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Der Burger wird dann wohl teurer, prophezeien Vertreter der Systemgastronomie angesichts steigender Mindestlöhne. Das Argument wird die Poltik nicht aufhalten.

© imago images/Schöning

„Pausenclowns der Politik“: Arbeitgeber hadern mit höherem Mindestlohn

Arbeitgeber attackieren die Ampel-Regierung: Sie sehen in der Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro einen Angriff auf die Tarifautonomie.

Steffen Kampeter erinnerte an Andrea Nahles, die als Bundesarbeitsministerin 2015 anlässlich der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ein Versprechen abgegeben habe: Die zukünftige Höhe überlassen wir den Tarifpartnern. Sechs Jahre später kommt die Politik nun mit einem „Staatslohn“, ärgert sich der Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände (BDA) über die geplante Mindestlohnerhöhung auf zwölf Euro zum 1. Oktober.

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„Das läuft nach dem OWD-Prinzip“, meinte Kampeter: „Olaf will das.“ Olaf Scholz hatte mit zwölf Euro Wahlkampf gemacht. In den Koalitionsverhandlungen erkauften sich SPD und Grüne die Zustimmung der FDP, indem sie sich auf die Beibehaltung der arbeitsmarkt- und sozialpolitisch umstrittenen Minijobs einließen.

Derzeit beträgt der Mindestlohn 9,82 Euro, ab Juli sind es 10,40 Euro. Nach dem von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgelegten Gesetzentwurf steigt der Stundensatz dann zum 1. Oktober auf zwölf Euro. Anschließend soll dann wieder die von Gewerkschaften und Arbeitgebern gebildete Mindestlohnkommission über Erhöhungen befinden. Das erste Mal im Juni 2023 für 2024.

Die Arbeitgeber stört das Verfahren

Die Gewerkschaften freuen sich über den Eingriff der Politik, die Arbeitgeber sind sauer. Am Donnerstag lud die BDA zu einer Diskussion ein, um ihren Protest zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens zu artikulieren.

Überraschendes Bekenntnis Kampeters: „Niemand regt sich über zwölf Euro auf, es geht um Verfahrensfragen.“ Die Ampel-Regierung greife in die Tarifautonomie ein und verstoße womöglich gegen das Grundgesetz.

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Der Ökonom und ehemalige Sachverständige Lars Feld, der auf Vorschlag der Arbeitgeber die Mindestlohnkommission berät, stellte sich an die Seite Kampeters. Die Kommission drohe zum „Pausenclown“ zu werden mit Auftritten zwischen den Bundestagswahlen.

Bereits vor der Einführung des Mindestlohns 2015 bei 8,50 Euro habe man gewarnt, dass sich die Politik vermutlich aus wahltaktischen Gründen nicht zurückhalten werde mit Vorschlägen und Versprechungen über höhere Mindestlöhne. Diese Befürchtung bestätige sich jetzt.

Kein größerer Arbeitsplatzabbau

Obwohl der Schritt von 10,45 Euro auf zwölf Euro groß ist, befürchtet auch Feld keinen größeren Stellenabbau. „Arbeitskräfte werden insgesamt knapper“, das führe flächendeckend zu höheren Löhnen. „Zwölf Euro werden deshalb vielleicht keine Auswirkungen haben“, meinte der Wissenschaftler.

Steffen Kampeter vertritt die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände in der Mindestlohnkommission.
Steffen Kampeter vertritt die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände in der Mindestlohnkommission.

© Georg Moritz

Er sehe sich keineswegs als Pausenclown, reagierte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell auf die Einschätzung Felds. Körzell sitzt gemeinsam mit Kampeter in der Mindestlohnkommission, man duzt sich, man versteht sich und lebt Sozialpartnerschaft. Wechselseitige Vorwürfe gehören dazu.

Kampeter hält dem DGB seine Schwäche vor: Die Gewerkschaften seien nicht in der Lage, zwölf Euro in Tarifverhandlungen durchzusetzen und riefen deshalb nach dem Staat.

Mindestlohn als Reaktion auf Tarifflucht

Körzell schildert die Zusammenhänge so: Die Gewerkschaften würden ja gerne zwölf Euro tarifieren, doch „es fehlt ein Verhandlungspartner auf der anderen Seite“. Vor allem die BDA habe durch die Etablierung sogenannter OT-Arbeitgeberverbände (ohne Tarif) zum „Unwesen“ der Tarifflucht beigetragen.

„Das ist der Kern allen Übels“, meinte Körzell. Tatsächlich werden bundesweit nur noch knapp 50 Prozent der abhängig Beschäftigten nach Tarif bezahlt – im Westen mehr, im Osten weniger.

Stefan Körzell sitzt für den DGB in der Mindestlohnkommission.
Stefan Körzell sitzt für den DGB in der Mindestlohnkommission.

© dpa

„Wir hätten es in der Hand gehabt in der Mindestlohnkommission, selbst an die Zwölf heranzukommen, das ist uns nicht gelungen“, sagte Körzell. Die BDA beziehungsweise Kampeter hätten sich nicht auf einen Korridor in Richtung zwölf Euro eingelassen, weshalb die Politik jetzt den Geburtsfehler des gesetzlichen Mindestlohn korrigiere.

„Der Einstieg war bei 8,50 Euro zu niedrig“, blickte der DGB-Mann zurück. „Wenn wir bei neun oder 9,50 Euro gestartet wären, hätten wir das Problem nicht.“ Im Übrigen werde das Thema von beleidigten Arbeitgebern aufgebauscht: „In England hat die Politik schon zweimal eingegriffen und den Mindestlohn erhöht.“

Um 6,5 Milliarden Euro steigen die Lohnkosten

Löhne sind für die Unternehmen Kosten – auf diesen Umstand wies Feld hin. Nach Berechnungen des Arbeitsministeriums bekommen 6,2 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum 1. Oktober eine Lohnerhöhung, weil sie weniger als zwölf Euro verdienen.

[Lesen Sie außerdem bei Tagesspiegel Plus: Hälfte der 100-Tage-Schonfrist ist rum: Die Ampel ist dabei, den Start zu verstolpern (T+)]

In der Summe müssen die Firmen dann im vierten Quartal gut 1,6 Milliarden Euro mehr für ihr Personal zahlen respektive rund 6,5 Milliarden mehr 2023. „Ein höherer Mindestlohn wird zu höheren Preisen führen“, kündigte Andrea Belegante an, die Chefin des Verbandes der Systemgastronomie, in dem sich McDonald’s, Starbucks, Nordsee und andere Filialisten zusammengeschlossen haben.

Viele Tarife liegen unter zwölf Euro

Vor zwei Jahren hatte der Verband mit der Gewerkschaft NGG einen Tarifvertrag abgeschlossen, der in fünf Schritten eine Erhöhung des Mindestlohns für die Branche mit 120 000 Mitarbeitern vorsieht: Von zehn Euro (2020) geht es über aktuell elf Euro hoch auf zwölf Euro – aber erst Ende 2023, also ein gutes Jahr nach den gesetzlich vorgeschriebenen zwölf Euro.

„Wir können uns so eine Erhöhung auf einen Schlag nicht leisten“, meinte Belegante, zumal viele Mitarbeitende aufwendig eingearbeitet werden müssten. „Vielleicht wird der eine oder andere Burger teurer“, kommentierte Körzell und führte Umfragen an: Die Bürger seien bereit, mehr zu zahlen, wenn das Geld bei den Beschäftigten ankommt.

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