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Rasende E-Rikschas.  Dank austauschbarer Batterien werden die Dreiräder mit E-Antrieb in Indien immer populärer.

© AFP

Rikschas mit Batterie: Wie Indien bei der Elektromobilität vorausfährt

Rikschas gehören zu den größten Luftverschmutzern in Indien. Deshalb steigen immer mehr Fahrer auf E-Rikschas um. Auch für das lange Laden gibt es eine Lösung.

Hebel hochklappen, Batterie raus, neue Batterie rein, Hebel runterklappen. Vier Handgriffe, dann schwingt sich Vijay Kumar wieder auf den Fahrersitz, dreht den Zündschlüssel, die Rikscha fährt los. Leise surrend rollt sie vom Hof und auf die Hauptstraße, Kumar steuert sie durch den Wust aus Rikschas, Mopeds, Bussen, Autos, lautes Dauerhupen, dunkle Wolken von Auspuffabgasen.

Ein später Dienstagnachmittag in Hyderabad, Südindien, Kumar ist unterwegs zu Kunden, er arbeitet als Fahrer bei der Online-Lebensmittelkette Bigbasket. Kumars Rikscha sieht aus wie die meisten Waren-Rikschas auf Indiens Straßen. Ein Rad vorne, zwei Räder hinten, quadratische Ladefläche, an den Seiten Plastikplane.

Doch Kumars Rikscha ist anders als die anderen. Er fährt eine Elektro-Rikscha, die mit einer modernen Lithium-Ionen-Batterie läuft. Für Kumar ist das Fahrzeug eine Revolution. „Früher musste ich die Batterie über mehrere Stunden aufladen“, erzählt er. „Wenn ich heute die leere Batterie gegen eine geladene tausche, das dauert nicht einmal eine Minute.“

Die dreirädrigen Auto-Rikschas prägen die Städte Asiens, besonders in Indien sind sie das Hauptverkehrsmittel im urbanen Raum. Indien ist der weltweit größte Produzent und Exporteur von Rikschas. In den Metropolen wie der Hauptstadt Neu-Delhi geht ohne die Dreirad-Mobile gar nichts, sie sind die beste und oft einzige Option, um die Lücken im öffentlichen Transportnetz zu schließen.

Früher fuhren Rikschas mit Benzin oder Diesel und nach wie vor sind in Indien viele alte Modelle unterwegs, sie gehören zu den größten Luftverschmutzern des Landes.

E-Rikschas haben bereits einen Marktanteil von 80 Prozent

Vor gut zehn Jahren allerdings kam eine neue Art dazu: elektrisch betriebene Rikschas. Während der Anteil der E-Autos in Indien bisher nur ein Prozent des Elektrofahrzeugmarkts ausmacht, liegt der Anteil der E-Rikschas bei mehr als 80 Prozent. Mittlerweile wird die Zahl der Elektro-Rikschas in Indiens Städten auf mehr als zwei Millionen geschätzt, die pro Tag etwa 60 Millionen Menschen transportieren.

Während es in Deutschland mit der E-Mobilität nur langsam vorangeht, hat sich die E-Mobilität in Indien bereits stark entwickelt. Und das fast aus dem Nichts. Als die ersten batteriebetriebenen E-Rikschas auf den Markt kamen, gab es keine einzige Ladestation. Trotzdem stiegen viele Rikscha-Fahrer auf ein Elektromodell um, weil sie günstiger waren als die bisherigen mit dem klassischen Verbrennungsmotor. Das Ladeproblem haben die Fahrer notgedrungen selbst gelöst: Viele laden ihre Rikscha illegal, indem sie nachts öffentliche Stromleitungen anzapfen.

Anfangs gab es nur Bleibatterien

Doch die erste Generation der E-Rikschas ist wenig nutzerfreundlich. Das Problem: Sie fahren mit einer Bleibatterie. Die Batterie ist das Entscheidende bei einem Elektrofahrzeug: Welche Fahrdistanz ist drin, welche Geschwindigkeit ist möglich, wie lange dauert das Laden? Eine Bleibatterie braucht acht bis neun Stunden Ladezeit, maximales Tempo sind 25 Kilometer pro Stunde, dazu kommt eine kurze Lebensdauer, nach einem halbes Jahr muss eine Bleibatterie bereits ausgetauscht werden.

Raja und Rahul Gayam sahen diese Probleme als Chance. Die beiden Brüder, 30 und 34, sind die Gründer und Inhaber von Gayam Motor Works, kurz GMW, ein Start-up aus Hyderabad. 2010 hatten sie die stillgelegte Fabrik ihres Vaters wiederbelebt, der früher Lkw und Busse gebaut hatte. Anfangs stellte GMW konventionelle Diesel- und Benzin-Rikschas her, die sie in ganz Asien verkauften. Parallel jedoch tüftelten die Brüder an einer E-Rikscha. Rahul, ein Physiker, entwickelte eine Lithium-Ionen-Batterie, wie sie auch E-Auto-Hersteller Tesla verbaut.

2015 brachte GMW Indiens erste E-Rikscha mit Lithium-Batterie auf den Markt. Sie ist kleiner und leichter als die Blei-Modelle, ermöglicht Geschwindigkeiten von 55 Kilometer pro Stunde und hält mehrere Jahre. Klare Vorteile gegenüber allem, was es bis dahin auf dem Markt gab. Dafür kostet sie deutlich mehr als eine Bleibatterie. Für die Kunden ist das jedoch kein Problem. Sie kaufen bei GMW nur ihre Rikschas – Eigentümer der Batterien bleiben die Gayam-Brüder. GMW agiert wie ein Batterievermieter. „Die Batterien von den Fahrzeugen trennen, das ist für den Käufer zunächst kostenneutral und auf lange Sicht sogar günstiger“, sagt Rahul Gayam.

An speziellen Stationen tauschen Fahrer leere gegen geladene Batterien

Das System funktioniert so: GMW installiert bei jedem Kunden eine Ladestation. Braucht ein Fahrer für seine Rikscha frische Energie, kommt er zu einer der GMW-Stationen, lässt seine leere Batterie zum Aufladen da und setzt eine geladene Batterie ein. „Mit unserem System ist eine Rikscha in weniger als einer Minute komplett neu geladen“, sagt Raya Gayam. Dazu läuft das System digital: Die Batterien sind mit einer Datencloud verbunden, über eine App erfährt der Fahrer den aktuellen Akkustand und die Route zur nächsten Ladestation. Lieferant Kumar klingt begeistert: „Ich verliere beim Laden keine Zeit, sondern kann sofort weiter zum nächsten Kunden oder zurück zum Warenlager.“

Das Tauschsystem löst das Ladezeitproblem – etwas, das selbst E-Auto-Pionier Tesla bisher nicht gelöst hat. Für ihr Konzept haben die Gayam-Brüder diverse Innovationspreise gewonnen, das Wirtschaftsmagazin „Forbes Asia“ wählte Rahul Gayam 2018 in die Top 30 der „Unternehmer unter 30“ in Asien. Käufer bei GMW sind vor allem Unternehmen, die mit den Fahrzeugen ihre Endkunden beliefern, darunter Branchenriesen wie Ikea, Walmart und Amazon. Bei Ikea in Hyderabad tanken die Rikscha-Batterien Strom aus Solarzellen, die das Möbelhaus auf seinem Gebäude installiert hat. „Solar ist unser nächster Schritt“, sagt Rahul Gayam. „Künftig rüsten wir unsere Ladestationen mit Solarzellen aus.“

Hauptenergiequelle in Indien bleibt die Kohle

Damit wäre sein Unternehmen der nationalen Energiepolitik einen Riesenschritt voraus. Zwar plant die indische Regierung große Investitionen in die Solarenergie, doch als Hauptenergiequelle will sie weiterhin Kohle nutzen. Indien hat zwar doppelt so viel Sonne wie Europa – aber auch die fünftgrößten Kohlereserven der Welt. Für die E-Mobilität hat die Regierung ebenfalls viele Pläne, 2020 sollen in dem 1,3-Milliarden-Einwohner-Land sieben Millionen Elektrofahrzeuge unterwegs sein. Denn die Zahl der Menschen in den Städten, die Zahl der Großstädte und die Umweltprobleme wachsen, 14 der am meisten verschmutzten Städte der Welt liegen in Indien.

Doch obwohl das Land eine Energiewende braucht: Der Staat begünstigt immer noch die heimischen Hersteller von Diesel- und Benzinfahrzeugen mit Steuervorteilen, E-Fahrzeuge mit Lithiumbatterien sind weiterhin sehr teuer, nach wie vor gibt es kaum öffentliche Ladestationen.

Anstatt auf die Politik zu warten, nehmen indische Unternehmen den Wandel selbst in die Hand. Automobilhersteller Mahindra hat eine Produktion von privaten Rikschas mit Lithium-Batterien angekündigt. Fahrdienst-Anbieter Ola hat nahe der Hauptstadt eine Batterietausch-Station eröffnet und will 250 Millionen US-Dollar in das Entwickeln neuer E-Technologien investieren. Das Start-up SmartE in Neu-Delhi baut ein Netz aus Ladestationen und vermietet E-Rikschas an Fahrer, die sich selbst kein modernes E-Fahrzeug leisten können. In Uttar Pradesh und Bihar, den ärmsten Regionen Indiens, hilft das Sozialunternehmen SMV Green Solutions Rikschafahrern beim Finanzieren eines E-Fahrzeugs, weil die bei Banken als Geringverdiener keine Kredite bekommen.

Für das Start-up GMW in Hyderabad hat sich die frühzeitige Konzentration auf die E-Mobilität längst ausgezahlt. Die Gayam-Brüder planen bereits den Bau einer zweiten Fabrik. Ihre Batterietausch-Rikschas verkaufen sie mittlerweile auch in die Nachbarländer Bangladesch und Nepal. Seit Kurzem stellen sie zudem E-Bikes her. Und Gründer Rahul tüftelt an einer ganz neuen Art von Fahrzeug-Stromspeicher als Alternative zu Batterien. Die will er ebenfalls in Rikschas einbauen. „Autos sind für uns uninteressant“, sagt Rahul. „Die Menschen in den Städten Indiens, in ganz Asien, fahren nun mal Rikscha. Und dieser Markt ist groß genug, um weiter zu wachsen.“

Daniela Schröder

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