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Der Beratungsbedarf von Patienten ist drastisch gestiegen. Und jede dritte Frage dreht sich um Corona.

© dpa/Christophe Gateau

Patientenberater im Dauerstress: Jede dritte Frage dreht sich um Corona

Erst kamen sie mit Fragen zur Infektionsgefahr, nun geht es vor allem um Impfärger: Corona hat die Zahl ratsuchender Patienten explodieren lassen. 

Die Corona-Pandemie hat die Zahl von Rat suchenden Patient:innen mächtig in die Höhe schnellen lassen. Das ist einer ersten Bilanz der Unabhängigen Patientenberatung (UPD) für 2020 zu entnehmen, die dem Tagesspiegel Background Gesundheit und E-Health vorliegt. Demnach drehte sich dort im vergangenen Jahr fast jede dritte Beratung nur um SARS-CoV-2 sowie den Umgang mit Covid-19.

Am höchsten war die Nachfrage für Corona-Beratungen nach UPD-Angaben, korrespondierend zu den jeweiligen Pandemiewellen, in den Monaten März, April und Oktober. Aufs komplette Jahr gerechnet gab es 52.501 Beratungen rund um Corona. Für das etwa 100-köpfige Beratungsteam war das nicht nur wegen der schwierigen Materie und einer sich beständig ändernden Informationslage eine besondere Herausforderung. Auch mengenmäßig kamen diese Anfragen beim normalen Pensum nahezu komplett obendrauf. Die Gesamtberatungszahl stieg im Vergleich zum Vorjahr von 128.000 auf 172.945 – ohne dass beim Personal aufgestockt worden wäre. Vor der Coronakrise hatte es immer wieder Kritik daran gegeben, dass die UPD zu wenig bekannt und die Zahl ihrer Beratungen zu niedrig sei.

Größter Beratungsbedarf im März 2020

Die mit Abstand höchste Zahl wurde im März mit 12.678 Corona-Beratungen erreicht – quasi aus dem Stand heraus, denn im Monat davor waren es gerade mal 855 gewesen. Damals, so erinnert sich der Ärztliche Leiter der UPD, Johannes Schenkel, sei man mit dem Beratungsangebot zu Covid-19 noch „ziemlich alleine auf weiter Flur“ gestanden. Mittlerweile können sich Fragesteller auch an die Patientenservice-Hotline 116117 des ärztlichen Bereitschaftsdienstes oder das Bürgertelefon der Bundesregierung wenden. Im Juni sackte die Beratungszahl dann mit etwas über 2000 auf ihren niedrigsten Zwischenwert, um bis zum Oktober – als es mit der zweiten Welle losging – wieder auf das Dreifache anzusteigen. Im Dezember 2020 betrug die Zahl der Beratungen zum Thema Corona rund 3800.

Inhaltlich sei das Fragenspektrum „sehr heterogen“ gewesen, berichtet Schenkel. Allerdings habe es sich auch entsprechend der Lage und Entwicklung bei der Pandemie-Bekämpfung spürbar verändert. „In der ersten Erkrankungswelle war die Beratung vor allem medizinisch geprägt“ – angefangen mit der Frage, was das überhaupt für eine Krankheit ist bis hin zu Unterschieden zwischen den Testverfahren. Viele Fragesteller wollten Infos zu Symptomen, Krankheitsverlauf, Übertragbarkeit, Hygienemaßnahmen, der Schutzwirkung von Masken. Fragen zur Akutversorgung im Erkrankungsfall und der Verschiebung von Operationen in Krankenhäusern spielten ebenfalls eine gewichtige Rolle.

Später, mit der zunehmenden Menge an Rechtsverordnungen und Eindämmungsmaßnahmen, ging es stärker um gesundheitsrechtliche Beratung. Die Fragesteller wollten sich beispielsweise über Reiseregelungen informieren, die Kostenübernahme von Coronatests geklärt haben oder auch Details zu Quaräntäne- und Isolationsvorgaben wissen. Daneben waren Berufspflichten, Patientenrechte oder Sonderregelungen für die ambulante Versorgung – etwa zur Möglichkeit von telefonischen Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen, zu Folgeverordnungen oder Videosprechstunden – zeitweise wichtige Schwerpunkte.

Vertrauen in die Impfkampagne schwindet

Im Dezember habe dann „das Impfthema langsam Fahrt aufgenommen“, erzählt Schenkel. Hier beobachten die Berater, „dass die Erwartungen der Menschen an die Organisation der Corona-Impfungen und die Versorgungsrealität in den Städten und Regionen nach wie vor auseinanderklaffen“. Missverständliche und „teilweise sehr vereinfachende Äußerungen“ zur Wirksamkeit einzelner Impfstoffe verstärkten „das Gefühl einer Zwei-Klassen-Impfung“ und drohten den Ausweg aus der Pandemie zusätzlich zu erschweren.

Das Beratungsgeschehen zeige zudem, dass viele Menschen erleben den Weg zur Impfung als holprig empfinden. In den ersten Wochen nach dem Impfstart hätten Ratsuchende noch großes Verständnis für Anlaufschwierigkeiten geäußert. Inzwischen gebe es jedoch „Anlass zur Befürchtung, dass das Vertrauen in die Impfstoffe und die Impfkampagne schwindet“. Die Bürger:innen erwarteten, „dass die Probleme einer stellenweise mangelhaften und wenig an der Lebensrealität der Menschen orientierten Organisation der Terminvergabe zügig abgestellt werden“, sagt Schenkel. „Wenn hochbetagte Senioren dazu aufgefordert werden, über Internetportale Sicherheitsabfragen in kaum zu entziffernder Schreibweise abzulesen und einzutragen, mag vielleicht die Enkelin aushelfen können. Solche Erfahrungen hinterlassen aber keinen guten Eindruck von der regionalen Organisation der Gesundheitsversorgung.“

Dazu kommt Verunsicherung. Schon im Januar seien die UPD-Berater sehr häufig mit wilden Gerüchten zu Impfungen konfrontiert gewesen – wie etwa der Sorge, dass die Vakzine unfruchtbar machen oder Langzeitschäden verursachen könnten. Mit harten Corona-Leugnern habe man in der Beratung zwar nur selten zu tun, so der Mediziner. Da rufe höchstens mal der ein- oder andere an, um zu provozieren. Irritationen durch Verschwörungs-Erzählungen und Fake News spielten hintergründig aber bei vielen Fragestellungen eine Rolle.

Anhaltender Unmut wegen kostenloser FFP-2-Masken 

Er finde es gut und wichtig, dass Anrufer die Rede darauf brächten, sagt Schenkel. Schließlich steckten dahinter grundsätzliche Ängste und die fehlende Fähigkeit, seriöse Informationen von unseriösen zu unterscheiden. Die Berater könnten dann unbegründete Zweifel ausräumen, die meisten dieser Fragesteller seien ja „Argumenten noch zugänglich“. Gleichwohl finde nicht nur er es erstaunlich, dass „so viele ganz vernünftig wirkende Menschen einer Kettenmail auf WhatsApp mehr Glauben schenken als der einhelligen Darstellung von 95 Prozent aller Wissenschaftler“.

Auch bei anderen Dingen wundert sich der Experte, dass sie in den Köpfen der Menschen derart viel Raum einnehmen. So sei die Möglichkeit für bestimmte Bevölkerungsgruppen, kostenlose FFP-2-Masken zu erhalten, seit der Jahreswende bei der UPD-Beratung Dauerthema. Dabei gebe es „enorm viel Unmut“ in der Bevölkerung, so Schenkel. Oft gehe es eher um verletzte Gerechtigkeitsgefühle nach dem Motto: „Warum bekommt der Nachbar die Masken kostenlos und ich nicht, obwohl ich doch Asthma habe?“ als um echte Fragen, etwa nach Bezugsvoraussetzungen und -möglichkeiten. Mitunter habe er den Eindruck, dass die Maskenverteilung zu einer „Art Projektionsfläche“ geworden sei, „um den Gesamtfrust über die Pandemie loszuwerden“.

Jedenfalls legen die Berater ihre Zuständigkeiten offenbar eher großzügig aus. Zum einen muss, wer bei der UPD anruft und kostenlos Auskunft erhält, nicht unbedingt Patient:in sein: Unter der Nummer 0800/0117722 erhält werktags zwischen 8 und 18 Uhr und samstags zwischen 8 und 16 Uhr jede Bürgerin und jeder Bürger mit gesundheitsbezogener Fragestellung Beratung – egal ob gesetzlich, privat oder gar nicht versichert. Und oft geht es auch über diese grobe Themenbezogenheit hinaus.

Frauen suchen viel mehr Beratung als Männer

Zu Beginn der Pandemie habe man etwa auch öfter mal verzweifelte Handwerker oder andere Selbständige in der Leitung gehabt, die sich lediglich nach Möglichkeiten für wirtschaftliche Hilfe erkundigen wollten, erzählt Schenkel. „Die haben wir einfach mal mitberaten.“ Schließlich befänden sich im Team ja nicht nur Experten aus allen Gesundheitsberufen, sondern auch Sozialversicherungsangestellte und Volljuristen. Erst nach und nach sei man dazu übergegangen, solche Anrufer stärker auf die inzwischen vorhandenen, stärker spezialisierten Beratungsstellen zu verweisen. Und die psychosoziale Schiene müsse man ohnehin mit abdecken. Manche Fragesteller steckten schließlich „in handfesten Krisensituationen“.

Interessant ist auch der Blick auf die Bevölkerungsgruppen, die Rat suchen. Am häufigsten handelte es sich dabei im vergangenen Jahr um 46- bis 55-Jährige (17 Prozent) und um 56- bis 65-Jährige (16,8 Prozent) – ältere Menschen mithin, bei denen gesundheitliche Probleme zunehmen.  Das Thema Corona allerdings trieb eher die Jüngeren zur UPD. Hier lagen die Gruppen der 26- bis 35-Jährigen (15,6 Prozent) und der 36- bis 45-Jährigen (15,9 Prozent) vorne. Und im Geschlechtervergleich wurde das Beratungsangebot weit häufiger von Frauen als von Männern genutzt. Bei den Gesamtberatungen kamen die Frauen auf 62,7 Prozent, bei den Corona-Beratungen auf 61 Prozent. Dass Männer bei Gesundheitsthemen so viel kompetenter sind, ist dabei eher unwahrscheinlich. Sie wollen vieles offenbar nur nicht so genau wissen.

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