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Wünscht sich regelmäßigere Beitragserhöhungen: PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther.

© PKV-Verband

PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther im Interview: "Wir rechnen mit über einer Milliarde an Zusatzkosten"

Verbandsdirektor Reuther erklärt, weshalb die Beiträge für Privatversicherte so drastisch steigen - und warum das noch gar nichts mit Corona zu tun hat.

Auf die gesetzlichen Krankenkassen kommen finanziell schwere Zeiten zu. Wie sieht es bei der PKV aus?

Für dieses Jahr ist es noch etwas früh, Bilanz zu ziehen. Wir sehen unsere Abrechnungen ja immer erst mit einer Verzögerung von einigen Monaten. Es zeichnet sich aber ab, dass wir in diesem Jahr höhere Versicherungsleistungen erbringen werden als 2019. Im ersten Halbjahr hatten wir ein Ausgabenwachstum von etwa fünf Prozent. Und bei den Sonderaufwendungen für die Corona-Pandemie rechnen wir, Stand heute, mit einer Zusatzbelastung von etwas über einer Milliarde Euro.

Vielen Privatversicherten stehen zum Jahreswechsel enorme Beitragserhöhungen ins Haus. Der Branchenführer Debeka verlangt Aufschläge von teilweise über 17 Prozent, auch Allianz und Barmenia wollen deutlich mehr. Woran liegt das?

An der Corona-Epidemie schon mal nicht, die schlägt sich bei den aktuellen Beitragsanpassungen noch in keiner Weise nieder. Es gibt vor allem zwei Treiber. Das ist zum einen der medizinische Fortschritt, also neue Behandlungsmethoden und neue, zum Teil sehr teure Medikamente. Zum anderen ist es die europäische Niedrigzinspolitik, die über höhere Beiträge abgefangen werden muss. Beides wirkt umso stärker, je länger die Beiträge vorher unverändert waren. Bei der Debeka etwa liegt die letzte Anpassung vier Jahre zurück. Auf mehrere Jahre verteilt wäre die Beitragsentwicklung der PKV ähnlich wie bei der GKV, insgesamt sogar leicht darunter.

Warum erhöhen die Privatversicherer dann nicht öfter und maßvoller?

Das liegt an gesetzlichen Vorgaben. Anpassungen sind demnach nur möglich, wenn die tatsächlichen Leistungen um mindestens zehn Prozent von der Kalkulation abweichen. Wir fordern schon lange, diese Schwellenwerte zu ändern, denn sie kommen aus einer Zeit mit ganz anderer Kapitalmarktsituation. Eine häufigere und dafür dann geringere Beitragsanpassung entspräche auch dem Interesse der Versicherten, deren Lohnentwicklung oft ebenfalls in jährlichem Rhythmus stattfindet. Wir haben ausgearbeitete Vorschläge, wie sich das machen ließe – und von der Union auch klare Signale, dass sie dieses Thema gerne angehen würde. Dass sich da nichts tut, liegt allein an der SPD, die sich einer Hilfe für die PKV aus grundsätzlichen Gründen verweigert.

Welche Versicherten sind von den Erhöhungen denn am stärksten betroffen? Junge oder Alte, Menschen mit Vorerkrankungen oder in Billigtarifen?

Der individuelle Gesundheitszustand spielt für die Beitragsentwicklung keine Rolle, Kranke wie Gesunde sind in gleicher Weise betroffen. Höhere Anpassungen zu verkraften hat vor allem die Altersgruppe der 50- bis 60-Jährigen. Das liegt daran, dass die gesunkenen Zinserträge für diese Versicherten besonders zu Buche schlagen. Denn ihnen bleibt weniger Zeit, ihre Altersrückstellungen entsprechend auszugleichen. Wir nennen das auch das „Mittelalter-Problem“. Der Trost für diese Versicherten: Ab dem 60. Lebensjahr stabilisieren sich ihre Beiträge. Und die zusätzlichen Beitragsanteile für ihre Alterungsrückstellungen bleiben ihnen komplett erhalten und kommen ihnen im Alter wieder zugute.

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Gibt es in der PKV denn nach wie vor das Problem mit Lockangeboten und zu knapp kalkulierten Einsteigertarifen, die später dann besonders in die Höhe schnellen und ein schlechtes Licht auf die ganze Branche werfen? 

Dieses Problem ist weitgehend gelöst. Wir haben zwar noch Versicherte in älteren Tarifen mit sehr knapper Leistungsgestaltung. Aber im Neugeschäft hat die Branche da stark gegengesteuert. So empfiehlt der PKV-Verband schon seit Jahren allen Mitgliedern bestimmte Mindestleistungen, wie etwa 50 Stunden Psychotherapie oder einen besseren Hilfsmittelkatalog. Dazu kamen ab 2013 die Unisex-Tarife, eine stärkere Regulierung im Vertrieb, ein neues Aufsichtsrecht. All das zusammen bewirkt, dass die Tarife der Versicherer hochwertiger geworden sind.

Was ist denn finanziell das größere Problem? Die „medizinische Inflation“, also explodierende Preise für gute Versorgung und immer individueller zugeschnittene Medikamente? Oder die Niedrigzinsen für Rückstellungen?

Für die Rückstellungen ist der Zins natürlich ein ganz wichtiger Hebel. Aber man muss hier auch die Kirche im Dorf lassen: 2019 hatten wir immer noch 2,8 Prozent Durchschnittsverzinsung, diese Rendite bietet Ihnen keine Bank. Was durch den Zinsrückgang nicht mehr hereinkommt, muss durch Beiträge ausgeglichen werden. Wir haben das Problem aber inzwischen ganz gut im Griff. Der abgesenkte Rechnungszins ist mit dem neuen Beitrag bis ans Lebensende einkalkuliert. Und sobald es eine Zinssteigerung gibt, wird die eins zu eins weitergereicht an unsere Versicherten.

Und die steigenden Leistungsausgaben?

Die betreffen uns genauso wie die gesetzliche Krankenversicherung. Vielleicht sogar noch stärker, weil unsere Versicherten ja die Teilhabe am medizinischen Fortschritt in ihren Verträgen verbrieft haben. Trotzdem müssen wir die Wirtschaftlichkeit im Blick behalten. Über das AMNOG-Verfahren haben wir bereits Bremsen gegen eine ungezügelte Verteuerung von Arzneimitteln. Es wird aber auch immer wichtiger werden, die Versicherten bei der Inanspruchnahme besonders teurer medizinischer Leistungen zu begleiten.

Leiden Sie denn auch stärker unter der aktuellen Pandemie als die gesetzlichen Kassen? Oder kommen Sie mit der Krise besser klar?

Wir haben durch Corona erhebliche Aufwendungen, wir schätzen die Zusatzkosten wie gesagt auf mehr als eine Milliarde Euro für dieses Jahr. Eine große Unbekannte ist, welche Spätfolgen noch auf uns zukommen, zum Beispiel weil Behandlungen unterbrochen oder Operationen verschoben wurden. Das wird mit Sicherheit auch längerfristig auf die Gesundheit der Versicherten durchschlagen. Was vielleicht einen falschen Eindruck erweckt: Momentan werden viele Corona-Aufwendungen über die Konten der GKV abgewickelt. Der größte Block ist hier die Freihaltepauschale für die Kliniken, ein zweistelliger Milliardenbetrag, der aber aus dem Bundeshaushalt erstattet wird. Die GKV hat bereits erhebliche Steuermittel erhalten, auch von unseren Versicherten.

Es stimmt also nicht, dass sich die Privaten bei den Coronakosten einen schlanken Fuß machen?

Diese Behauptung ist falsch. Wenn unsere rund neun Millionen Versicherten eine Milliarde Euro an Zusatzkosten leisten, muss man das ja im Verhältnis zu den 73 Millionen gesetzlich Versicherten sehen. Bei den Pandemie-Aufwendungen brauchen wir uns also wirklich nicht zu verstecken, wir leisten sogar einen überproportionalen Anteil. Darüber hinaus tragen die zehn Prozent Privatversicherten als Steuerzahler etwa 20 Prozent des Bundeszuschusses zur gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Koalition möchte, dass die PKV jetzt auch zehn Prozent der Kosten für die geplanten Impfungen übernimmt. Ist das in Ordnung?

Zu den Impfkosten gibt es bereits eine Verständigung. Der Bund finanziert die Impfstoffe, Länder und Kommunen sind für die Infrastruktur zuständig, die GKV und wir tragen den Rest.

[Mehr zum Thema: Britische Nadelprobe - Lesen Sie hier, was bei den Corona-Pionieren schief lief - und was die Welt davon lernen kann (T+).]

Wie gehen Sie denn mit Versicherten um, die in der Krise ihre Beiträge nicht mehr bezahlen können? Ähnlich wie die GKV, die Beitragsstundungen angeboten hat?

Die Versicherungen haben schon im Frühjahr schnell reagiert und versucht, den Betroffenen individuell zu helfen. Durch Beitragsstundung, vorübergehende Wechsel in günstigere Tarife oder auch dadurch, dass man Teile des Versicherungsschutzes ruhen lässt. Den Rückmeldungen zufolge hat das sehr gut geklappt.

Haben die Versicherten Anspruch auf solche Überbrückungshilfen oder sind sie dabei auf den Goodwill ihrer Versicherer angewiesen?

Es gibt keinen gesetzlichen Anspruch auf eine bestimmte Gestaltung. Standardvorgaben wären aber auch nicht verbrauchergerecht. Sie können einem Kunden ja nicht einen günstigeren Tarif empfehlen, wenn er dort auf bestimmte Leistungen verzichten muss, die er aktuell gerade benötigt. In der Branche gibt es eine große Bereitschaft zum Entgegenkommen. Es geht schließlich um lebenslange Verträge, die nicht einseitig kündbar sind, wenn Versicherte ihren Beitrag nicht bezahlen. Da ist es in beiderseitigem Interesse, gute Lösungen zu finden.

Die Koalition plant eine Reform des sogenannten Notlagentarifs. Die PKV soll Forderungen von Leistungserbringern nicht länger mit Beitragsschulden von Versicherten verrechnen dürfen. Was halten Sie davon?

Wir halten das für unnötig. Die Aufrechnungsmöglichkeit ist schließlich auch im Interesse des Versicherten, weil er dadurch schneller wieder in den besseren Tarif zurückkommen kann. Es geht dabei auch weniger um echte Versorgungsschwierigkeiten, sondern eher um Fälle, wo Versicherte mit Beitragsrückständen nicht mehr zu ihrem Wunscharzt gehen können. Und es gibt ein weiteres Problem: Im Notlagentarif sind keineswegs nur Hilfebedürftige, sondern auch Leute, die einfach ihren Beitrag nicht zahlen wollen. Durch die geforderte Reform würden sie gegenüber Versicherten in Normaltarifen erheblich bevorteilt. Für Hilfebedürftige gibt es bessere Lösungen in unseren Sozialtarifen.

Es fehlt, so sagen viele, dem PKV-System an Wettbewerb – weil die Kunden, wenn sie älter sind oder sich chronische Krankheiten zugezogen haben, kaum mehr zu anderen Anbietern wechseln können. Wie ließe sich das ändern – oder ist es gar nicht erwünscht?

Es geht dabei vor allem um die Portabilität der Altersrückstellungen, die schon seit langem diskutiert wird. Ganz klar: Wir hätten da gerne eine Lösung. Aber wir müssen auch die Versicherten schützen, die nicht wechseln wollen. Stand heute gibt es kein praktikables Modell, das zwischen ihnen und den Wechselwilligen einen fairen Ausgleich schaffen würde.

Unzufriedene Bestandskunden müssen also weiterhin bleiben, wo sie sind, wenn sie nicht deutlich mehr zahlen wollen?

Ach wissen Sie, wir haben auch ohne solche Wechselmöglichkeiten mehr Wettbewerb als oft behauptet. Fürs Neugeschäft ist es von zentraler Bedeutung, wie die Versicherer mit ihren Bestandskunden umgehen. Sie schlecht zu behandeln, geht schon deshalb nicht, weil es im Markt extreme Transparenz gibt – durch Makler, durch Vergleichsportale. Und in den Rankings ist Beitragsstabilität einer der wichtigsten Faktoren.

Wie bewerten Sie denn den Vorstoß verschiedener Länder, nun auch Zuschüsse für GKV-versicherte Beamte zu zahlen? Staatsdiener sind für Sie ja eine ganz wichtige Klientel. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Dahinter steckt die klare Absicht, Beamte in die gesetzliche Krankenversicherung zu lotsen und auf diese Weise in Richtung Bürgerversicherung voranzukommen. Das sieht man schon daran, welche Landesregierungen hier die Vorreiter sind. Diese Modelle sind ideologiegetrieben und nicht an tatsächlichem Versorgungsbedarf orientiert. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass der Beamtenbund sie strikt ablehnt. Die überwältigende Mehrheit der Neubeamten in diesen Ländern entscheidet sich für die Kombination aus PKV und Beihilfe.

Nächstes Jahr ist Bundestagswahl. Ist die Bürgerversicherung politisch vom Tisch oder könnte das nochmal ein Projekt von Rot-Rot-Grün, womöglich auch von Schwarz-Grün, werden?

Linke, SPD und Grüne werden die Bürgerversicherung wohl wieder in ihre Wahlprogramme aufnehmen – und bei einer linken Mehrheit könnte das natürlich im Koalitionsvertrag landen. Deshalb werden wir uns argumentativ entsprechend aufstellen. Beim letzten Mal haben wir schon gesehen, dass sich mit diesem Thema keine Wähler gewinnen lassen. Ich bin mir sicher: Nach den Erfahrungen der Pandemie, wo die Menschen unser duales System als enorm leistungsfähig erlebt haben, wird das erst recht nicht funktionieren.

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