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Teilchen als Beschleuniger. Nach ersten vorliegenden Zahlen ist der deutsche Spielemarkt in drei Monaten um acht Prozent gewachsen. Puzzles sind besonders gefragt.

© imago images/Eibner Europa

Puzzeln als Trend: Was die Coronakrise für die Spielwaren-Industrie bedeutet

Ravensburger, Playmobil und Co. verzeichnen stark erhöhte Nachfrage. Als Gewinner der Krise sehen sich die Unternehmen dennoch nicht.

Mit dem Heißluftballon von Hamburg nach München: Das unternimmt derzeit die fünfjährige Tochter von Marten Zantopp, einem Grafikdesigner aus Berlin. Möglich macht diese Reise ein interaktives Deutschland-Puzzle von Ravensburger. „Puzzles sind in der Coronakrise bei uns ganz hoch im Kurs. Unsere Tochter versinkt da richtig drin und hat eine Menge Geduld beim Puzzeln, was bei anderen Spielen nicht unbedingt der Fall ist“, erklärt Zantopp.

Denn sobald das Puzzle fertig ist, kann man mit einem interaktiven Stift durch die Bundesrepublik reisen und dabei zum Beispiel herausfinden, in welcher Stadt das Brandenburger Tor steht. Gemeinsam mit Partnerin Gwendolin betreibt er den Familienblog „Snyggis“ und empfiehlt Eltern in Pandemie-Zeiten: „Lernspiele sind immer eine gute Idee. Man kann mit seinem Kind auch selbst ein Memory basteln.“

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Um Beschäftigung dreht sich dieser Tage alles. Millionen Deutsche, die derzeit wegen der Corona-Pandemie zu Hause bleiben müssen, suchen nach einem Zeitvertreib für den Feierabend und die Wochenenden, die nun zwangsläufig in den eigenen vier Wänden stattfinden. Und Eltern wollen eben ihre Kinder unterhalten.

So registriert der Deutsche Verband der Spielwarenindustrie (DVSI) zurzeit eine stark erhöhte Nachfrage bei allem, was in irgendeiner Form mit Beschäftigung zu tun hat – also Spiele, Puzzles, Bastelmaterialien und mit zunehmend schönem Wetter auch Outdoor-Spielzeug. „Puzzle 1000 Teile“ zählt derzeit zu den Top-Suchbegriffen auf Amazon. „Nach ersten uns vorliegenden Zahlen ist der deutsche Markt im ersten Quartal 2020 wohl um acht Prozent gewachsen. Eine solche Steigerung gab es bis dato noch nie“, äußert DVSI-Geschäftsführer Ulrich Brobeil.

Viele haben sich mit Spielzeug eingedeckt

Dies liegt nach Brobeils Einschätzung vor allem daran, dass sich Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern besser auf die Pandemie hätte vorbereiten können – man sei sozusagen vorgewarnt gewesen: „Viele Eltern, die jetzt im Homeoffice ihrer Arbeit nachgehen, haben sich mit Spielzeug eingedeckt, um sich mit den Kindern zu beschäftigen.“

Auch wenn der schon länger boomende Markt die weitere Entwicklung abwarten müsse, gelte generell: „Am Kind wird zuletzt gespart.“ Ist die Branche also ein Profiteur der Krise? So schwarz-weiß ist Verbänden und Herstellern zufolge das Geschäft mit der Spiellaune der Deutschen nicht.

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Dieses Geschäft läuft derzeit vor allem mit Puzzles gut. Zwar hat die Ravensburger Gruppe, Marktführer im Puzzlebereich, schon 2019 mit 524,2 Millionen Euro den höchsten Umsatz ihrer Geschichte gemacht und 21 Millionen Puzzles im In- und Ausland verkauft – doch zur derzeitigen Krise teilt das Unternehmen mit: „Aktuell ist die Nachfrage noch einmal, ähnlich wie in der Hochsaison vor Weihnachten, sprungartig angestiegen.“

Aktuelle Umsatzzahlen der vergangenen Wochen werden nicht herausgegeben. Aus Marketingstudien wisse man, dass Puzzlefans vor allem entspannen und vom Alltag abschalten wollen – dies bewahrheite sich umso mehr angesichts der gegenwärtigen Ausgangsbeschränkungen.

1000-Teile-Puzzle ist der Verkaufsschlager

Die Kunden greifen auf Altbewährtes zurück. Auch in der Coronakrise ist das 1000-Teile-Puzzle laut Konzernsprecher Heinrich Hüntelmann das gesuchteste Ravensburger-Produkt, eine veränderte Vorliebe für Motive lasse sich kaum feststellen. Doch es gibt auch Überraschungen – und zwar die einfarbig schwarzen, silbernen oder goldenen „Krypt“-Puzzles ohne jegliches Motiv. Einzige Anhaltspunkte sind die Form der Puzzleteile. Dazu vermutet Hüntelmann: „Offensichtlich haben mehr Menschen Zeit, diese Herausforderung, die sonst nur Puzzleprofis anspricht, anzunehmen.“ Aber auch Gesellschaftsspiele sowie Kinder- und Jugendbücher werden zurzeit verstärkt nachgefragt.

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Doch von Unternehmensseite heißt es auch: „Wir sind kein Gewinner der Krise. Wenn die Nachfrage steigt, ist das das eine. Wie wir unsere Artikel verkaufen, wenn die meisten Händler geschlossen haben, ist das andere. Die Krise wird Ravensburger wehtun.“ Nur etwa 30 Prozent des Handels geschieht online, wovon der konzerneigene Online-Shop laut Hüntelmann so gut wie keine Rolle bei den Absätzen spielt. Der stationäre Handel sei der Hauptpartner des Konzerns, weshalb es Ravensburger auch so hart treffe, dass davon ein Großteil seit Wochen geschlossen hat.

Andere Händler wiederum, die noch geöffnet hätten, konzentrierten sich auf systemrelevante Artikel. So bleibt dem Puzzlehersteller nur zu sagen: „Die Ravensburger Puzzleproduktion und Logistik arbeiten derzeit unter Hochdruck, um die aktuell hohe Nachfrage zu befriedigen. Dies stößt jedoch an seine Grenzen, weil verschärfte Hygienemaßnahmen gelten und nur in entzerrten Schichten gearbeitet werden kann.“ Aufgrund dieser anhaltenden Einschränkungen rechne man „insgesamt mit negativen Auswirkungen auf den Geschäftsverlauf“ – genauere Angaben teilt Ravensburger auf Anfrage nicht mit.

Der stationäre Handel fehlt

Das sieht auch DVSI-Geschäftsführer Ulrich Brobeil: „Der stationäre Fachhandel hält beim Spielwarenumsatz einen Marktanteil von 28 Prozent. Jetzt fällt der mehr oder weniger durch den Shutdown weg. Deshalb wird der stationäre Spielzeughandel bestrebt sein, Bestandsware zu verkaufen, um eher Liquiditätsengpässe zu überbrücken, als Neuheiten zu ordern. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Hersteller.“

Zudem besteht dem Branchenexperten zufolge ein nicht unwesentlicher Teil des Sortiments aus niedrigpreisigen Mitnahmeartikeln, wie etwa Sammelartikel zum Taschengeldpreis, die sich weniger für den Verkauf in Online-Shops eignen. Spontane Kaufentscheidungen, Empfehlungen der Mitarbeiter – all das fällt wegen der geschlossenen Läden jetzt weg.

Playmobil weitet Online-Shop aus

„Der Point of Emotion fehlt, wenn Kinder nicht vor dem Regal im Laden stehen“, sagt auch Playmobil-Sprecher Björn Seeger: Man könne sich schlichtweg nicht mehr im Geschäft zu einem Kauf hinreißen lassen. „Die Nachfrage ist groß. Problematisch ist für uns, dass die Neuheiten nicht wie gewohnt im Handel zur Verfügung stehen“, betont Seeger. So geht der Konzern von „deutlichen Rückgängen“ beim Umsatz aus, zu schaffen machen dem Produktions- und Logistikverbund etwa die Grenzkontrollen.

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Doch Playmobil passt sich an und hat etwa das Angebot im Online-Shop ausgeweitet. Dort finden sich nun unter dem Schlagwort „Charity“ Sonderfiguren wie eine Krankenpflegerin und eine Kassiererin, der Erlös geht laut Seeger an den Corona-Nothilfefonds des Deutschen Roten Kreuzes. Auch eine wiederverwendbare Nase-Mund-Maske gibt es jetzt von Playmobil. Sichtbarkeit heißt das Gebot der Stunde, neben der Absicherung der Produktion will der Konzern in Kontakt mit den Konsumenten bleiben.

Der Kontakt mit seinem zweieinhalbjährigen Sohn ist in der Krise für Richard Eisenmenger das große Plus: „Für mich ist das eine Gelegenheit, viel Quality time miteinander zu haben, und das ist immens im Vergleich zu den paar Morgen- und Abendstunden während normaler Kita- und Arbeitstage.“ Eisenmenger, der hauptberuflich als Autor in Berlin arbeitet, bloggt auf „8bitpapa“ über das Familienleben und sagt in Pandemie-Zeiten: „Meine wichtigste Lektion war, Spiele nicht als ,nur fürs Kind‘ zu sehen. Es gibt Aktivitäten, die allen Spaß machen. Man muss sich allerdings darauf einlassen. Mit Lego etwas zu bauen macht auch Erwachsenen Spaß, Luftballons hin- und herschießen zählt als Workout.“

Mit zweieinhalb Jahren lernt sein Sohn gerade, sich selbst ein wenig zu beschäftigen – und ist zunehmend auch ins eigene Spiel vertieft oder in einer selbstgebauten Höhle versteckt. Eisenmenger berichtet von einer Balance „zwischen gemeinsamen Tätigkeiten, Arbeit und Entspannung“ – was ohne die Pandemie gar nicht so anders wäre. Nur eben nicht so intensiv und ohne Unterbrechungen.

Katharina Horban

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