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Im kooperativen Supermarkt sind Kunden gleichzeitig Anteilseigner.

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Projekt Supercoop in Berlin: Der Supermarkt, der seinen Kunden gehört

Zehn Berliner wollen einen Supermarkt gründen, bei dem jeder Kunde Anteilseigner ist und mithilft. Dörfer nutzen das Konzept bereits – um zu überleben.

Von Laurin Meyer

Wer im „Park Slope Food Coop“ in New York arbeitet, der hat im Zweifel keine Ausbildung im Einzelhandel gemacht. Hier sortieren Sozialarbeiter die Anlieferungen, Grundschullehrerinnen räumen Lebensmittel in die Regale und Psychoanalytiker sitzen an der Kasse. Da kann es auch mal länger dauern, Wartezeiten von 40 Minuten sind keine Seltenheit. Dass hier Amateure arbeiten, hat Konzept. Der Supermarkt gehört nämlich keiner Handelskette, sondern rund 17.000 Privatpersonen. Alle, die hier einkaufen, sind gleichzeitig Anteilseigner – und müssen selbst mit anpacken, für zwei Stunden und 45 Minuten im Monat. So wollen es die Mitgliedsstatuten.

Ein Team aus zehn jungen Berlinern will dieses Modell nun auch in die Hauptstadt bringen. Supercoop soll ihr gemeinschaftlich betriebener Supermarkt heißen, ihr Konzept haben die Gründer am vergangenen Montag in Berlin vorgestellt. Das Prinzip: einer Genossenschaft beitreten, eine Einlage über 100 Euro zahlen und drei Stunden im Monat arbeiten. Nur wer da mitmacht, darf auch einkaufen.

Und kommt ein Mitglied seiner Pflicht nicht nach, bleiben die Supermarkttüren für ihn verschlossen. „Am Eingang wird über eine Mitgliedskarte der digitale Stundenzettel streng kontrolliert“, sagt Mitgründerin Johanna Kühner. Nur dann könne das Modell funktionieren. Ganz ohne Fachpersonal wird das kooperative Geschäft aber nicht auskommen. Zumindest ein paar festangestellte Mitarbeiter sollen sich um die Lieferantenverträge, den Einkauf und die Finanzen kümmern. Das brauche schließlich deutlich mehr Zeit und Expertise, sagt Kühner.

Für die Mitglieder soll sich der Supercoop vor allem finanziell lohnen. Das Geschäft muss keinen Gewinn abwerfen, außerdem fallen durch die Mitgliederarbeit kaum Personalkosten an. Die Lebensmittel sind dadurch günstiger als andernorts. „Unser Ziel ist es, dass sich mehr Menschen gutes und faires Essen leisten können als bisher“, sagt Kühner. Die New Yorker machen es vor: Das Kilo Brokkoli ist dort etwa ein Drittel günstiger als bei der Konkurrenz, Avocados werden zur Hälfte des üblichen Marktpreises angeboten.

Damit die Rechnung auch in Berlin aufgeht, brauchen die Initiatoren jedoch mindestens 1200 Mitglieder sowie eine Ladenfläche von mehr als 800 Quadratmetern – und Startkapital. In der vergangenen Woche haben die Gründer deshalb eine Crowdfunding-Aktion gestartet. Sie wollen bis Mitte Dezember zunächst 15.000 Euro einsammeln, später noch einmal 40.000 Euro. Von dem Geld sollen die ersten Mieten sowie die Kosten für die Genossenschaftsgründung bezahlt werden. Läuft alles nach Plan, könnte der Supermarkt dann Ende des kommenden Jahres eröffnen. Derzeit suchen die Gründer noch nach einer geeigneten Geschäftsfläche.

Der kooperative Supermarkt in New York dient als Vorbild für die Berliner Gründer.
Der kooperative Supermarkt in New York dient als Vorbild für die Berliner Gründer.

© Supercoop/promo

Neben den finanziellen Vorteilen soll es aber auch um mehr Nachhaltigkeit gehen. Die Mitglieder bestimmen nämlich die Produkt- und Einkaufsstandards des Supermarkts selbst. Wer einkauft, soll konkrete Vorschläge zum Sortiment machen können. Welche Kriterien soll es für regionale Produkte geben? Sollen Plastikverpackungen verbannt werden? Auf regelmäßigen Versammlungen stimmen die Mitglieder darüber ab, später sei auch ein Online-Verfahren denkbar. „Bei konventionellen Supermärkten herrscht oft große Intransparenz“, behauptet Kühner. Kunden wüssten kaum, woher die Produkte kommen und wer daran verdient.

Deutsche Supermärkte offenbar wenig verantwortungsbewusst

Studien von Hilfsorganisationen geben der Mitgründerin recht. Erst im Juli analysierte Oxfam, wie transparent die großen deutschen Supermarktketten handeln, ob sie Arbeitsrechte auf Plantagen schützen oder was sie für Kleinbauern tun. Das Ergebnis: Mit gerade einmal 19 von 100 möglichen Punkten schnitt Aldi-Süd deutschlandweit noch am besten ab. Schlusslicht Edeka erreichte im Ranking lediglich einen einzigen Punkt.

Damit stehen die deutschen Supermarktketten auch im internationalen Vergleich schlecht dar. Der britische Handelskonzern Tesco oder die US-Kette Walmart arbeiten laut Oxfam-Analyse bereits deutlich verantwortungsbewusster als die deutschen Konkurrenten. „Jeder ist doch am Ende ein Konsument“, sagt Kühner. „Warum sollten die dann nicht auch mitbestimmen?“ Dass es bei Tausenden gleichberechtigten Anteilseignern irgendwann Verständigungsprobleme geben könnte, glaubt die Studentin nicht. „Es müssen ja nicht immer alle abstimmen, sondern nur diejenigen, die auch interessiert sind.“

Auf dem Land geht es ums Überleben

Den Städtern geht es bei ihrem kooperativen Laden um günstiges und nachhaltiges Essen. Kleine Dörfer brauchen genossenschaftliche Supermärkte mittlerweile zum Überleben. Weil junge Menschen vom Land wegziehen, schließen vor Ort auch immer mehr Einzelhändler ihre Filialen. Schätzungen des Thünen-Instituts zufolge haben in den vergangenen 30 Jahren rund 85 Prozent aller kleinen Lebensmittelgeschäfte dicht gemacht. Von mehr als 66.000 Nahversorgern im Jahr 1990 sind demnach nur rund 8000 übriggeblieben.

Besonders für die Älteren, die zurückbleiben, ist das zum Problem geworden: Sie müssen kilometerweit fahren, um Lebensmittel einzukaufen. Im niedersächsischen Leese eröffnete deshalb bereits vor vier Jahren ein gemeinschaftlicher Supermarkt – der jetzt einzige im 1700-Seelen-Ort. Zahlreiche Dorfbewohner zeichneten damals Anteile, um das benötigte Startkapital aufzutreiben. Denn staatliche Zuschüsse bekamen die Leeser nicht. Heute, vier Jahre nach der Eröffnung, bietet der Dorfladen neben einem normalen Lebensmittelsortiment viele Produkte aus der Region an, etwa Fleisch vom Metzger aus dem Dorf.

Ende kommenden Jahres soll der kooperative Supermarkt der zehn jungen Gründer eröffnen.
Ende kommenden Jahres soll der kooperative Supermarkt der zehn jungen Gründer eröffnen.

© Supercoop/promo

Aus der anfänglichen Not heraus haben sich einige Dorfläden sogar zusammengeschlossen – in der Bundesvereinigung multifunktionaler Dorfläden, kurz BMD. Der Verein stellt etwa den Kontakt zu Lebensmittelproduzenten her oder kümmert sich um die Fortbildung von Mitarbeitern, die meist ungelernt sind und ehrenamtlich arbeiten. Außerdem will die BMD andere Dörfer bei der Gründung unterstützen. „Immer mehr engagierte Dorfgemeinschaften und Kommunalpolitiker wollen sich von den großen Handelsketten nicht mehr vorschreiben lassen, wie weit sie zum Einkaufen fahren müssen, und nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand“, sagt Günter Lühning, Vorsitzender der Dorfladenvereinigung.

Rechtliche Hürden für Dorfläden

Mittlerweile soll es bundesweit 300 solcher Selbsthilfe-Supermärkte geben, viele davon mit angeschlossenem Café als Treffpunkt für die Dorfbewohner. Denn auch die Gaststätten schließen, die bisher als Begegnungsort dienten. Rechtliche Hürden machen es den Dorfläden jedoch schwer. Die gemeinschaftlichen Supermärkte werden nicht als gemeinnützig anerkannt und können sich daher nicht durch steuerbegünstigte Spenden finanzieren. Dabei würden die Läden selbstlos und mit sozialen Funktionen dem Gemeinwohl dienen, erklärt Lühning.

Der "Park Slope Food Coop" in New York existiert seit fast 50 Jahren.
Der "Park Slope Food Coop" in New York existiert seit fast 50 Jahren.

© Supercoop/promo

Weitere Probleme ergeben sich durch Strompreiserhöhungen oder neue Dokumentationspflichten. Die Dorfladenvereinigung hat im Sommer ein Dialogpapier verfasst und führt derzeit Gespräche mit Bundespolitikern. „Bürgerläden und damit der ländliche Raum haben eine bessere Förderung verdient“, sagt Lühning, der selbst CDU-Kommunalpolitiker ist. Er ist überzeugt, dass damit die Landflucht gestoppt werden kann und abgehängte Regionen gar nicht erst entstehen.

In New York wird für die „Park Slope Food Coop“ der eigene Erfolg schon fast zum Problem. Die 17.000 Mitglieder sind eigentlich schon zu viele für die 1000 Quadratmeter große Ladenfläche. Die Mitglieder stehen sich mittlerweile gegenseitig auf den Füßen. Doch expandieren kann der Gemeinschaftsladen nicht mehr. Die Nachbarhäuser hat der Supermarkt längst gekauft, jetzt grenzen nur noch eine Feuerwache und eine katholische Schule an den Gebäudekomplex. Damit die Mitglieder trotzdem auf ihre Arbeitsstunden kommen, helfen sie mittlerweile kostenlos in anderen Supermärkten aus.

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