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Kein Platz: 590.000 Schweine stauen sich in den Ställen, weil die Schlachthöfe weniger schlachten.

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Protokoll eines Schweinehalters: „Meine Kinder werden als Tierquäler beschimpft“

Der Schweinepreis ist im Keller, in den Ställen stauen sich die Tiere. Was heißt das für die Betroffenen? Ein Bauer aus Brandenburg berichtet.

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Anfang des Jahres bekamen die Schweinehalter für ihre Tiere noch gut 1,80 Euro pro Kilo, jetzt sind es 1,19 Euro. Zugleich drängeln sich 590.000 Schweine in den Ställen wegen der Corona-Einschränkungen in den Schlachthöfen.

Die Politik will den Bauern helfen, wie Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) am Freitag gegenüber den Länderministern erklärte. Diskutiert werden Hilfen für die private Lagerhaltung, damit Fleisch erst dann wieder auf den Markt kommt, wenn die Preise anziehen, eine Beihilfe von bis zu 20.000 Euro sowie die Ausdehnung der Corona-Hilfen auch auf Landwirte. Ob das möglich ist, soll Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) jetzt klären.

Hoffnung ist aber auf einem anderen Feld in Sicht: Marktführer Tönnies schlachtet nach eigenen Angaben inzwischen fast wieder so viel wie vor dem Corona-Ausbruch.

Doch wie gehen die Schweinehalter mit der Krise um? Was heißt das für die Betroffenen, wenn die Preise in den Keller gehen und sie ihre Tiere nicht los werden? Sandra Dassler hat einen märkischen Schweinebauern befragt. Hier ist sein Bericht. Der Mann möchte anonym bleiben, um Schaden von seinem Betrieb und seiner Familie fernzuhalten.

"Wir Schweinehalter brauchen keine private Lagerhaltung, sondern Corona-Hilfen. Schließlich sind wir durch die Pandemie nicht weniger stark betroffen als Gastwirte oder andere Hilfsbedürftige. Die Schließung der Schlachthöfe, nicht nur von Tönnies, hat zu einer Katastrophe geführt, weil wir unsere Schweine nicht mehr losgeworden sind. Und das ist noch nicht vorbei wie der aktuelle Ausbruch mit mehr als 80 Infizierten im bayerischen Vilshofen zeigt.
In meinen Ställen war zum Glück immer genügend Platz vorhanden – auch weil wir einen Teil der Schweine nach Polen verkauft haben. Natürlich mit Verlusten, aber die haben wir in Kauf genommen, um unsere Ferkelerzeuger nicht im Stich lassen zu müssen. Denen sind ja auch die Abnehmer weggebrochen.

Meine Kollegen haben Garagen zu Ställen umgebaut

Ich kenne aber Berufskollegen, die haben, weil sie ihre schlachtreifen Tiere nicht los wurden, Scheunen und sogar Garagen zu Ställen umgebaut, was alles andere als einfach war. Wir haben es schließlich mit Lebewesen zu tun – und ja, wir machen uns Gedanken darüber, auch wenn uns das so mancher militante Tierschützer nicht abnehmen mag.

Belastend für Menschen und Tiere waren und sind vor allem die ständigen kurzfristigen Absagen der Schlachthöfe: Zum einen, weil man die Tiere ja auf den Transport zum Schlachthof vorbereitet. Sie bekommen nur Wasser und kein Fressen, weil sie nüchtern sein müssen.

Zum anderen hat man ja auch bereits wieder Nachschub, also Ferkel, bestellt, die Ställe gesäubert und hergerichtet – und dann heißt es plötzlich: „Wir können Ihre Tiere nicht nehmen. Haben geschlossen wegen Corona.“ Meine Leute waren da manchmal kurz vor dem Verzweifeln.

Wegen der Häufung von Covid-19-Fällen waren viele Schlachthöfe vorübergehend geschlossen. Doch Marktführer Tönnies hat den Betrieb wieder hochgefahren und schlachtet fast wieder so viel wie vor dem Corona-Ausbruch.
Wegen der Häufung von Covid-19-Fällen waren viele Schlachthöfe vorübergehend geschlossen. Doch Marktführer Tönnies hat den Betrieb wieder hochgefahren und schlachtet fast wieder so viel wie vor dem Corona-Ausbruch.

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Wenn die Schweine zu schwer sind, gibt es weniger Geld

Und dann die finanziellen Verluste. Das ideale Schlachtgewicht für ein Schwein liegt zwischen 82 und 105 Kilo. Hat man sie nur ein paar Tage länger im Stall, bringen die Tiere schnell 120 Kilo auf die Waage. Dafür wird man bestraft, bekommt etwa 15 bis 20 Euro weniger pro Tier. Obwohl man mehr Futter braucht.

Hinzu kommt noch der allgemeine Preisverfall für Schweinefleisch, weil Hotels und Gaststätten geschlossen sind und selbst in den Fußballstadien keine Currywürste mehr verkauft werden. Summa summarum macht das etwa 50 Euro weniger pro Schwein. Ich rechne mit einem Umsatzverlust von 1,2 Millionen Euro im Jahr 2020. Deshalb ist es überhaupt nicht nachzuvollziehen, warum Schweinehalter keine Corona-Entschädigung erhalten.

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Totes Wildschwein: Wegen der Schweinepest nehmen Länder wie China derzeit kein Schweinefleisch aus Deutschland ab.
Totes Wildschwein: Wegen der Schweinepest nehmen Länder wie China derzeit kein Schweinefleisch aus Deutschland ab.

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Die Afrikanische Schweinepest kommt noch erschwerend hinzu. Da stellen sich viele Fragen: Wieso wurde der Zaun nach Polen nicht schon früher gebaut? Warum dauert das jetzt in Brandenburg so lange? In Tschechien und selbst in Sachsen geht das viel schneller. Vor allem aber: Warum überlässt man die Seuchenbekämpfung in erster Linie den Landkreisen, die nicht einmal einheitlich die Stallpflicht für Freiland-Schweinehaltung anordnen.

Warum gibt es keine Taskforce gegen die Schweinepest?

Dass so etwas letztlich zentral gesteuert werden muss, sieht man doch auch bei Corona. Warum wird da keine nationale Task Force gebildet? Im Gegenteil: Es gibt in Nordrhein-Westfalen eine sogenannte Wildtierseuchen-Vorsorge-Gesellschaft, die auf Ausbrüche wie die Afrikanische Schweinepest vorbereitet und spezialisiert ist - wieso werden diese Experten nicht in den betroffenen Gebieten in Brandenburg eingesetzt? Und warum bekommt die Bundesagrarministerin die sogenannte Regionalisierung nicht hin?

Wieso kann sie China nicht klar machen, dass die Afrikanische Schweinepest nur bei Wildschweinen in Brandenburg und Sachsen nachgewiesen wurde und in allen anderen Bundesländern nicht. Warum wird das nicht längst auf höchster Ebene, also durch das Bundeskanzleramt verhandelt? Wenn die anderen Bundesländer wieder nach China liefern könnten, ginge der Preis nach oben und die Schlachthöfe würden deutlich entlastet, was wiederum auch den Schweinehaltern hier zugute käme.

Kritik an Julia Klöckner: Reicht das Krisenmanagement der Agrarministerin?
Kritik an Julia Klöckner: Reicht das Krisenmanagement der Agrarministerin?

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Ich trage die Verantwortung für über 5000 Schweine, mehrere fest angestellte Beschäftigte, meine Familie und die Versorgung der Bevölkerung. Wenn ich dieser Verantwortung nicht gerecht werde, muss ich dafür geradestehen. Das ist mein eigenes Risiko. Bei vielen Politikern habe ich das Gefühl, dass sie noch nie ein eigenes Risiko eingehen mussten, wenn sie durch ihr Nicht-Handeln oder falsches Handeln Existenzen beeinflussen. Ich meine damit vor allem das Schließen von Schlachthöfen. Für die hätte man dringend andere Lösungen finden müssen, eine Art Notbetrieb, weil sie einfach für die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung systemrelevant sind.

Großdemo in Berlin: Den Bauern geht es auch um Anerkennung.
Großdemo in Berlin: Den Bauern geht es auch um Anerkennung.

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Was am meisten wehtut: die eklatante Geringschätzung unserer Arbeit

Was mir und vielen anderen meiner Kollegen aber am meisten weh tut, ist die eklatante Geringschätzung unserer Arbeit. Es gibt keine Achtung vor und keine Anerkennung für jene Menschen, die unsere Ernährung sichern. Im Gegenteil: Meine Kinder werden manchmal als Tierquäler beschimpft, obwohl wir uns bestens um unsere Schweine kümmern. Klar gibt es schwarze Schafe unter den Schweinehaltern – aber in welcher Branche gibt es die nicht?

Wenn es so weiter geht, werden wir in Deutschland bald keine eigenen Landwirte mehr haben. Die Produktion geht hier weg, aber der Bedarf wird ja nicht geringer. Auch deshalb brauchen wir Anerkennung und jetzt eben auch Corona-Hilfen. So wie andere Branchen auch."

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