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Orthopädie-Schuhmacher, hier mit Leisten , Ahle , Bleistift .

© imago/photothek

Regionale Betriebe gegen Krankenkassen: "Einer Krankenkasse wie der AOK können wir wenig entgegensetzen"

Innungen des Orthopädie-Handwerks gegen Krankenkassen - das ist bisher wie David gegen Goliath. Nun wollen die Gewerke fusionieren – doch die Politik blockiert.

Bernd Rosin-Lampertius ist ein hochgewachsener Mann. Trotzdem fühlt er sich in seinem Beruf manchmal wie David, der gegen den Koloss Goliath antrat. Rosin-Lampertius leitet die Innung für das Orthopädie-Schuhhandwerk in Berlin und verhandelt mit den großen gesetzlichen Krankenkassen unter anderem über die Preise für Orthopädie-Schuhe, Bandagen und Stützstrümpfe. „Früher ist das einfacher gewesen. Als es noch Regionalkassen gab, haben die Gespräche auf Augenhöhe stattgefunden“, erzählt der gebürtige Berliner. „Heute sitzen uns riesige Krankenkassen gegenüber, die überregional oder sogar bundesweit organisiert sind.“

Denn für orthopädische Produkte gibt es meist keine freie Preisbildung. Da neunzig Prozent der Kunden gesetzlich Versicherte sind, werden die Preise in Verträgen zwischen den Innungen und den gesetzlichen Krankenkassen ausgehandelt. Während es sich bei Innungen in der Regel um regionale Handwerksverbände handelt, dürfen die gesetzlichen Krankenkassen seit dem Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes 2007 über Landesgrenzen hinweg fusionieren.

Innungen verhandeln mit überregionalen Krankenkassen

Ein Nebeneffekt dieser Entwicklung ist, dass die Innungen nun in einer schwächeren Position sind. „Es ist immer ein Geben und ein Nehmen“, sagt Rosin-Lampertius. „In unserer Innung sind wir gerade mal 32 Betriebe. Einer Krankenkasse, wie der AOK Nord, die drei Bundesländer umfasst, können wir auf Dauer wenig entgegensetzen.“ Die Innung Nord (Schleswig-Holstein und Hamburg) umfasst 75 Betriebe, in Mecklenburg-Vorpommern sind es gerade mal 39.

Nach dem Gesetz sind die gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet, mit allen Marktteilnehmern, also auch den Innungen, zu verhandeln. Einige Krankenkassen verhalten sich partnerschaftlich, andere stellen die Innungen jedoch oft vor vollendete Tatsachen.

„Dann wird uns angeboten, einem bestehenden Vertrag mit anderen Verbänden beizutreten“, erklärt Alexander Aster, der das Kubitza Fuss & Schuhcentrum in Schwerin leitet. „Wir müssen uns dann entscheiden: Akzeptieren wir die diktierten Konditionen oder verzichten wir und machen keinen Umsatz.“

Für kleine Handwerksbetriebe gelten Standards wie in der Industrie

Oft würden die ausgehandelten Verträge nicht die Lebensrealität widerspiegeln, so Aster. „Ein Preis, der vor fünf Jahren ausgehandelt wurde, deckt nicht die heutigen Kosten. Die Lederpreise steigen und durch den Fachkräftemangel wird auch das Personal immer teurer.“ Hinzu komme der bürokratische Aufwand, der einen Großteil der Arbeitszeit schlinge. „Es gelten inzwischen Standards wie in der Industrie. Bei Medizinprodukten muss jeder Arbeitsschritt, jedes verwendete Bauteil muss dokumentiert werden. Das ist in einem 5-Personen-Betrieb wie unserem kaum zu leisten.“

Um den Größenunterschied auszugleichen, koordinieren die Orthopädie- Schuhhandwerksinnungen Nord (Schleswig-Holstein und Hamburg), Berlin und Mecklenburg-Vorpommern mittlerweile ihre Verhandlungen mit den Krankenkassen. Dabei gibt es jedoch einen entscheidenden Haken: jeder Abschluss muss von drei Vorständen und drei Mitgliederversammlungen abgesegnet werden.

„Das macht uns natürlich unglaublich langsam“, sagt Rosin-Lampertius. „Und sehr unattraktiv als Verhandlungspartner, denn die Krankenkassen, die ja ihre Versicherten versorgen müssen, brauchen schnelle Entscheidungen.“

Innungen können Gremien nicht mehr besetzen

Deswegen wollen sich die drei Innungen zu einer großen Innung zusammenschließen. Dabei geht es um mehr, als nur um bessere Verhandlungspositionen. Es geht um auch um die Zukunft der Innungen. „Wir stehen vor dem Problem, dass wir unsere Gremien nicht mehr besetzen können. Wir finden einfach niemanden mehr für den Vorstand und die Ausschüsse.“ Gerade kleineren Betrieben fehle für das Ehrenamt neben der alltäglichen Arbeit die Zeit. Können die Gremien jedoch nicht mehr besetzt werden, dann droht die Übernahme der Geschäfte durch die Handwerkskammern und schlimmstenfalls die Schließung der Innung.

„Wenn wir fusionieren, dann müssten wir nur noch einen Vorstand besetzen“, sagt Rosin-Lampertius. „Wenn wir als Innung in Zukunft handlungsfähig bleiben wollen, dann führt an der Fusion kein Weg vorbei.“ Doch das Wirtschaftsministerium in Mecklenburg-Vorpommern sieht das anders. Da der Zusammenschluss der Innungen über Landesgrenzen hinweg erfolgt, müssen die zuständigen Behörden in den Ländern dies zunächst genehmigen. Die Begründung der Behörde: Voraussetzungen, die die Handwerksordnung für eine solche Fusion vorsieht, seien nicht erfüllt.

Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern blockiert Fusion

Nach dieser sollen „Innungsbezirke unter Berücksichtigung einheitlicher Wirtschaftsgebiete so abgegrenzt sein“, dass Leistungsfähigkeit und Innungsleben gewährleistet sind. Dies sei nach Auffassung des Ministeriums nach einer solchen Fusion nicht mehr der Fall. Mit anderen Worten: wenn die Innung künftig in Berlin sitzt, können die Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern dann noch am Innungsleben teilnehmen?

Diesen Einwand kann Rosin-Lampertius nicht nachvollziehen: „Das ist doch verrückt. Es geht hier doch auch um Selbstbestimmung. Die Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern haben fast einstimmig für die Fusion gestimmt.“

Gegen die Entscheidung der Behörde sind die Innungen vor Gericht gezogen. Für die Einwände der Innungen zeigt das Ministerium im Verlauf des Rechtsstreits wenig Verständnis. Es betont in einer Stellungnahme, dass „eine Gefährdung der Leistungsfähigkeit“ der bisherigen Innungen nicht gegeben sei. Das Argument der Verbesserung der Verhandlungsstärke gegenüber den Krankenkassen könne keinen atypischen Fall begründen.

Die Richter wiesen die Klage der Innungen zurück. Zwar würde man – so die Richter mündlich vor der Urteilsverkündung – das Fusionsbegehren inhaltlich für absolut gerechtfertigt halten, doch habe das Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern innerhalb des zulässigen Ermessenspielraums gehandelt.

Petitionsausschuss des Bundestags ist letzte Hoffnung

Die Innungen wollten sich nicht geschlagen geben. Alexander Aster wandte sich mit dem Anliegen der Innungen an den Petitionsausschuss des mecklenburg-vorpommerischen Landtags. Dieser bekräftigte zwar den Fusionswillen der Innungen und wies das Wirtschaftsministerium an, im Falle eines erneuten gestellten Antrags, diesem zuzustimmen – doch hat die Entscheidung keine Wirkung, da bereits ein rechtskräftiges Urteil in der Sache vorliegt. Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin hatten die Innungen keine Rechtsmittel eingelegt.

Eine letzte Hoffnung gibt es für die Orthopädie-Schuhhandwerksinnungen: Alexander Aster hat sein Anliegen dem Petitionsausschuss des Bundestags geschrieben. Sollte sich dieser hinter die Innungen stellen, dann könnte der Parlament bald über eine Änderung der Handwerkordnung entscheiden. Bis es soweit ist, müssen sich die Orthopädie-Schuhhandwerker gedulden.

Louisa Schmökel

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