zum Hauptinhalt
Prost. Bier in Maßkrügen.

© Matthias Balk/dpa

Resteessen fürs Klima: Wenn altes Brot zu Bier wird

Limo aus Orangenschalen, Müsli aus überreifen Bananen, vegane Bratwurst. Das ist gut für die Umwelt, aber schmeckt das auch?

Burger aus Erbsen, Limonade aus Orangenresten, Bier aus altem Brot: Auch die Lebensmittelbranche hat den Klimaschutz entdeckt. Und der beginnt oft beim Fleisch.

Vegetarier verursachen 40 Prozent weniger Treibhausgasemissionen, Veganer sogar 60 Prozent weniger als Fleischesser, hat das Umweltbundesamt ausgerechnet. Ein Veggie-Day in der Woche würde in Deutschland 687 000 Tonnen Fleisch und 3,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente sparen, das entspricht etwa dem Jahresausstoß von 1,5 Millionen Pkw.

Was gut für die Umwelt ist, spült auch Geld in die Kassen der Unternehmen. Die Unternehmensberatung A.T. Kearney hält es für möglich, dass vegetarische oder vegane Schnitzel, Burger oder Wurst in den nächsten 20 Jahren einen Marktanteil von bis zu 60 Prozent erobern können. Der Höhenflug des US–Veggie-Burgerproduzenten Beyond Meat macht auch europäischen Anbietern Appetit.

Die Rügenwalder Mühle mischt groß mit, aber auch Nestlé ist schon seit langem mit Veggie-Burgern, -Schnitzeln oder veganem Hähnchenfilet im Supermarktregal. Das ist gut fürs Geschäft und fürs Image, immerhin steht der Konzern in der Kritik, Wasserrechte in Afrika zu kaufen und mit dem knappen Rohstoff Profit zu machen – was der Konzern bestreitet.

Wie schmeckt vegane Bratwurst?

Mit seinen Veggie-Produkten steht Nestlé dagegen auf der Seite der Klimaschützer. Jetzt ist das Sortiment um ein Produkt reicher, die „Incredible Wurst“. Im rohen Zustand sieht sie einer groben Bratwurst erstaunlich ähnlich. Allerdings verbirgt sich unter ihrer Haut aus Algen kein Fleisch, sondern ein pflanzliches Gemisch aus Soja, Rote Beete, Karotten, Paprika und Rapsöl. Die Produktion verbraucht angeblich 90 Prozent weniger Wasser, die Treibhausgasemissionen sind ebenfalls um 90 Prozent niedriger als bei einer normalen Bratwurst, sagte Nestlé. Allerdings stammt die Hälfte des verarbeiteten Sojas aus Nordamerika.

Soja statt Schwein. Nach dem Veggie-Burger hat Nestlé jetzt auch eine vegane Bratwurst im Angebot. Fleischlose Alternativen liegen im Trend, der Markt wächst.
Soja statt Schwein. Nach dem Veggie-Burger hat Nestlé jetzt auch eine vegane Bratwurst im Angebot. Fleischlose Alternativen liegen im Trend, der Markt wächst.

© AFP

Ab April soll die „Vurst“ in die Läden kommen, die Besucher der Grünen Woche vorab schon mal probieren. Fazit: Konsistenz und Geschmack kommen den Pendants aus Fleisch erstaunlich nahe. Zwei Würste sollen allerdings 3,50 Euro kosten.

Nicht nur die Großen, auch viele Start-ups versuchen, klimafreundlichere Lebensmittel auf den Markt zu bringen. Einige von ihnen sind ebenfalls auf der Grünen Woche zu Gast und können sich in der Halle 3.2 der Ernährungsindustrie vorstellen. „Ein entscheidender Teil der Start-up-Szene kommt aus der Ernährungsbranche“, sagt Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbands. Der Konkurrenzkampf ist groß. Rund 170 000 Produkte stehen in den Regalen der Supermärkte, 40 000 kommen jedes Jahr neu dazu. „Und 40 000 verschwinden auch wieder“, berichtet Minhoff. Was nicht gekauft wird, fliegt raus.

Orangenlimo aus den Schalen: die Geschäftsidee der Firma "Zestup".
Orangenlimo aus den Schalen: die Geschäftsidee der Firma "Zestup".

© dpa

Innovative Produkte müssen daher nicht nur das gute Gewissen, sondern auch den Gaumen bedienen. Ein Problem, mit dem etwa „BanaBooms“ zu kämpfen haben dürfte. Ines Kutzli und Inna Zhuraviova verarbeiten überreife Bananen zu Frühstückscerealien und retten sie so vor der Mülltonne. Die Idee hat ihnen diverse Preise auf Start-up-Wettbewerben gebracht, doch leider schmecken die Bananenkügelchen pappig und erinnern an Löschpapier.

Limo aus Orangenresten

Vier junge Männer aus Lemgo hatten sich gefragt, was mit den vielen Orangen passiert, die in Bars oder Restaurants zu Saft verarbeitet werden. Nun verarbeiten sie die Schalen zu einem Softdrink, dem man geschmacklich nicht anmerkt, dass es eine Resteverwertung ist.

Klimakiller: Darf man eigentlich noch Fleisch essen?
Klimakiller: Darf man eigentlich noch Fleisch essen?

© Getty Images/iStockphoto

Auch das erste Zero-Waste-Bier Deutschlands ist Restetrinken: „Knärzje“ verwendet aussortiertes Brot. Jedes Jahr landen zwei Millionen Tonnen Backwaren im Müll, einige finden jetzt den Weg in den Braukessel. Daniel Anthes und Ralf Wagner ersetzen bis zu einem Drittel des Braumalzes durch getrocknetes, gehäckseltes Brot.

Geschmack durch Duft

Ob ein Lebensmittel schmeckt oder nicht, wird nicht nur auf der Zunge, sondern auch in der Nase entschieden. Das retronasale Riechen macht sich Lena Jüngst zunutze. Sie kombiniert ihre „Air-up“-Flasche mit austauschbaren Duftpads. Obwohl man reines Wasser trinkt, denkt man, dass die Flüssigkeit Zitronen-, Apfel- oder Pfirsichsaft enthält. Ein Duftring reicht für fünf bis zehn Liter Wasser.

Hermann Lotze-Campen ist skeptisch, ob Produkte aus Lebensmittelresten oder Insekten tatsächlich den Weg raus aus der Nische schaffen können. Zwar ist er davon überzeugt, dass die Verwertung von Produktionsabfällen ökologisch sinnvoll ist, richtig wirksam aber nur, wenn die breite Masse angesprochen wird und andere Produkte verdrängt werden. Gleiches gelte für Lebensmittel auf Insektenbasis, die ebenfalls auf der Grünen Woche zu sehen sind. Lotze-Campen ist Leiter der Abteilung für Klimaresilienz am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

„Am stärksten sinkt der ökologische Fußabdruck bei der Umstellung auf eine rein pflanzliche Lebensmittelproduktion“, sagt der Wissenschaftler. Wenn also auf tierische Erzeugnisse wie Fleisch oder Milch verzichtet wird und die Tiefkühlpizza ohne Salami auskommt. Einsparungen, die durch die Optimierung von Produktionsprozessen und Lieferketten erreicht werden können, seien dagegen vergleichbar klein: Die Klimabelastung durch lange Transportwege werde überschätzt.

Zur Startseite