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Einfach mal die Finger davon lassen - das fällt inzwischen vielen Menschen schwer, die häufig im Internet unterwegs sind.

© Robert Schlesinger/dpa

Pause vom Internet: Offline sein als Statement?

Jeder Fünfte nutzt das Internet gar nicht. Aber reicht das schon für eine Anti-Netz-Bewegung? Christina nutzt es, gern sogar – aber auch sehr bewusst. Dabei geht es nicht nur um den Schutz ihrer Daten.

Christina liebt das Netz. Vier bis fünf Stunden täglich verbringt die junge Berlinerin damit, Webseiten aufzurufen, Dokumente zu suchen, Informationen zu lesen. „Ich bin durchaus ein Internet-Junkie“, sagt sie mit einem Lächeln, wohlwissend, dass dieser Satz manchen, der sie kennengelernt hat, irritieren könnte. Christina kennenzulernen ist nicht so schwierig. Sie ist ein offener, neugieriger Mensch, reist gern und weit, interessiert sich dafür, wie andere Menschen leben. Sie versucht zu helfen. Als Stadtplanerin war sie schon in Kambodscha, um aus Slums normale Stadtviertel zu machen. Für ihre Doktorarbeit reist sie immer wieder nach Brasilien, wo sie schon während ihres Studiums ein Jahr verbracht hat. Und doch, wer den Kontakt zu ihr nicht verlieren will, muss sich an gewisse Regeln halten. Christina ist nicht bei Facebook. Christina ist nicht bei Whatsapp. Christina hat kein Smartphone. Ganz bewusst.

„Ich bin eine kritische Bürgerin“, sagt sie. Sie muss schmunzeln. Sie hinterfrage alles, das Dahinter interessiere sie. Bei Menschen, bei Unternehmen, in Gesellschaften. Warum müssen Menschen fortwährend auf ihr Smartphone starren? Warum ist das spannender als das, was gerade um sie herum geschieht? Warum müssen sie ständig im digitalen Smalltalk mit ihren sozialen Kontakten sein? Ist es wichtig, den nicht endenden Nachrichtenstrom bei Facebook zu verfolgen? Wiegt dieses Dabeisein den Kontrollverlust meiner privaten Daten auf? Gibt es ernsthafte Alternativen zu Google, Anbieter, die sich verantwortlich fühlen für die Unmengen Energie, die sie verbrauchen?

Wegen Kambodscha kehrt sie zum Handy zurück

Christinas bewusste Haltung, das Hinterfragen hat sich über Jahre herausgebildet. In der Schule habe sie es mit der hohen Frequenz ihrer SMS bis in die Abi-Zeitung gebracht, erzählt die 33-Jährige mit einem Augenzwinkern. Später verbrachte sie bis zu drei Stunden täglich mit StudiVZ, einem damals weit verbreiteten Netzwerk, das nach dem Facebook-Prinzip alle Freunde im Netz versammelte. Irgendwann, erzählt Christina, sei sie sich mit ihrem hohen Konsum selbst auf die Nerven gegangen. Das Verhältnis zwischen realer und virtueller Welt habe nicht mehr gestimmt.

Fünf Jahre lang hatte sie kein Handy. Freunde, die das nicht akzeptierten, hat sie abgehakt. Die richtigen sind geblieben. Auch für ihre Arbeitgeber sei es kein Problem gewesen, dass sie nicht mobil erreichbar war. „Meine Chefs waren aber auch älter, die haben noch Zeiten erlebt, in denen es keine Handys gab.“ Nur weil es in Kambodscha kein Festnetz gibt, sei sie zum Handy zurückgekehrt, sagt sie.

Dem Digitalen nicht zu großen Raum geben

Sie legt das Gerät auf den Tisch – es ist ein Nokia, so groß wie ein Schokoriegel, schwarz, das kleine Display schimmert blau. „Als ich das erste Mal ein Smartphone in der Hand hatte, musste mir meine Schwester erklären, dass ich wischen muss, nicht tippen.“ Inzwischen kennt sie sich aus. Ein Smartphone kommt für sie trotzdem nicht infrage. Die Versuchung, ständig online zu sein, wäre zu groß. Hinzu komme die Datenflut, die sie damit produzieren würde.

Ständig und immer wieder bemüht sich Christina, dem Digitalen nicht zu großen Raum neben dem analogen Alltag zu gestatten. Wenn sie mit der Bahn zur Arbeit nach Potsdam fährt, schaut sie aus dem Fenster. „Ich nutze solche Gelegenheiten bewusst zur Entspannung, um meine Gedanken zu ordnen.“

Bei Gesundheitsdaten hört der Spaß auf

Mit ihrem teilweisen Verzicht auf die digitale Zugehörigkeit ist Christina nicht allein. Im Gegenteil: Nach jüngsten Untersuchungen nutzt jeder Fünfte hierzulande das Internet so gut wie nie. Je älter desto höher die Quote derer, die das Medium ignorieren. Die Motive der Totalverweigerer sind höchst unterschiedlich. Häufigste Gründe sind laut Umfragen die Sorge um die eigenen Daten und andere Sicherheitsbedenken.

Christina kann das nur teilweise nachvollziehen. „Zahlungsdaten, Konsumdaten, Gesundheitsdaten – die sind für mich relevant“, sagt sie. „Da besteht in meinen Augen ein so großes Missbrauchpotenzial, dass ich mich dem nicht aussetzen will.“ Und doch tut sie es mitunter: kauft bei Onlineshops, wenn es die Ware in Läden in ihrer Nähe gerade nicht gibt; bucht Flüge online, weil sie so günstig nur dort zu haben sind. Dabei war sie sogar schon mal Opfer eines Kreditkartenbetrügers, der mit ihren Daten am anderen Ende der Welt für ein paar Tausend Euro eingekauft hat. Das Geld auf ihrem Konto war für ihren Urlaub bestimmt.

Die Bank ersetzte den Schaden, allerdings Monate später. Sie kauft noch immer online ein, aber sie hat gelernt. Wenn Christina ins Netz geht, dann nach Möglichkeit über ein sogenanntes TOR-Netzwerk, bei dem Daten über so viele Server geschickt werden, dass der Absender nicht mehr zu identifizieren ist. Und: „Bevor ich zahle, schaue ich mir immer die Sicherheitszertifikate der Seiten an.“

16 Verweigerertypen schon eine Anti-Netz-Bewegung?

Experten haben eine Reihe weiterer Faktoren ausgemacht, die dazu führen, dass Menschen das Netz kaum, selten oder gar nicht nutzen. Der Schweizer Ökonom Joel Luc Cachelin beispielsweise definiert in seinem Buch „Offliner“ 16 unterschiedliche Verweigerertypen. Die Spanne reicht vom Verlierer über den Nachhaltigkeitsvertreter bis hin zum Gottesfürchtigen. Die Digitalisierung stoße auch jenen sauer auf, deren Status, Einkommen, Macht oder Besitz gefährdet sei, schreibt Cachelin. Allein die enorme Bandbreite der Motive nährt allerdings Zweifel daran, ob es sich tatsächlich um eine Anti-Netz-Bewegung handelt.

Offline zu sein, um sich der ständigen Erreichbarkeit zu widersetzen, sei natürlich ein dankbares Trendthema, sagt Markus Beckedahl, Sprecher des Vereins Digitale Gesellschaft. In Zeiten, in denen jeder jederzeit erreichbar scheine, sei das Gegenteil so etwas wie ein Statussymbol. Nach dem Motto: Digitales Fasten muss man sich leisten können. Insofern hält Beckedahl Publikationen wie die von Cachelin für wohlfeil. „Wer sich gut vermarkten will, nutzt diesen Trend.“

Das Smartphone - ein Spielautomat

Überhöhte politische Motive für den Verzicht auf Online kann Christopher Homann ebenfalls nicht erkennen. Seit rund zwei Jahren bietet er mit seiner Geschäftspartnerin Annika Dipp Seminare für Menschen an, die mal runterkommen wollen. Oder müssen. Vom Werber über die Studentin bis hin zum Profi-Pokerspieler reicht die Kundschaft der Berliner Agentur Offlines.

Der Zulauf werde stetig größer. Medien- und Sozialpädagogen vermitteln den Teilnehmern Kniffe, mit denen sie sich vom Lieblingsspielzeug entwöhnen können. „Das Smartphone wirkt auf das Gehirn wie ein Glücksspielautomat: Bei jeder Nachricht, bei jedem Like und auch schon bei der Verheißung darauf, wird Dopamin ausgeschüttet“, sagt Homann. Vielen helfe es bereits, das Handy durch einen analogen Wecker zu ersetzen. So falle der erste Blick am Morgen nicht auf das Display mit neuen Nachrichten.

"Bei Ecosia pflanze ich einen Baum"

Christina kennt diesen Reflex bei jeder Vibration des Handys aus der Vergangenheit. „Meine Freunde müssen SMS schreiben.“ Häufig schalte sie das Mobiltelefon auf lautlos. Fast besser erreichen Menschen Christina deshalb über E-Mail. Diese Form der elektronischen Kommunikation ergibt für sie einen Sinn. Christina hat nach der Schule einige Jahre in Lateinamerika verbracht, später die Projektarbeit in Kambodscha. Um mit den fernen Freunden in Kontakt zu bleiben, seien E-Mails ein idealer Weg.

Ohnehin spielt die Verhältnismäßigkeit für die Berlinerin eine große Rolle. Auf manche App sei sie schon neidisch, auf Kartendienste zum Beispiel. Das reiche jedoch nicht aus, um die negativen Effekte des Smartphones wie kostenlose Bewegungsprofile für die App-Hersteller aufzuwiegen. Eine politische Botschaft verbindet sie mit ihrem teilweisen Verzicht nicht, eher geht es um persönliche Verantwortung. So weit es geht, verzichtet sie etwa auf die Dienste von Suchmaschinen, weil diese mit ihren riesigen Serverfarmen extrem viel Energie verbrauchen. Falls doch eine Suche nötig ist, zieht Christina die nachhaltige Variante dem Mainstream-Produkt Google vor. „Bei Ecosia pflanze ich wenigstens einen Baum“, sagt sie.

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