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Im Zwiespalt. Nicht nur Müttern fällt es schwer, fürs Kind da zu sein und gleichzeitig beruflich voranzukommen.

© Patrick Pleul/dpa

Pflegezeit: Ohne Gezerre

In manchen Lebensphasen bleibt kaum Zeit für den Job. Doch das muss kein Karriereaus sein. Was langfristige Arbeitszeitmodelle ermöglichen.

Anke Helm hat sich nicht für eine Auszeit vom Job entschieden, weil sie kleine Kinder hatte oder einen Angehörigen pflegen musste. Sie lässt derzeit ihre Stelle beim Flughafenbetreiber Fraport in Frankfurt am Main für ein Jahr ruhen, weil ihr Mann gesundheitlich angeschlagen ist. Sie ist 55 Jahre, er gerade in Rente gegangen. „Mit der Erkrankung meines Mannes haben sich die Prioritäten verschoben“, sagt sie. „Wenn ich in zehn Jahren in den Ruhestand gehe, können wir die Zeit zu zweit vielleicht nicht mehr so genießen, wie das aktuell der Fall ist.“

Helm war bei Fraport zuletzt Leiterin der Airport Security, einer Abteilung mit rund 300 Mitarbeitern, die sich um präventive Sicherheitsmaßnahmen am Flughafen kümmert. Seit mehr als 30 Jahren ist sie für das Unternehmen tätig. Und in dieser Zeit hat sie angefallene Überstunden und nicht genommene Urlaubstage auf einem Lebensarbeitszeitkonto sammeln können. „Eigentlich hatte ich geplant, dass ich die Überstunden am Ende meines Berufslebens gesammelt nehme und mich früher in die Rente verabschiede“, erzählt Helm. Doch ihre Chefin war schnell einverstanden, als sie vorschlug, stattdessen jetzt für ein Jahr auszusteigen.

Viele Beschäftigte kennen das: Immer wieder gibt es Phasen im Leben, in denen es schwierig ist, die Anforderungen des Arbeitgebers und die Ansprüche der Familie in Einklang zu bringen. Der Betrieb fordert den ganzen Tag Anwesenheit – die Familie zumindest stundenweise. Dann wieder gibt es Zeiten, in denen man die Möglichkeiten hat, der Firma viel mehr zur Verfügung zu stehen – etwa als Berufsanfänger oder wenn die Kinder größer sind. Lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodelle orientieren sich an diesen unterschiedlichen Zeitabschnitten.

Job und Leben in Balance

„Es ist eine neue Philosophie bei den Arbeitgebern. Sie realisieren immer mehr, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Mitarbeiter ganz zentral ist“, sagt Jutta Rump. Sie ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Ludwigshafen und Expertin für das Thema. Die Arbeitswelt wird zunehmend schneller, Arbeit verdichtet sich immer mehr. Für Firmen sei es wichtig, Beschäftigte zu haben, die das aushalten – und das geht nur, wenn sie trotz Doppelbelastung Job und Familie in der Balance sind. Lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodelle sollen dabei helfen.

Dabei gibt es nicht das eine Konzept. Lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodelle ist vielmehr der Oberbegriff für eine Vielzahl von Optionen, erläutert Ulrike Hellert. Die Professorin ist Direktorin des Instituts für Arbeit & Personal (iap) an der FOM Hochschule. Ein Modell sieht etwa vor, dass Mitarbeiter in Phasen familiärer Belastung für mindestens drei und maximal sechs Monate auf 80 Prozent reduzieren können. Andere erlauben in Phasen hoher Belastung die Arbeit im Homeoffice oder die Vertrauensarbeitszeit, bei der Mitarbeiter gesteckte Ziele erreichen müssen und frei entscheiden können, wann sie arbeiten. Und es gibt Lebensarbeitszeitkonten wie bei Helm.

Bei Fraport haben laut Betriebsvereinbarung alle Stammbeschäftigten einen Anspruch auf ein solches Konto. Arbeitnehmer dürfen jedes Jahr bis zu 200 Stunden und insgesamt maximal 3000 Stunden ansammeln, die sie dann bei Bedarf abfeiern können. Das Konto können sie etwa nutzen, um eine Pause einzulegen, befristet eine Zeit lang in Teilzeit zu arbeiten oder sich persönlich weiterzubilden. Die „Entnahme“ der Überstunden muss dem Arbeitgeber mindestens sechs Monate vorher angekündigt werden.

Helm genießt derzeit in vollen Zügen die Zeit zu Hause. Und sie ist froh, dass sie ihre Chefin um die Auszeit gebeten hat. Ein Schritt, den sich noch nicht viele trauen. „Wir machen die Erfahrung: Wir haben bei Fraport alle Instrumente zum lebensphasenorientierten Arbeiten, die Beschäftigten nutzen sie aber nicht so stark, wie sie könnten“, erzählt Gudrun Müller, bei Fraport zuständig für Diversity und Fragen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Sie vermutet, dass Rollenvorbilder fehlen und mancher auch einfach nicht den Mut hat, zu fragen.

Vereinbarkeit macht Arbeitgeber attraktiver

Doch was kann der Einzelne tun, wenn die Firma so etwas gar nicht anbietet? Professorin Rump rät, das Thema bereits im Bewerbungsgespräch anzusprechen. Anhand der Reaktion des Personalers ist schnell zu erkennen, ob die Firma Mitarbeiter unterstützt oder sich dafür kaum zuständig fühlt. Sind Firmen sehr engagiert beim Thema Vereinbarkeit, finden sich Angaben dazu häufig auch im Netz oder in Betriebsvereinbarungen.

Wenn Mitarbeiter bereits bei einem Arbeitgeber sind, sollten sie das Thema einfach beim Chef ansprechen, sagt FOM-Direktorin Hellert. Oft sei die Ablehnung gegenüber flexiblen Arbeitszeiten gar nicht so groß, wenn Mitarbeiter Ideen präsentieren, wie es funktionieren kann. Am besten ist es, sich vorher im Team zu besprechen. Gibt es möglicherweise mehrere Kollegen, die sich das wünschen?

Hat der Chef Zweifel, ob andere Arbeitszeiten praktikabel sind, kann man ihm zunächst eine Pilotphase vorschlagen. Zunächst werden die veränderten Arbeitszeiten zum Beispiel einen Monat lang getestet – dann analysiert man gemeinsam die Ergebnisse, schaut sich an, was funktioniert und was eher nicht.

Gibt es wie bei Fraport solche Modelle, braucht es schließlich Mitarbeiter, die sich trauen, sie in Anspruch zu nehmen. Und Beschäftigte sind laut Betriebswirtschaftlerin Hellert viel mehr als früher gefragt, zu klären: Welches Modell passt zu mir? Bringt es mir etwas, wenn ich zum Beispiel zweimal die Woche von zu Hause arbeite oder in Teilzeit gehe?

Helm ist froh, mit 55 Jahren die Auszeit vom Job genommen zu haben. „Für mich ist dieses Jahr ein unglaublicher Luxus“, sagt sie. Außerdem hat sie in dieser Zeit einen ganz neuen, frischen Blick auf den Job gewonnen. „Und das Beste ist: Ich freue mich wirklich wieder richtig auf die Arbeit.“ dpa

Kristin Kruthaup

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