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Stricken und Nähen. Die Berliner Start-up-Gründerin Amber Riedl ist mit ihrem Geschäftspartner Axel Heinz trotz vieler Hürden sehr erfolgreich.

© Sabine Hölper

Rollenbilder als Barriere: Warum es Gründerinnen schwer haben

Gerade einmal zehn Prozent der deutschen Start-ups wird von Frauen gegründet. Eine Studie zeigt, wie Rollenbilder Gründerinnen ausbremsen können.

An die irritierten Blicke der Investoren erinnert sich Amber Riedl noch heute, nachdem sie ihnen ihre Start-up-Idee präsentiert hatte: Ein Online-Portal für Anleitungen und Videokurse rund ums Nähen, Stricken, Plotten und Häkeln – „Gedöns“ aus Sicht vieler Geldgeber. Ein großes Geschäft? Wohl kaum. Doch Riedl gibt damals nicht auf, sondern kommt zusammen mit ihrem Mitgründer Axel Heinz beim nächsten Versuch auf die Idee mit dem Fußballvergleich.

Sieben Millionen Deutsche spielen laut Statista jede Woche in ihrer Freizeit Fußball, zehn Millionen Menschen aber widmen sich wöchentlich Handarbeiten wie Nähen und Stricken. Das wirkte. Riedl und Heinz bekamen das Investorengeld, gründeten „Makerist“ und machten daraus innerhalb von sieben Jahren ein Millionengeschäft: Anfang März verkauften sie das Berliner Start-up, das inzwischen mehr als 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat, für einen zweistelligen Millionenbetrag an die Hamburger Kreativplattform Fabfab, die sich über den Handarbeits-Boom gerade in Coronazeiten freuen dürfte: Um 100 Prozent sei der „Makerist“-Markt in Deutschland im März gewachsen, in Frankreich sogar um 500 Prozent.

Riedls Beispiel zeigt, wie sehr in der Digitalbranche in Stereotypen gedacht wird – und wie Gründerinnen diese manchmal sogar selbst bedienen müssen, um etwa erst durch einen Fußballvergleich Gehör zu finden in den Investorenrunden, die häufig reine Männerrunden sind. Doch was Riedl geschafft hat, gelingt weiterhin nur wenigen Frauen, wie erneut der Blick auf das erste Quartal 2020 zeigt: Von den rund 700 neu gegründeten Start-ups wurden gerade einmal rund zehn Prozent von Frauen gegründet, zeigt eine Analyse von Statista. Das ist sogar noch ein Rückschritt im Vergleich zu 2019: Lediglich 15,7 Prozent der Unternehmen in der Digitalbranche waren von Frauen gegründet worden, das sind gerade einmal 0,6 Prozent mehr als im Vorjahr, zeigt der Female Founders Monitor. Liegt das womöglich auch an den herrschenden Stereotypen in der Gesellschaft?

Männer gelten eher als Gründerpersönlichkeit als Frauen

Erstmals hat sich deshalb nun eine Studie im Auftrag des „Gründerwettbewerbs“ des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) mit der Frage beschäftigt, ob und wie Rollenbilder potenzielle Gründerinnen bremsen können – selbstverständlich nicht als einzige Barriere, aber eben als eine.

Demnach werden Eigenschaften erfolgreicher Gründungspersönlichkeiten im Allgemeinen überwiegend dem männlichen Stereotyp zugeschrieben, wie beispielsweise: Eine erfolgreiche Gründungspersönlichkeit ist bereit, „auch über Leichen zu gehen, um ihre Ziele zu erreichen“, sie ist „offen für Risiken und mit Mut zum Scheitern ausgestattet“ und sie stellt Familie und Freunde zurück und denkt „vor allem an den Erfolg des Unternehmens“. Auch von Gründerinnen werden diese Eigenschaften erwartet – teils allerdings noch extremer als bei Gründungspersönlichkeiten im Allgemeinen, wie das „Leichen“-Beispiel veranschaulicht.

Frauen können andere Frauen zum Gründen animieren, meint Amber Riedl.
Frauen können andere Frauen zum Gründen animieren, meint Amber Riedl.

© Amber Riedl

Während neun Prozent der Befragten erwarten, dass eine erfolgreiche Gründungspersönlichkeit im Allgemeinen „über Leichen geht“, wird dies von elf Prozent der Befragten von Gründerinnen erwartet. Auch werden an sie höhere Ansprüche gestellt bei der Kompetenz in ihrem Fachgebiet (60,4 Prozent bei Gründerinnen/57 Prozent im Allgemeinen), beim „ausgeprägten Weitblick“ (51,9 Prozent/44 Prozent) oder darin „voller guter Ideen und Kreativität“ zu sein (62,2 Prozent/57 Prozent) – dass sie es schaffen, Familie und Freunde zurückzustellen und „vor allem an den Erfolg des Unternehmens“ zu denken, wird von ihnen dagegen weniger erwartet (18,9 Prozent/20 Prozent). Was offensichtlich zeigt, dass sie die Doppelbelastung Familie und Karriere besser meisten können sollen. Für die Studie waren Expertinnen und Experten aus dem deutschen Start-up-Ökosystem interviewt und 4270 Personen in einer repräsentativen Umfrage sowie 100 digitalaffine Menschen befragt worden.

Auch Amber Riedl hat die Erfahrung gemacht, dass die Start-up-Szene sehr von Stereotypen geprägt ist. „Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass Gründerinnen nun ihren männlichen Kollegen nacheifern und versuchen sollten, besonders laut oder breitbeinig aufzutreten, wenn das gar nicht ihrem Typ entspricht“, erklärt sie. Davor warnt auch die Investorin Isabelle Canu vom Venture Capital-Fonds Coparion: „Wer sich verstellt, wirkt am Ende wenig glaubwürdig“, warnt sie. Doch auch wenn Rollenbilder laut Studie Einfluss auf die Start-up-Gründungsquote unter Frauen haben könnten, müssten weitere Aspekte berücksichtigt werden.

Mehr Investorinnen bedeutet nicht, dass es mehr Gründerinnen gibt

Beispielsweise, dass auf Investorenseite weiterhin vor allem Männer darüber entscheiden, welches Start-up Geld bekomme. Doch mehr Frauen auf Geldgeberseite würden wiederum nicht automatisch mehr Gründerinnen bedeuten: „Am Ende geht es weiblichen wie männlichen Investoren darum, eine gute Rendite zu erzielen“, sagt sie. Wobei divers aufgestellte Teams eben häufig bessere Ergebnisse erreichen würden als rein männliche – aber die seien eben rar. Um Frauen gerade zum Gründen von Start-ups zu ermuntern, die besonders nachgefragte Software-Dienstleistungen bieten, müsse bereits in der Schule und dann im Studium daran gearbeitet werden, dass mehr Mädchen und junge Frauen technische Fächer wählen – wie dominant das Klischee hier ist, hat Canu auch in ihrer Familie erlebt.

Ihre zwölfjährige Tochter habe gerade Informatik als Wahlpflichtfach gewählt – und die Reaktion darauf? Großes Erstaunen, dass sie sich „das als Mädchen traue“. Einen ähnlichen Spruch habe es auch für Canus ältere Tochter nach der Wahl des Mathe-Leistungskurses gegeben: „Wenn bereits Schülerinnen so früh ausgebremst werden, ist es wenig überraschend, wenn sich solche Rollenbilder dann weiter manifestieren und damit Einfluss auf mögliche Gründungen genommen wird“, sagt Canu. Deshalb müsse bereits in der Schule mit mehr Förderung für Mädchen in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern angesetzt werden.

Frauen wollen sich nicht nur mit Frauen messen

Dazu regulierend etwas über Frauenquoten in Start-ups oder Venture-Capital-Fonds einzugreifen, lehnt Canu ab: „Frauen wollen nicht im ,Gründerinnenwettbewerb’ gewinnen, sondern im ,Gründerwettbewerb’“. Eine Meinung, die auch „Makerist“-Gründerin Amber Riedl teilt. Sie wünscht sich von Kolleginnen darüber hinaus mehr Offenheit über die Hürden, die sie gerade als Gründerinnen nehmen mussten: „Ein Start-up aufzuziehen, ist verdammt hart. Zu hören, dass und womit auch andere Frauen gekämpft und dann Erfolg gehabt haben, würde Mut machen“, erklärt sie.

Nähen, Strickeln, Häckeln wird als Frauengedöns verspottet. Die Gründer von Makerist haben ihr Start-up für einen zweistelligen Millionenbetrag an die Hamburger Kreativplattform Fabfab verkauft.
Nähen, Strickeln, Häckeln wird als Frauengedöns verspottet. Die Gründer von Makerist haben ihr Start-up für einen zweistelligen Millionenbetrag an die Hamburger Kreativplattform Fabfab verkauft.

© promo

Auch die Autorinnen und Autoren der Rollenbild-Studie (Antonia Andres, Wolfram Groß, Peggy Kelterborn, Wilhelmine Kudernatsch und Jan Wessels) sind vorsichtig mit Forderungen nach mehr Regulierung. Sie schlagen verschiedene Ansätze vor, wie beispielsweise, den Frauenanteil in „gründungsnahen Institutionen“ zu erhöhen, Frauen als (potenzielle) Gründerinnen spezifischer anzusprechen, insbesondere im Digitalbereich, Gründerinnen-Vorbilder verstärkt hervorzuheben und gendergerechte Sprache konsequenter“ einzusetzen, was etwa auch den Namen „Gründerwettbewerb“ miteinschließe.

Auch das Wirtschaftsministerium verweist auf Nachholbedarf. Zwar gebe es bereits bestehende Maßnahmen zur Förderung von Frauen wie die Initiative „Frauen Unternehmen“, jedoch, so die ernüchternde Erkenntnis, sei „Gründung durch Frauen kein Thema, in dem sich in kurzer Zeit Erfolge erzielen lassen“. Deshalb sei es erforderlich, auf weitere gesellschaftliche Veränderungen hinzuarbeiten: „Das reicht von der Erziehung im Elternhaus bis zur Ausbildung in Schulen und Hochschulen beziehungsweise der beruflichen Qualifizierung.“ Auch hätten es weibliche Gründer schwerer ist, eine Finanzierung für ihre Gründungsidee zu erhalten: „Frauen muss daher der Zugang zu Wagniskapital erleichtert werden, damit mehr von ihnen gründen. Dafür ist auch wichtig, dass mehr Frauen selbst Investorinnen werden“, sagt die Ministeriumssprecherin.

Das kann sich künftig auch Amber Riedl vorstellen, jetzt will sie sich aber erstmal weiter auf Makerist konzentrieren – und zur 100-Millionen-Euro-Firma machen.

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