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Netzwerken im Louvre. Beim Women's Day von McKinsey in Paris besuchten die Teilnehmerinnen eine Kunstausstellung und trafen mit Managerinnen aus ganz Europa zusammen.

© McKinsey/thomas-effinger.com

Rekruting in Zeiten des drohenden Fachkräftemangels: Die Kunst, Mitarbeiter zu werben

Workshops im Ausland oder Krimidinner: Immer mehr Firmen versuchen, Bewerber mit besonderen Events für sich zu gewinnen. Warum sich das nicht nur für die Unternehmen lohnt.

Thomas Fritz hat McKinsey beim Abendessen kennengelernt. Er war BWL-Student an der Universität Bonn und bei einem halbtägigen Workshop der Unternehmensberatung dabei. Danach saßen die Teilnehmer und die McKinsey-Vertreter beim lockeren Dinner zusammen. Fritz unterhielt sich gut, fand das Unternehmen spannend – und wurde ein paar Tage später von einem Berater zu einem Praktikum eingeladen. Das war sein Einstieg in die Firma.

Heute, dreizehn Jahre später, sitzt der Betriebswirtschaftler bei solchen Abendessen auf der anderen Seite. Er ist Director Recruiting in Düsseldorf und bei McKinsey für das Anwerben von Personal zuständig. „Heute wie damals sind solche Events ein wichtiger Bestandteil unserer Mitarbeitergewinnung“, sagt Fritz.

Mit mehr als 200 Rekrutingveranstaltungen im Jahr wirbt McKinsey um Studenten, Absolventen und Nachwuchsführungskräfte in Deutschland. Die Palette reicht von Präsentationen an Universitäten bis zu mehrtägigen Workshops im McKinsey-Trainingscenter im österreichischen Kitzbühel. Dort arbeiten die Teilnehmer an Konzepten zur Tourismusentwicklung oder zum Sponsoring der Fußball-WM. Gespräche mit Prominenten wie dem Skistar Markus Wasmeier oder Franz Beckenbauer sind inklusive. Außerdem gibt es den McKinsey-Women's Day, bei dem die Teilnehmerinnen erfolgreiche McKinsey-Frauen treffen.

Die alternde Gesellschaft, der drohende Fachkräftemangel – das macht es für Unternehmen noch entscheidender, Nachwuchs für sich zu gewinnen. Nicht nur bei der Suche nach den besten Hochschulabsolventen, Ingenieuren, IT-Experten oder Ärzten müssen sie sich einiges einfallen lassen. Inzwischen gilt das sogar für die Gewinnung von Auszubildenden.

Waren Rekrutingevents lange vor allem von großen Beratungsunternehmen wie Boston Consulting, Roland Berger, Kienbaum oder eben McKinsey bekannt, setzen inzwischen immer mehr Firmen auch aus anderen Branchen auf solche Veranstaltungen. Banken, Technologiefirmen und Maschinenbaubetriebe präsentieren sich auf Karrieremessen, werben mit Fallstudien-Workshops oder lockeren Kennenlernaktionen wie einem IT-Krimidinner für sich. Es wird gemeinsam gearbeitet, es gibt Führungen an spannenden Orten, lockere Gespräche, gemeinsame Abendessen und zum Schluss häufig eine Party. Der Aufwand ist groß, für die Teilnehmer wie für die Unternehmen. Doch er lohnt sich für beide Seiten.

„Für die Firmen sind solche Events mit vorgeschalteten Bewerbungsprozessen oft teuer“, sagt die Karriereexpertin Ute Blindert aus Köln. Doch sie rechnen sich, denn durch die Vorauswahl geeigneter Kandidaten füllen die Unternehmen ihren Talentepool.

Für die Teilnehmer geht es darum, sich über potenzielle Arbeitgeber zu informieren, sich zu präsentieren und zu netzwerken. „Wer die Chance hat, bei solchen Veranstaltungen mitzumachen, sollte sie wahrnehmen“, rät Blindert. Man lerne in jedem Fall dazu. Falle man positiv auf, sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass man weiterkommt. Wie McKinsey dem BWL-Studenten Thomas Fritz, bieten Firmen interessanten Kandidaten Praktika an oder empfehlen ihnen, sich auf eine Stelle zu bewerben. Solche Veranstaltungen seien eine Art Assessmentcenter.

Genau das aber sollen sie laut McKinsey nicht sein. „Wir treffen dort keine Auswahl“, sagt Fritz, „sondern versuchen, die Teilnehmer für eine echte Bewerbung zu begeistern.“ Passt allerdings ein Kandidat ganz offensichtlich gut zu McKinsey, bemühen sich die Rekruter verstärkt um ihn, laden ihn zum Abendessen im kleinen Kreis ein und legen ihm dar, was die Beratung ihm zu bieten hat.

Inzwischen gibt es sogar Feriencamps für künftige Azubis

Wer sich für die Personalgewinnung der besonderen Art interessiert, findet Angebote auf den Internetseiten der Firmen. Arbeitgeber schreiben Unternehmensvorträge und Workshops in Karrierenetzwerken im Netz aus, plakatieren Sommerschulen und Wettbewerbe an Litfaßsäulen und arbeiten häufig mit den Karrierecentern von Hochschulen zusammen.

Nicht alle Unternehmen bieten die ganze Bandbreite an Veranstaltungen an. Der Elektrokonzern Siemens etwa wirbt nicht mit Workshops, präsentiert sich aber auf zahlreichen Jobmessen. Außerdem können Studenten im Konzern ihre Abschlussarbeit schreiben, promovieren oder Traineeprogramme absolvieren, sagt Sprecher Michael Friedrich. Auf dieser inhaltlichen Ebene versuche das Unternehmen Studenten und Absolventen an sich zu binden.

Die Deutsche Bahn wendet sich mit speziellen Rekrutings an Schüler. Statt Fallbeispiel-Workshops stehen dort Feriencamps für künftige Azubis zum Gleisbauer, Fahrdienstleiter oder Techniker auf dem Programm. Etwa zwei Bewerber kommen auf einen Platz. Eine Einladung zum Camp ist wie eine Eintrittskarte zur Lehre. „Wer sich engagiert und die schulischen und körperlichen Voraussetzungen mitbringt, hat gute Chancen auf ein Vorstellungsgespräch“, sagt Henrik Unverzagt, Leiter Personalmanagement Süd.

Doch was heißt eigentlich, engagiert? Wie sieht aus Arbeitgebersicht der geeignete Kandidat aus?

Bei Veranstaltungen, die sich an Studenten und Hochschulabsolventen wenden, wird erwartet, dass man vorbereitet ist. „Man sollte über das Unternehmen informiert sein. Das hilft auch beim Smalltalk mit dem Projektleiter“, sagt Karriereexpertin Blindert. Höflich und aufgeschlossen sein, nicht zu viel trinken und tanzen und nicht um neun, aber auch nicht erst um vier Uhr morgens ins Bett gehen, so sammele man Pluspunkte.„Die Kunst besteht darin, die Veranstaltung als eine Art Vorstellungsgespräch zu sehen und dennoch locker zu bleiben“, sagt Blindert.

Rekruter Fritz von McKinsey legt Wert auf Folgendes: „Für einen Kandidaten spricht, wenn man merkt, dass er an unserer Art zu arbeiten Spaß hat, sich im Team wohl fühlt und sich nicht scheut, Ergebnisse zu präsentieren.“ Gewöhnlich sei die Atmosphäre nett, man duze sich. „Keiner muss sich wie in einer Bewerbungssituation fühlen“, sagt er. Negativ fallen ihm Teilnehmer auf, die sich ganz sicher sind, dass genau sie ins Unternehmen passen.

Geht jemand, wenn alle anderen abends noch nett beisammensitzen oder Party machen, schon um neun Uhr ins Bett, stört ihn das nicht – so lange derjenige nicht grundsätzlich lieber sein eigenes Ding macht und Teamarbeit eher ablehnt.

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