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Tag für Tag kommt Sven M. zur Arbeit. Den Chefs ist seine Vorgeschichte egal.

© Kai-Uwe Heinrich

Resozialisierung: Tagsüber bei der Arbeit, nachts in Haft

Seit zwei Wochen macht Sven M. eine Ausbildung zum Gebäudereiniger. Was seine Kollegen nicht wissen: Die Nächte verbringt er im Gefängnis.

Für andere den Boden schrubben, ihre Fingerabdrücke von der Tischplatte putzen, nervt ihn nicht. Auch wenn er mal sechstausend, zehntausend Euro im Monat verdient hat, macht er die Ausbildung ohne zu klagen. Was soll er auch schon für Ansprüche haben?

Nur der erste Tag in der Berufsschule, letzte Woche, der war hart. Wie jung die anderen waren. So jung. Sven M. ist 28. Fast doppelt so alt wie der Schüler neben ihm. Anders ist auch: Der neben ihm schläft in einer Wohnung, vielleicht noch bei seinen Eltern; Sven M. in einer Gefängniszelle.

Dass er Häftling und Auszubildender zugleich ist, liegt daran, dass er mittlerweile im offenen Vollzug ist. Sven M., rasierter Kopf, breites Kreuz, verlässt die Haftanstalt fast jeden Morgen um 4.40 Uhr, wenn es noch dunkel ist. Kommt abends um 20.40 Uhr wieder. Die anderen Mitarbeiter des Gebäudereinigers GRG wissen das nicht.

Putzen ist nicht das, was sich Sven M. als Kind erträumt hat. Er wollte Polizist werden. „Mit einer Pistole rumlaufen“, sagt er. Dass mit der Polizei und den Waffen passierte später wirklich. Aber anders als in seiner Vorstellung.

Kindheit in Spandau, fünf Geschwister, er der Jüngste. „Ich musste da schon viel einstecken. Die haben meine Füße gefesselt und gesagt, ich soll die Treppe runtergehen.“ Dem Vater rutschte manchmal die Hand aus, aber Sven M. nimmt ihm das nicht übel. „Das war damals halt so, hat mich hart gemacht.“

Und wie hart er wird.

Sie fanden Marihuana und Macheten

Schon in der Grundschule fällt den Lehrern auf, wie aggressiv er ist. Als er sieben ist, trennen sich die Eltern. Mit 14 steht Sven M. das erste Mal vor einem Richter. Drogen verticken, mit den Jungs abhängen, irgendwen packen, auf ihn einprügeln, so wächst er auf. „Ich war ein Schläger, hatte Spaß daran.“ Mit 18 wird Sven M. für anderthalb Jahre eingesperrt. Genützt hat es wenig. Neun Monate draußen, da soll er schon wieder rein.

Bei der GRG ist Sven M. nicht der einzige Häftling. Es sind fünf. Anfangs zweifelten sie im Unternehmen durchaus. Was wohl die Kunden sagen würden. Sie erzählten es nicht. Es sei egal, was Bewerber in ihrem Leben verbrochen hätten. Jeder mache Fehler. Jeder habe eine zweite Chance verdient. Dass man diese Sätze glaubt, liegt an dem Vor-Vorgesetzten von Sven M. – Thomas Prill. Dessen Mutter arbeitete 35 Jahre als Wärterin im Frauengefängnis, verstand sich aber eher als Sozialarbeiterin. Ein Häftling ist mehr als ein Häftling – das hat ihn geprägt.

Als er von Sven M. hört, fragt er, „aha, wie alt is’n der?“ Warum Sven M. 2015 verhaftet und zu drei Jahren und acht Monaten verurteilt wurde, will Thomas Prill nicht wissen. „Interessiert mich nicht. Und wenn einer mit ’ner Machete durchs Einkaufscenter gerannt ist.“

Sven M. nickt. „Ja, so haben Sie mich hier aufgenommen.“

Die Polizisten fanden vier Macheten bei Sven M. zu Hause. Und dreieinhalb Kilo Marihuana. Das Gras verkaufte er, um sich Koks zu besorgen. Zu der Zeit zog er zwei, drei Gramm am Tag.

Laut der Statistik steht seine Chance 1:3

Eine Ausbildung. Zum Gebäudereiniger. Im Monat 500 Euro haben. Sven M. hat mit sich gehadert, ob er das machen soll. Aber was hatte er schon für eine Wahl. Sven M. hat in seinem Lebenslauf einen Hauptschulabschluss stehen – und Vorstrafen. Zuletzt wegen bewaffneten Drogenhandels. Andere Unternehmen, bei denen er sich bewarb, lehnten ab. Sie hätten schon jemanden gefunden, schrieben sie an seine JVA-Mailadresse zurück. Dabei sah er, wie sie im Internet weiter nach Leuten suchten. „Fast einen Monat ging das so“, sagt Sven M. „Da hatte ich fast keinen Bock mehr.“ Auch wenn er einen Job macht, den wenige wollen, kriegt er nach der Ausbildung mehr als ein Helfer, sagt er, und will sich weiterbilden. So wie sein Vorgesetzter: 24, leitet ein Team, bildet andere aus. Das will Sven M. auch.

Mehr als die Hälfte seines Lebens war er kriminell. Jetzt will er was ändern.

Laut der Statistik steht seine Chance 1:3. In den ersten drei Jahren nach seiner Entlassung wird jeder Dritte wieder straffällig, besagt eine Statistik des Justizministeriums. Diese Wahrscheinlichkeit sinkt, wenn jemand arbeitet. Häftlinge können deswegen während ihrer Strafe einen Schulabschluss nachholen, eine Ausbildung machen, studieren. Arbeit ist im Gefängnis Pflicht. Damit auch Unternehmen wie die GRG einem Straftäter einen Job geben, sind einige Mitarbeiter der Arbeitsagentur allein dafür zuständig.

Denn: Ohne Job kein Geld. Und ohne Geld ist der Weg zu alten Bekannten und alten Gewohnheiten der Leichteste. Hat Sven M. oft mitangesehen. „Man kommt raus, steht draußen vor’m Tor, knallt sich mit den Kumpels erst mal die Birne zu und überlegt, wie man an Kohle kommt“, sagt er. „Hab im Knast öfters wen nach ein paar Monaten wiedergesehen.“

Das will Sven M. nicht. Er hat genug verpasst. So viele Geburtstage seiner Neffen und seiner Nichte. Er hat Jahre verloren, die Eltern enttäuscht, seine Mutter zum Weinen gebracht, die vor Sorge um ihn nachts wach lag. Eine Schwester spricht nicht mit ihm. „Das lohnt sich alles nicht“, sagt Sven M. Weil aber nicht plötzlich jeder Tag leicht ist, er manchmal noch diese Wut in sich spürt, geht er weiterhin zur Drogenberatung und spricht über seine Probleme. Hat er mit 20 lernen müssen.

Träumen Sie manchmal von Ihren Taten? „Nein.“

Als er 2010 zum zweiten Mal ins Jugendgefängnis soll, wegen fünffacher Körperverletzung, entscheidet die Richterin: Du machst jetzt eine Therapie! Raus aus dem heiklen Umfeld und nicht wieder rein in den Jugendknast, den Sven M. „Schule“ nennt. So einige Häftlinge kommen krimineller raus, als sie reingekommen sind. Mehr als ein Jahr lang macht Sven M. die Therapie. Bis heute ist er der Richterin dafür dankbar. „Wenn mir davor was nicht gepasst hat, hab ich den anderen weggehauen und hatte meine Ruhe.“

Nur fing er irgendwann mit dem Koksen an. Wurde unberechenbar. Einen Menschen würgte er fast zu Tote, einen warf er fast aus dem Fenster. Einen trat er, während der schon bewusstlos da lag, einem schlug er mit einer Axt fast die Hand ab. „Wie ich da drauf war, echt schlimm.“

Träumen Sie manchmal von Ihren Taten?

„Nein.“

Was wäre, wenn Sie ein Opfer in der Bahn wiedersehen?

„Ich kann da nicht viel drüber nachdenken.“

Thomas Prill wusste all das nicht, als er Sven M. den Vertrag vorlegte. „Interessiert mich nicht“, sagt er wieder. „Ich sehe nur, wie er sich jetzt verhält.“ Dass er pünktlich und willens ist. Prill gibt aber zu, dass es nicht immer klappt. „Ein anderer Häftling dachte mal, er ist hier der Boss und die anderen sollen machen.“ Da griff er ein.

Sven M. will ein ganz gewöhnliches Leben. Arbeit. Alltag. Freie Zeit. Ob ihm das gelingt, weiß er nicht. Im Knast nehmen sie einem alles ab, sagt er, Briefe, Ratenzahlungen. Da muss er aufstehen – und geht Ärger aus dem Weg, um keinen Tag länger eingesperrt zu sein. Seine Familie und seine Freunde unterstützen ihn, aber da sind auch welche, denen er „nicht verbieten kann, Drogen zu nehmen“.

Was er noch hinkriegen will: sich um seinen ältesten Neffen kümmern. Zehn Jahre ist der alt und kommt viel zu sehr nach ihm. Die erste Anzeige bekam der Junge mit sieben. Ein Mitschüler hatte ihn geärgert, da sprach er zwei Drittklässler an. Die sollten das klären. Der Klassenkamerad hatte am Ende eine Gehirnerschütterung. Weswegen Sven M. das erste Mal vor der Richterin stand? Er schaut nach unten. Nuschelt: „Tja, auch wegen Anstiftung zu Körperverletzung.“ Gerade meidet der Zehnjährige seinen Onkel Sven, weil der so oft mit ihm schimpft. Sven M. sagt, er wird nicht lockerlassen, wenn er draußen ist.

Neun Monate noch.

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