zum Hauptinhalt
Der Diesel-Skandal könnte VW bald noch teurer zu stehen kommen.

© dpa

Sammelklagen nach Dieselgate: Mehr als 220.000 Menschen wollen Volkswagen verklagen

185.000 Anmeldungen für die Musterfeststellungsklage, 40.000 Fälle für My Right. An diesem Dienstag verhandelt das erste OLG eine Musterklage gegen VW.

Kurz vor Jahresende und dem dann drohenden Eintritt der Verjährung machen die VW-Opfer mobil. Täglich steigt die Zahl derjenigen, die Schadensersatz für die manipulierten Dieselfahrzeuge verlangen. Auch die öffentliche Hand mischt mit. Baden-Württemberg plant eine Klage gegen den Wolfsburger Konzern, um sich wegen der Diesel im Fuhrpark der öffentlichen Hand schadlos zu halten, NRW prüft einen ähnlichen Schritt. Die Berliner Polizei, die etwa den VW-Touran fährt, hat sich gegen eine Klage und für das von VW angebotene Softwareupdate entschieden.

Auch immer mehr Privatkunden setzen sich zur Wehr. 185 000 Menschen haben sich bereits in das Klageregister beim Bundesamt für Justiz eingetragen, um bei der Musterfeststellungsklage des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV) in Kooperation mit dem ADAC mitzumachen. „Wir sind mit der Resonanz mehr als zufrieden“, sagt VZBV-Chef Klaus Müller.

Die Zahl dürfte noch weiter steigen: Denn wer sich bis Jahresende eintragen lässt, hemmt die Verjährung. Sollten die Verbraucherschützer eines Tages mit ihrer Klage Erfolg haben, können sich die registrierten Kunden auf das Musterurteil berufen. Zwar müssen sie dann noch in einem zweiten Schritt ihren individuellen Schadensersatz geltend machen, die Grundsatzfragen sind jedoch geklärt.

My Right betreut über 40 000 Fälle

Zehntausende VW-Dieseleigentümer gehen einen anderen Weg. Sie haben ihre Ansprüche an den Prozessfinanzierer My Right abgetreten. Mehr als 40 000 Fälle hat My Right, unterstützt durch die Berliner Kanzlei Hausfeld, inzwischen gesammelt. Fünf große Sammelklagen mit jeweils mehr als 1000 Ansprüchen sind vor Landgerichten anhängig. Hinzu kommt noch eine Handvoll Musterklagen.

Am morgigen Dienstag könnte My Right Rechtsgeschichte schreiben. Vor dem Oberlandesgericht Braunschweig wird die Klage eines von My Right unterstützten Musterkunden verhandelt. „Damit entscheidet erstmals ein Oberlandesgericht eine Klage im Abgasskandal, die sich nicht gegen Händler, sondern VW direkt richtet“, berichtet Hausfeld-Anwalt Christopher Rother.

Das Landgericht Braunschweig hatte die Klage abgewiesen, Rother sieht vor dem Oberlandesgericht jedoch Chancen. Seine Hoffnung gründet sich auf das Urteil des EuGH aus dem Oktober zum Einsatz von verbotenen Kältemitteln bei Daimler-Fahrzeugen. Der Anwalt schließt daraus, dass die Typgenehmigung der manipulierten VW-Diesel nicht als Argument für die Ablehnung von Schadensersatzansprüchen dienen kann. Unklar ist, ob am Dienstag bereits ein Urteil fällt oder das Gericht einen späteren Verkündungstermin ansetzt.

Bisher hat VW Urteile höherer Instanzen verhindert

Tatsächlich hat VW bisher Urteile höherer Instanzen vermieden. „Auffällig viele Gerichtstermine in höheren Instanzen oder kürzlich sogar vor dem Bundesgerichtshof werden kurzfristig abgesagt“, sagt Jutta Gurkmann, die beim VZBV die Musterfeststellungsklage betreut. „Das legt aus unserer Sicht die Vermutung nahe, dass VW negative Urteile verhindert, indem das Unternehmen Vergleiche schließt und zahlt, dafür aber die Kunden zum Stillschweigen verpflichtet.“ Vor den Landgerichten, sagt Gurkmann, hat sich das Blatt längst schon zugunsten der Kläger gewendet. „86 von 113 Landgerichten haben inzwischen gegen VW entschieden“, weiß die Juristin.

Drei Wege, VW zu verklagen

Verbraucher, die gegen VW vorgehen wollen, können entweder selbst Klage erheben, sich der Musterfeststellungsklage der Verbraucherschützer anschließen oder ihre Ansprüche an My Right abtreten. Alle Wege haben ihre Vor- und Nachteile.

Wer selbst klagt, profitiert bei einem Erfolg unmittelbar, trägt aber das volle Prozessrisiko. Das Vorgehen dürfte sich daher vor allem für Menschen anbieten, die eine Rechtsschutzversicherung haben. Die Teilnahme an der Musterfeststellungsklage ist zwar gratis, die Verbraucher sind jedoch gezwungen, in einem zweiten Schritt selbst noch einmal aktiv zu werden, um ihre Ansprüche durchzusetzen. Das dürfte auch erklären, warum viele Anwälte derzeit für die Musterfeststellungsklage werben. Sie hoffen auf Anschlussmandate nach Ende des Musterverfahrens. Wer sich an My Right wendet, muss sich um nichts kümmern, aber im Fall eines Erfolgs 30 Prozent des Schadensersatzes abgeben. Und: Ob die massenhafte Abtretung an My Right juristisch zulässig ist, ist nach wie vor von den Gerichten nicht geklärt.
Kein Wunder, dass der eine oder andere, der bereits mit My Right ins Geschäft gekommen war, überlegt, sich der Musterklage der Verbraucherschützer anzuschließen. Doch das ist nicht ganz leicht. Denn dazu müsste My Right dem Kunden seinen Anspruch zurückgeben. Der Prozessfinanzierer ist dazu bereit, aber nur gegen Entgelt. „Wir weisen darauf hin, dass bei Kündigung der Sammelklage alle Kosten für Rechtsanwälte und Gerichte an uns zu erstatten sind, die wir für Sie getätigt haben und die uns weiter noch durch die Rücknahme ihrer Klage entstehen werden“, heißt es in einem Schreiben an einen My Right-Kunden. „Dies werden circa 219 Euro sein“.

Zur Startseite