP Ventures investieren wir ja selbst in neue Trends. Und ein großer Teil des Geldes steckt ebenfalls in Start-ups aus der Bay Area, weil es dort einfach sehr viel mehr Möglichkeiten gibt. Mein Eindruck ist, dass Start- ups hierzulande in der ersten Finanzierungsrunde genug Geld zur Verfügung steht. Aber ab zwei Millionen Euro wird es schwieriger. Ich kenne Gründer, die ins Silicon Valley gezogen sind, weil sie dort leichter Geld bekommen.

Wie sehen Sie die Entwicklung in Berlin?

In Berlin hat sich viel getan. Es ist eine Basis, die man fördern kann und sollte. Wir machen den jungen Unternehmen unsere Technologie zu guten Konditionen zugänglich. Aber mit mehr Wagniskapital könnte man natürlich mehr erreichen. Auf der Kapitalebene sollten aber andere mithelfen.

Müssen nicht die großen Unternehmen mehr tun?

Wir haben gerade mit der TU Berlin eine neue Initiative gestartet. Wir wollen ein Zentrum aufbauen, das eine Brücke zwischen Berlin und unserem Innovationszentrum in Potsdam baut. Wir wollen Start-ups und Entrepreneurship fördern.

Ihr Job ist es, für Innovationen zu sorgen. Wie schafft man das auf Dauer?

Innovationen kann man nicht anordnen. Wir bei SAP machen es zum Beispiel so: Jeder, der eine Idee hat, darf an einem Tag in der Woche daran arbeiten, auch mit Kollegen. Wir wollen Innovation nicht in ein Team delegieren, sondern eine Kultur schaffen, in der jeder im Unternehmen das Gefühl hat, er kann etwas dazu beitragen. Am Innovationszentrum in Potsdam arbeiten wir außerdem mithilfe der Design-Thinking-Methode. Das ist ein iterativer Prozess, bei dem wir gemeinsam mit Kunden Lösungen entwickeln. Oft kommen ganz andere Produkte dabei heraus, als wir anfangs dachten. Design spielt dabei eine wichtige Rolle. Auch bei Software sehe ich einen Trend zu mehr emotionalen Käufen.

Leute kaufen Software, weil sie schön ist?

Lassen Sie es mich so formulieren: Es muss Spaß machen, Software zu nutzen. Wie fühlt sich das Produkt an, wie leicht kann ich es bedienen, wie flexibel ist es - solche Fragen spielen eine immer wichtigere Rolle. Das ist ein fundamentaler Wandel in unserer Industrie. Firmen wie Apple haben sicher dazu beigetragen.

Das Gespräch führte Corinna Visser.

Zur Person

Karriere

Bernd Leukert ist Wirtschaftsingenieur und seit Mai dieses Jahres Vorstandsmitglied der SAP SE. Leukert arbeitet seit 20 Jahren für SAP, zu Beginn als Softwareentwickler für SAP R/3. Heute ist er verantwortlich für alle Produkte einschließlich Anwendungen, Analytics, Cloud, Datenbanken sowie mobile Technologien. In der Entwicklung arbeiten bei SAP rund 20 000 Personen.

Konzern

SAP wurde 1972 von fünf ehemaligen IBM-Mitarbeitern gegründet, darunter Dietmar Hopp und Hasso Plattner. Heute ist SAP der größte europäische Softwarekonzern und versorgt mehr als 250 000 Kunden in aller Welt mit Unternehmenssoftware. Der Hauptsitz ist im badischen Walldorf. Weltweit beschäftigt SAP derzeit fast 70 000 Mitarbeiter.

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