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Astronaut Matthias Maurer im März 2022 beim Außeneinsatz an der internationalen Raumstation ISS.

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Ohne Russland ins All: "Wir müssen jetzt nicht alles komplett allein machen"

Wie die europäische Raumfahrt unabhängiger wird und was Start-ups damit zu tun haben, erklärt die Raumfahrt-Koordinatorin Anna Christmann.

Frau Christmann, warum ist die Raumfahrt für die Grünen „ein Schlüsselthema“, wie Sie sagen?
Unser Wissen über die Klimakrise verdanken wir zum großen Teil der Raumfahrt. Satelliten versorgen uns mit wichtigen Daten über das Geschehen auf der Erde. Die Früherkennung von Waldbränden, Hilfen für eine nachhaltige Landwirtschaft, Erkenntnisse über die Qualität von Wasser – das alles ist nicht denkbar ohne Satelliten im Weltraum.

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Verschafft uns der Klimaschutz einen anderen Blick auf die Raumfahrt oder doch eher der Krieg Russlands?
Der Krieg macht deutlich, wie wichtig technologische Souveränität ist. Neben dem Klima haben militärische Aspekte aber auch die Cybersicherheit mehr Aufmerksamkeit bekommen, für die Satelliten zentral sind. Grundsätzlich sollten wir für die Raumfahrt relevanten Technologien in Europa nicht nur entwickeln, sondern auch ins All bringen können.

Brauchen die Europäer dazu ein eigenes Raumschiff, um Astronauten zu befördern?
Technologische Souveränität bedeutet nicht den Verzicht auf Kooperation oder sogar Abschottung. Man muss nicht alles komplett allein machen. Wir sehen das jetzt bei der aktuellen Mondmission der Amerikaner, wofür wir das Service-Modul bereitstellen, das die Astronauten in der Kapsel versorgt. Das Modul wird in Bremen von Airbus produziert und ist für mich ein Beispiel für eine Kooperation auf Augenhöhe.

Anna Christmann (Grüne) ist Raumfahrt-Koordinatorin der Bundesregierung und für Digitalisierung und Start-ups zuständig.
Anna Christmann (Grüne) ist Raumfahrt-Koordinatorin der Bundesregierung und für Digitalisierung und Start-ups zuständig.

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Also kein EU-Raumschiff?
Die Frage, womit unsere Astronauten fliegen können, ist nicht entscheidend, sondern die Kooperation auf Augenhöhe. Wichtig ist, dass sie fliegen können, und nicht, mit wem sie fliegen. Abhängigkeiten müssen wir allerdings vermeiden.

Also lieber für 50 Millionen Euro einen Astronauten mit Elon Musks SpaceX befördern als selbst eine Kapsel entwickeln?
Das ist mir zu schwarz-weiß. Es gibt nicht nur SpaceX, sondern weitere potenzielle Anbieter, die sich in der Entwicklungsphase befinden. Gerade auch aufgrund der Kommerzialisierung der Raumfahrt werden verschiedene Trägersysteme auf den Markt kommen. Für mich ist es nicht zwingend, dass eine astronautische Rakete eine europäische ist. Priorität hat, dass es weiterhin europäische Astronauten und zukünftig auch noch mehr Astronautinnen gibt.

Trifft es zu, dass die Franzosen gerne ein europäisches Raumschiff hätten, aber die Deutschen nicht?
Unsere Priorität in der Raumfahrt liegt in dem Mehrwert für das Geschehen auf der Erde, insbesondere für den Klimaschutz. Und nochmal: Kooperation ist entscheidend, das zeigt ja exemplarisch die Internationale Raumstation ISS und im europäischen Maßstab die Trägerrakete Ariane 6, die vermutlich im nächsten Jahr zur Verfügung steht. Der Auftrag des Projekts Kuiper von Amazon-Gründer Jeff Bezos ist ein großer Erfolg für Ariane 6.

Bezos hat 18 Flüge gebucht, um Internet-Satelliten ins All zu befördern. Er fliegt lieber mit den Europäern als mit der US-amerikanischen SpaceX.
Für den Kuiper-Auftrag sind allerdings noch weitere, finale Entwicklungen erforderlich. Im Ergebnis sollte die Ariane 6 dann in absehbarer Zeit international wettbewerbsfähig sein und die Entwicklungskosten wieder einfliegen. Aber klar ist auch, dass die Entwicklungszeit der Ariane 6 insgesamt wesentlich zu lang war, hier werden wir in Zukunft von Beginn an wettbewerbsorientierter vorgehen müssen.

Rund fünf Milliarden Euro hat die Ariane 6 bislang gekostet, von mindestens weiteren 500 Millionen Euro ist die Rede.
Es sind verschiedene Weiterentwicklungen erforderlich, die zum Teil mit Kuiper zusammenhängen, aber auch mit der Beschleunigung der Entwicklung. Es gibt also Extrakosten, die dann im Herbst auf der Ministerkonferenz der European Space Agency (ESA) präzise beziffert und auf die teilnehmenden Länder verteilt werden.

Könnte die Ariane 6 nach ihrer Fertigstellung auch eine astronautische Kapsel transportieren?
Da gibt es sehr weit auseinander gehende Einschätzungen, was den zusätzlichen Entwicklungsaufwand betrifft und ob das im Grunde eine ganz neue Rakete wäre.

Von 34 europäischen Galileo-Satelliten sind 24 im All, zehn liegen startbereit auf der Erde. Fliegen die in den nächsten Jahren mit Elon Musk oder mit der Ariane 6?
Erstes Ziel ist es, die Satelliten möglichst schnell ins All zu bekommen. Durch den Ausfall der russischen Sojus-Rakete ist das schwieriger geworden. Je schneller die Ariane 6 kommt, desto besser, aber selbstverständlich müssen wir uns Alternativen anschauen.
Schätzungen zufolge werden bis 2030 mehr als 15 000 Satelliten in den Weltraum befördert, darunter vor allem Internetsatelliten, allein Elon Musk und Jeff Bezos sind mit Tausenden dabei. Sind die Europäer schon wieder abgehängt worden?

Es gibt ja den Vorschlag der EU-Kommission für ein Secure Connectivity System. Auch da geht es um technologische Souveränität.
Aber das System, mit sechs Milliarden Euro veranschlagt, ist für militärische und andere staatliche Nutzungen vorgesehen.

Derzeit ist die Initiative noch zu stark auf den öffentlichen Bereich ausgerichtet. Wir sehen aber die Chance, das gesamte Raumfahrt-Ökosystem zu stärken, in dem der Staat als Ankerkunde auftritt und viel Raum lässt für Start-ups. Dafür setzen wir uns zusammen mit Italien ein, da der Vorschlag der EU-Kommission dem noch nicht gerecht wird. Eine rein öffentlich finanzierte Satelliteninfrastruktur nur für öffentliche Nutzer ließe die Möglichkeiten des Marktes und neuer Markteilnehmer links liegen.

Brand in der sibirischen Taiga. ESA-Satelliten versorgen die Welt mit Daten über Geschehen auf der Erde.
Brand in der sibirischen Taiga. ESA-Satelliten versorgen die Welt mit Daten über Geschehen auf der Erde.

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Die deutschen Start-ups Isar Aerospace und Rocket Factory wollen mit einer kleinen Trägerrakete, so genannte Microlauncher, auf den Markt kommen, der Haushaltsausschuss des Bundestages hat kürzlich zehn Millionen Euro für die Entwicklung von Kleinsatelliten freigegeben. Verändert sich der bislang von ein paar Konzernen dominierte Markt?

In der Raumfahrt tut sich extrem viel. Aufgrund der rasant steigenden Zahl von Satelliten bewegen wir uns von der Einzelstück-Fertigung fast schon zu einer industriellen Produktion. Dabei spielen Start-ups eine große Rolle. Mit den großen Unternehmen Airbus und dem Galileo-Hersteller OHB in Bremen haben wir eine große Expertise, die wir nun mit neuen Firmen zusammenbringen wollen. Die von uns geförderte Microlauncher-Initiative trägt dazu bei.

Die Initiative für eine kleine Rakete fördert die deutsche Regierung mit elf Millionen Euro, die Franzosen geben für ein ähnliches Projekt 200 Millionen Euro aus. Das ist exemplarisch für die unterschiedliche Herangehensweise.

Isar Aerospace hat inzwischen so viel privates Kapital akquiriert, dass sie von den Franzosen nicht mehr weit entfernt sind. Das ist genau unser Prinzip: Mit elf Millionen wollen wir eine Starthilfe geben, die auch privates Kapital mobilisiert. Dazu kann der Staat als Ankerkunde helfen.

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Dann haben wir demnächst Kleinsatelliten aus deutscher Produktion und dazu eine Trägerrakete. Fehlt nur noch eine Abschussrampe oder ein kleiner Weltraumbahnhof, wie ihn sich zum Beispiel der Bundesverband der Industrie in der Nordsee vorstellt. Warum sind Sie dagegen?

Für mich ist entscheidend, dass wir eine gute Lösung in Europa haben. Es gibt bereits Standorte in Schweden und Norwegen und in Schottland kommt ein weiterer hinzu, die deutsche Start-ups nutzen können. Ob die Nordsee auch eine Rolle spielen kann, wird von der Industrie derzeit eigenständig geprüft.

Wenn Sie im nächsten Jahr die neue Raumfahrtstrategie der Bundesregierung vorstellen, wird es auch um den Umgang mit Weltraumschrott gehen. Was passiert mit den Tausenden Satelliten im All, denen nach zehn Jahren der Sprit ausgeht und die in den Weiten des Weltraums verschwinden?
Ein Satellit sollte noch so viel Sprit am Ende seiner „Laufzeit“ haben, dass er aus dem Orbit befördert wird und verglüht. Bei allen öffentlichen und europäischen Satelliten ist das sichergestellt. Private Anbieter sind dazu bisher nicht verpflichtet. Für den Weltraumschrott, der schon da ist, brauchen wir neue Technologien. Das wird ohne staatliche Initiative nicht funktionieren.

Bei der letzten ESA-Ministerkonferenz 2019 sagten die deutschen Vertreter gut drei Milliarden Euro zu. Das war vor Corona und vor dem Krieg. Wie groß ist die Zahlungsfähigkeit und -bereitschaft der Ampel-Regierung?
Raumfahrt ist für viele Technologien rund um den Klimaschutz und die Cybersicherheit unverzichtbar. Deutschland wird ein starker ESA-Partner bleiben.

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