zum Hauptinhalt
Krankheitssymptome sind je nach Geschlecht oft unterschiedlich. Ein Herzinfarkt etwa äußert sich bei Frauen anders.

© mauritius images

Patientinnen fühlen sich schlecht informiert: Beim Arzt geht es oft nur um den „männlichen Normkörper“

Frauen zeigen oft andere Krankheitssymptome als Männer - und auch Arznei kann bei ihnen anders wirken. Doch Infos dazu gibt es in Arztpraxen selten.

Knapp 90 Prozent der Deutschen wissen, dass Männer für bestimmte Erkrankungen ein anderes Risiko haben als Frauen. Und 83 Prozent sind davon überzeugt, dass auch Krankheitssymptome geschlechterspezifisch sind. Doch laut einer repräsentativen Umfrage der pronova BKK fühlt sich nur jede vierte Patientin vom Arzt über die unterschiedliche Wirkungen von Medikamenten auf Frauen und Männer aufgeklärt.

Tatsächlich fördert die Studie eine seltsame Unwucht zutage: Die meisten Menschen (88 Prozent der Frauen und 79 Prozent der Männer) haben davon gehört, dass es bei Krankheiten und ihren Symptomen geschlechtsspezifische Unterschiede geben kann, fühlen sich aber als Patient:innen nicht genügend darüber informiert. 82 Prozent, so das Befragungsergebnis, hätten gerne mehr Informationen darüber, wie sich die Symptome etwa beim Herzinfarkt je nach Geschlecht unterscheiden. 87 Prozent sind der Ansicht, dass auch die Pharmaindustrie ihre Packungsbeilagen anpassen und dort klar auf die Unterschiede bei der Verwendung durch Männer und Frauen hinweisen sollten. Und 86 Prozent sehen den Gesetzgeber in der Pflicht, klare Vorgaben zu einer geschlechterangepassten Gesundheitsversorgung zu machen.

Wandel bei der Probanden-Auswahl für Studien

„Hier wird sich erst etwas verändern, wenn es klare Regularien gibt“, meint auch Sabine Oertelt-Prigione, die Inhaberin von Deutschlands erster Professur für geschlechtersensible Medizin an der Universität Bielefeld. Beispielsweise müsse „die Politik dafür sorgen, dass nur noch Studien finanziert werden, die das Geschlecht berücksichtigen“. Und dort, wo die Datenlage bereits gut sei, wie beispielsweise in der Kardiologie, könnten Leitlinien-Veränderungen angeschoben und Therapien geschlechterspezifisch angepasst werden, so ihr Vorschlag. „Die medizinische Forschung orientiert sich am männlichen Normkörper“, weiß die Ärztin, die unter anderem zum Einfluss des Geschlechts auf Herzkreislauferkrankungen und das Immunsystem forscht und sich aktuell auch mit geschlechtsspezifischen Unterschieden von Covid-19-Erkrankungen und deren Auswirkungen beschäftigt.

Frauen zeigten bei gleichen Erkrankungen häufig andere Symptome, sagt sie. So seien bei Männern die klassischen Beschwerden bei drohendem Herzinfarkt starke Brustschmerzen. Junge Frauen könnten in dieser Situation aber auch bloß unter Übelkeit und Schwindel leiden. Ein anderes Beispiel sind die Symptome bei Asthma. Bei Jungen zeige sich die Erkrankung meist durch Geräusche beim Atmen, bei Mädchen sei es oft trockener Husten. Entsprechend wichtig sei es, dass die Ärzt:innen bei der Diagnostik auch geschlechtsspezifische Unterschiede berücksichtigen.

Auch auf Arzneimittel reagierten Frauen anders als Männer, betont die Professorin. Frauen litten öfter unter Nebenwirkungen von Medikamenten. Zudem könnten diese bei ihnen – aufgrund von Körpergröße, Gewicht und Hormonen – anders wirken als bei Männern. „Wir haben bei klinischen Studien zu Corona festgestellt, dass das Geschlecht kaum beachtet wurde, obwohl längst bekannt war, dass Männer und Frauen unterschiedlich betroffen sind“, berichtet Oertelt-Prigione. „Es hatte sich einfach so etabliert und war gesellschaftlich akzeptiert.“ Inzwischen sehe man zwar bereits einen Wandel bei der Auswahl der Probanden für Studien. Die geschlechterspezifische Analyse erfolge aber „weiterhin zu selten“.

In Großbritannien und den Niederlanden läuft es besser

Und viele Patient:innen bleiben im medizinischen Alltag mit dem Problem allein gelassen. Dabei wird mangelnde Transparenz im Gespräch mit Ärzt:innen vor allem von denen beklagt, die auch in der Forschung zu wenig Berücksichtigung finden: Nur 26 Prozent der Frauen sagen, ihr Arzt habe sie über die unterschiedlichen Wirkungen von Medikamenten aufgeklärt. Von den befragten Männern fühlen sich, immerhin, 40 Prozent genügend informiert. Insgesamt wünschen sich 83 Prozent deutliche Hinweise von Medizinern, wenn noch unklar ist, ob Medikamente auf Männer und Frauen unterschiedlich wirken. Und nur 33 Prozent berichten, dass ihr Arzt mit ihnen darüber überhaupt gesprochen habe.

Der „Wandel zur personengerichteten Medizin mit dem „Ziel, einen kooperativen Prozess zwischen Patientinnen, Patienten, Ärztinnen und Ärzten zu schaffen“, beginne gerade erst, meint Oertelt-Prigione. Dafür müssten die Mediziner ihre Deutungshoheit aufgeben und auch die Expertise ihrer Patient:innen für die eigene Gesundheit ernst- und wahrnehmen. Andere Länder wie die Niederlande, Kanada oder Großbritannien seien da weiter, sagt die Professorin. Allerdings ist sie zuversichtlich: Die jüngere Generation, so meint sie, werde diesen Wandel auch in Deutschland vorantreiben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false