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Rund 500 Pfleger und Schwestern fehlen allein in den Berliner Kliniken der Charité und von Vivantes.

© picture alliance / dpa

Personalmangel in Krankenhäusern: Bundesweit fehlen 70 000 Pflegestellen

In den letzten 20 Jahren wurden 20.000 Stellen für Pflegekräfte gestrichen. Krankenschwestern und Pfleger sind überlastet, die Patienten leiden. Opposition und Gewerkschaften setzen sich nun für eine Mindestbesetzung ein.

In der Bundespolitik droht ein Streit um das Pflegepersonal in den Kliniken. Betriebsräte aber auch Krankenhausmanager beklagen einen massiven Personalmangel. Die Gewerkschaft Verdi fordert deshalb eine Mindestbesetzung – und zwar per Gesetz. Noch ist die Besetzung der Schichten und Stationen kaum geregelt. Die Krankenhäuser bestimmen den Bedarf selbst, was auch von deren Kassenlage abhängt. Während die Opposition ebenfalls mehr Schwestern und Pfleger fordert, lehnt die Bundesregierung eine Mindestbesetzung ab.

Die Linke will einen Personalschlüssel per Gesetz festschreiben lassen, die SPD plädiert für eine Kommission aus Krankenkassen, Kliniken und Gewerkschaften. Das Gremium solle Besetzungen verbindlich regeln. Kliniken, die sich nicht daran halten, könnten Vergütungsabschläge drohen: Die Kosten für Mitarbeiter und Medikamente zahlen die Kassen, die dann Mittel möglicherweise zurückhalten könnten.

Im Bundesgesundheitsministerium hält man „generelle Regelungen zu einer personellen Mindestbesetzung, gleich auf welcher Grundlage, nicht für sinnvoll“, also auch nicht in Verträgen mit den gesetzlichen Krankenversicherungen. Die Bewertung der Personalausstattung könne „sinnvollerweise nur für das einzelne Krankenhaus vorgenommen werden“, sagte ein Sprecher von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP).

In einer Antwort auf eine Anfrage der Linken erklärte das Ministerium, es gebe „keine belastbaren Erkenntnisse, die auf einen generellen Zusammenhang zwischen einer personellen Unterdeckung und daraus resultierenden Folgen für die Versorgung“ der Patienten schließen lasse.

Personalmangel als mögliche Ursache für Hygienemängel an Krankenhäusern

„Die Regierung leugnet das Problem einfach“, meint Harald Weinberg von der Linken im Bundestag. Experten der Berliner Gesundheitsämter hatten 2012 im Zusammenhang mit Hygienemängeln auch die Personalausstattung als Ursache genannt. Bundesweit wurden in den vergangenen 20 Jahren rund 20 000 Pflegestellen gestrichen. Gleichzeitig müssen immer mehr Patienten versorgt werden, was mit der Alterung der Bevölkerung zusammenhängt. Verdi spricht von bundesweit 70 000 fehlenden Pflegestellen. Allein in den landeseigenen Berliner Kliniken von Charité und Vivantes fehlen Schätzungen zufolge 500 Schwestern und Pfleger. Nach Auskunft von Betriebsräten betreut eine Schwester im Schnitt bis zu 20 Patienten. In Skandinavien und den USA kümmert sich eine Pflegekraft in der Regel um etwa zehn Patienten. Dieses Verhältnis strebt auch Verdi an.

In Altenheimen gilt seit Jahren ein Personalschlüssel, der mit den Kassen und Bundesländern ausgehandelt wird. Leben in einem Berliner Heim zehn Bewohner der höchsten Pflegestufe III müssen mindestens fünf Pflegekräfte beschäftigt werden. In einzelnen Schichten reicht es aber, wenn nur einige im Einsatz sind.

Weil unsicher ist, ob eine künftige Bundesregierung ein Gesetz für die Krankenhäuser auf den Weg bringt, gibt es bei Verdi inzwischen Stimmen, die mehr Personal in Tarifverträgen festschreiben wollen. Dann wären die Kliniken über ihre Verträge mit den Gewerkschaften an eine Mindestbesetzung gebunden. Verdi prüft nun, ob das überhaupt tariffähig ist.

Verdi-Mitglieder fordern Tarifgespräche über Mindestbesetzung

Kritikern zufolge habe die Forderung womöglich „politischen Charakter“ – anders als in den meisten Ländern Europas sind Arbeitskämpfe für politische Forderungen hierzulande verboten. Schwestern und Pfleger dürften eine Mindestbesetzung also nicht mit Streik durchsetzen. Der Berliner Arbeitsrechtler Damiano Valgolio hält Mindestbesetzungen allerdings für eine tariffähige Forderung. „Durch den Personalschlüssel auf den Stationen sind unmittelbar die Arbeitsbedingungen betroffen“, sagte der Anwalt. „Und die sind eine Tarifvertragsfrage.“

Auch in den Krankenhäusern wird diskutiert, ob Tarifverhandlungen oder eine Gesetzesinitiative sinnvoller wären. Giovanni Ammirabile, Betriebsratschef der Vivantes-Kliniken, will eine gesetzliche Festlegung: „Wenn der Personalschlüssel in Tarifverträgen festgeschrieben wird, wird er nur in Kliniken angewendet, in denen die Beschäftigten ihn durchsetzen können, weil sie gewerkschaftlich organisiert sind.“ In vielen Krankenhäusern sind Schwestern und Pfleger aber nicht Mitglied einer Gewerkschaft.

Die Verdi-Mitglieder an der Charité haben die Leitung der Uniklinik schon zu Tarifgesprächen über eine Mindestbesetzung aufgefordert. Personalratschef Carsten Becker will einen Schlüssel von einer Schwester auf fünf Patienten, in der Intensivpflege eins zu drei. Der Charité-Vorstand lehnt das ab. Seit Durchsetzung der Fallpauschalen 2003 stehen die Kliniken unter starkem Kostendruck. Die Krankenkassen zahlen pauschal pro Diagnose, oft unabhängig davon, wie lange der Patient versorgt wurde.

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