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Ein Hauch von Annäherung. In Russland wie in Deutschland mehren sich die Stimmen, die einen Ausweg aus der Sanktionsspirale suchen. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Russlands Sanktionen: Kreml-Berater raten zur Umkehr - Regierung droht mit Gasstopp

Der russische Energieminister droht mit Kürzungen der Gas-Lieferung - und belastet die Berliner Gespräche im Gaslieferstreit am Freitag

Am Donnerstag drohte Energieminister Alexander Nowak vor der für den heutigen Freitag in Berlin angesetzten Gesprächsrunde im Gasstreit offen mit Lieferunterbrechungen, sollten Europas Kunden sich nicht an die Verträge mit Gazprom halten, und etwa Gas in die Ukraine leiten. "Die geschlossenen Verträge sehen keinen Re-Export vor“, sagte der russische Energieminister Alexander Nowak dem “Handelsblatt“. Die russische Regierung hoffe, dass sich die europäischen Partner an die getroffenen Vereinbarungen hielten. "Nur das kann die unterbrechungsfreien Lieferungen an europäische Verbraucher garantieren“, sagte der Minister dem Blatt.

Eine derart offene Drohung gegen den Westen, die schärfste Sanktionswaffe einzusetzen, hat man lange nicht aus Moskau gehört. Die Worte des Ministers sind ein Indiz dafür, dass die Nerven in Moskau blank liegen.

Vergangene Woche noch hatte Außenminister Sergei Lawrow nur Andeutungen gemacht, als er sagte, neue Sanktionen des Westens würden man "nicht unbeantwortet lassen". Präsidentenberater Andrej Beloussow drohte, Russland werde mit Importbeschränkungen für Fahrzeuge, Kleidung, Holzprodukte und Finanzdienstleistungen kontern. Regierungschef Dmitri Medwedew könne sich sogar die Sperrung des russischen Luftraums für westliche Fluggesellschaften vorstellen, hieß es. Die nutzen für ihre Flüge nach Fernost derzeit den sibirischen Korridor. Müssten sie nach Süden ausweichen, würden Flugzeiten und damit zwangsläufig auch die Kosten bei den europäischen Airlines auf den Fernost-Routen drastisch steigen.

Derartige Drohungen stehen im Raum. Allerdings sind in Moskau derzeit verstärkt die Stimmen zu hören, die vor einer weiteren Eskalation warnen. Sanktionen, sagte zum Beispiel Vizepremier Dmitri Kosak, der zum persönlichen Freundeskreis von Präsident Wladimir Putin zählt, seien eine Art „letztes Mittel“ und bestenfalls Maßnahmen, die nur dann ergriffen werden, wenn sie die russische Wirtschaft stützen. Moskau plane derzeit keine derartigen Schritte, sagte Kosak. Ähnlich äußerte sich Anfang der Woche auch der für Wirtschaft zuständige Vizepremier Arkadi Dworkowitsch.

Immer mehr russische Experten und Spitzenbeamte, so scheint es, tendiert derzeit zu der Auffassung, dass Russland mit weiterem Drehen an der Sanktionsspirale vor allem sich selbst schadet. So entfielen auf Agrarerzeugnisse aus der EU, den USA, Norwegen und Kanada vor Moskaus Embargo immerhin knapp 20 Prozent des gesamten russischen Lebensmittelmarktes. Beteuerungen der Politiker, wonach der Einfuhrstopp für Russland nicht sonderlich schmerzhaft sei, hält Alexei Arbatow, Direktor des Zentrums für internationale Sicherheit beim Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften, für „nicht sehr überzeugend“. Für den Westen dagegen, sagte er der Nachrichtenagentur RIA Nowosti, sei der Schaden minimal. Das Verbot würde lediglich ein Prozent des gesamten EU- und US-Exports betreffen.

Warum ein Überflugverbot wie ein Bumerang wirken würde...

Mit Blick auf den derzeitigen Zustand der russischen Wirtschaft sei es ohnehin schwer, Sanktionen zu verhängen, die nicht als Bumerang wirkten. Auf ein russisches Überflugverbot würde der Westen mit Maßnahmen gegen die Aeroflot reagieren und diese damit in den Konkurs treiben. Ein Sanktionskrieg, glaubt Arbatow, mache nur dann Sinn, wenn die Konfliktparteien eine mehr oder minder gleiche Wirtschaftsleistung erbringen. Von einem derartigen „Gleichgewicht des Schreckens“ indes ist Russland, das schon vor der Ukraine-Krise auf dem Weg in die Rezession war, heute weiter denn je entfernt.

Völlig anders sieht das Wjatscheslaw Nikonow, der Chef des staatsnahen Think Tanks „Politika“. Er glaubt, die erste Runde russischer Gegensanktionen habe den europäischen Unternehmen „substanziell geschadet“. Auf neue Gegenaktionen würde Moskau vorerst dennoch verzichten, um eine einvernehmliche Regelung der Ukraine-Krise nicht zu gefährden.

Die bisher bei den Verhandlungen der Kontaktgruppe in Minsk erzielten Fortschritte veranlassten besonders risikofreudige Propheten bereits, das baldige Ende der Sanktionen, zumindest jedoch deren Lockerung, zu verkünden. Bestätigt sahen sie sich vergangene Woche, als 500 deutsche Kreuzfahrt-Gäste bei einem Landgang Jalta erkundeten: die Perle der Krim, die seit dem Russland-Beitritt von europäischen Schiffen nicht mehr angelaufen werden darf. Die „Ocean Majesty“ gehört einem griechischen Reeder, gechartert hatte sie der deutschen Reiseveranstalter Hansa-Touristik.

Am Donnerstag lieferte die deutsche, aber international tätige Unternehmensberatung Roland Berger den moderaten Ökonomen in Russland neuen Stoff. Sie präsentierte eine Studie, wonach die russischen Sanktionen gegen die westliche Automobilbranche Russland selbst am härtesten treffen. In den ersten acht Monaten sei der russische Fahrzeugmarkt um zwölf Prozent geschrumpft, im Juli und August jeweils sogar um 25 Prozent eingebrochen. Ein komplettes Embargo für West-Fahrzeuge würde einen wirtschaftlichen Schaden von 1,4 Milliarden Euro verursachen, heißt es in dem Papier, hier nachzulesen (Englisch).

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