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Leere Gleise. Allein im Oktober fielen fast 6000 Güterzüge aus.

© picture alliance/dpa

Problemfall Deutsche Bahn: Nach dem Vorstandschaos droht jetzt eine EU-Klage

Ein Gutachten zweier Bahnverbände kritisiert die Finanzspritzen wegen Wettbewerbsverzerrung. Und neue Zahlen zeigen, wie schlecht es um die Gütersparte steht.

Die Deutsche Bahn AG wird für die Bundesregierung zusehends zum massiven Problemfall. Neben der Eskalation in der Führungskrise droht nun eine EU-Klage wegen beabsichtigter Finanzhilfen von 11 Milliarden Euro für den klammen Staatskonzern. Die inzwischen vielen DB-Wettbewerber sehen die Eigenkapitalhilfe des Bundes für den Ex-Monopolisten als massive Wettbewerbsverzerrung, die gegen EU-Recht verstoße.

Das bestätigt ein Rechtsgutachten, das die Bahnverbände Mofair und NEE in Auftrag gegeben haben, unserer Redaktion vorliegt und an diesem Montag in Berlin vorgestellt wird. Das Urteil der Juristen: „Die geplante Kapitalerhöhung ist nicht vereinbar mit dem Binnenmarkt.“ Die spezialisierte Anwaltskanzlei CMS Hasche Sigle stellt fest, dass bereits der beabsichtigte Beschluss des Bundestags zum Nachtragshaushalt 2020, in dem die erste DB-Milliarde enthalten ist, problematisch wäre.

Demnach muss die EU-Kommission den Finanzspritzen zunächst zustimmen, eine Umsetzung der Beihilfe-Pläne sei zuvor nicht zulässig (Durchführungsverbot). Am 20. September hatte das Klimakabinett der Regierung Merkel völlig überraschend eine jährliche Erhöhung des Eigenkapitals der Deutschen Bahn AG um eine Milliarde Euro in den Jahren 2020 bis 2030 beschlossen. Inzwischen läuft das parlamentarische Verfahren.

Die Finanzspritzen  für den Ex-Monopolisten würden den Wettbewerb massiv und unfair verzerren, warnen die DB-Wettbewerber im Güter-, Regional- und Fernverkehr. Verkehrsminister Scheuer habe Schreiben nicht beantwortet, was genau geplant sei. Die Branche und Bahnexperten fordern, die Finanzhilfen nur streng zweckgebunden und kontrolliert für die Modernisierung der Infrastruktur zu vergeben, was allen Anbietern nutze. Eine Kapitalspritze dagegen könne der Konzern auch verwenden, um neue Züge zu kaufen, während DB-Konkurrenten ihre Fahrzeuge selbst bezahlen müssen und keine Hilfe vom Staat bekommen.

DB-Wettbewerber könnten daher Beschwerde wegen der Beihilfe bei der EU-Kommission erheben, heißt es in dem Rechtsgutachten. Zudem könne bei Gericht auf Unterlassung geklagt werden. Dem Vernehmen nach werden in der Branche bereits Klagen vorbereitet.   

Fast 6000 Zugausfälle allein im Oktober

Zudem fährt Europas größte Frachtbahn DB Cargo weiter tief in den roten Zahlen. Allein im Oktober fiel die Rekordzahl von 5855 Zügen aus. Das bestätigte die Bundesregierung dem FDP-Abgeordneten Christian Jung in einer Stellungnahme, die unserer Redaktion vorliegt. Demnach standen an 15 Tagen jeweils mehr als 200 Züge still, Ziel sind nicht mehr als 70 bis 80 abbestellte Transporte. Am 31. Oktober fiel gar die Rekordzahl von 356 Zügen aus, wie der Bahn-Beauftragte Enak Ferlemann schreibt.

Die Ausfälle seien noch schlimmer als befürchtet und eine „ökonomischen und ökologische Katastrophe“, sagte FDP-Verkehrsexperte Jung unserer Zeitung. Die DB verliere immer mehr Kapazität und Kundenvertrauen. Der Lkw- und Schiffsverkehr könne die fehlenden Züge kaum noch kompensierten. Die Folge könnten Versorgungsengpässe bei Gütern und Rohstoffen sein wie schon bei der wochenlangen Sperrung der Rheintalstrecke bei Rastatt. Das werde Minister Scheuer dann der Industrie und den Wählern erklären müssen.

Führungsstreit in der Bahn-Spitze

In der Koalition von Union und SPD sorgen die neuerlichen Turbulenzen beim wichtigsten Bundesunternehmen dem Vernehmen nach für erhebliche Unruhe. In einer weiteren Sondersitzung des DB-Aufsichtsrats will die Bundesregierung am 18. November die Abberufung von Finanz- und Logistik-Vorstand Alexander Doll durchsetzen. Vorigen Donnerstag war die Entlassung am Widerstand der Arbeitnehmervertreter im mitbestimmten Kontrollgremium gescheitert.

Doll wird dafür verantwortlich gemacht, dass sich der Verkauf der britischen Bustochter Arriva verzögert, der mehrere Milliarden Euro bringen und die riesigen Finanzlöcher verringern soll. Verkehrsminister Andreas Scheuer und Aufsichtsratschef Michael Odenwald forderten den langjährigen Investmentbanker, der erst vor zwei Jahren zum Konzern kam, persönlich zur Unterzeichnung des vorgelegten Aufhebungsvertrags auf, was Doll beide Male ablehnte. Der 49-jährige Manager will seine Arbeit fortsetzen, offen ist aber, ob er auch ein erhöhtes Abfindungsangebot verweigert.

Bei den Gewerkschaften EVG und GDL hält man die Vorwürfe gegen Doll für vorgeschoben, viele sehen ihn als Mann der Zukunft. Der Manager leiste gute Arbeit, habe als Finanzvorstand neue Hybridanleihen für den bereits mit 25 Milliarden Euro hoch verschuldeten Staatskonzern organisiert und stelle die lange von DB-Chef Richard Lutz geführte Sparte neu auf. Zudem habe er in seiner erst kurzen kommissarischen Zuständigkeit für die komplexe Fracht- und Logistiksparte auch der Regierung die eigentlichen Probleme beim Güterverkehr auf der Schiene aufgezeigt.

Nikutta vor schwerer Aufgabe

Bei Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), Lutz und DB-Vize Ronald Pofalla fiel Doll offenbar in Ungnade, weil er sich den Machtspielen gegen die Berufung von Sigrid Nikutta widersetzte, die von den Gewerkschaften durchgesetzt wurde. Die bisherige Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und langjährige Managerin bei DB Cargo wird zum 1. Januar 2020 die komplette Logistik- und Frachtsparte der DB AG mit mehr als 100.000 Beschäftigten übernehmen.

Scheuer, Lutz und Pofalla wollten dem Vernehmen nach den Wechsel verhindern, dazu sollte Doll die Logistiksparte weiterführen und das Finanzresort abgeben. Das lehnte der langjährige Banker ab und machte so den Weg für Nikutta frei. Fast zur gleichen Zeit wurden plötzlich unbewiesene Vorwürfe gegen Doll und später Meldungen über seine bevorstehende Entlassung lanciert, was in Gewerkschaftskreisen teils für Empörung sorgte.

Die bisherige BVG-Chefin Nikutta bekommt damit eine Ahnung, was sie beim Staatskonzern auch an politischen Intrigen erwarten könnte. Ihre Aufgabe wird ohnehin schwer. Offen ist, ob die Lkw-Logistiktochter DB Schenker mit mehr als 75.000 Beschäftigten mittelfristig zur Linderung der Finanzprobleme und Konzentration auf die Kernaufgaben im Schienenverkehr verkauft werden muss. Bei der Frachtbahn DB Cargo wiederum werden die Verluste von zuletzt 190 Millionen Euro in diesem Jahr voraussichtlich noch höher ausfallen. Zudem droht eine Milliardenabschreibung, die den gesamten DB-Konzern wie schon einmal in die roten Zahlen bringen könnte.

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