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Noch ist das Tragen eines Mundschutzes in Berliner Supermärkten freiwillig.

© dpa

Obst, Kaffee, Reis: So steht es um die Lebensmittelversorgung in Deutschland

Wie stark belastet das Coronavirus die Nahrungsmittelindustrie? Ein Blick in die Supermarktregale.

Krise. Welche Krise? Deutschland hortet Hefe, aber der weltgrößte Lebensmittelhersteller Nestlé backt weiter unverdrossen seine Wagner-Pizza. Während Hefe im Internet von Geschäftemachern zum Preis von Silber angeboten wird, hat der Lebensmittelmulti vorgesorgt. Von dem begehrten Pilz hat Nestlé genug auf Lager. „Unsere Produktion läuft planmäßig“, sagt Sprecher Alexander Antonoff. „Wir arbeiten derzeit unter Volllast“. Vor allem Ravioli sind gefragt, aber auch Wasser und Babynahrung. „Aktuell ist alles da“, berichtet Antonoff. Wie es hierzulande um die Versorgung mit Lebensmitteln steht – ein Überblick:

OBST UND GEMÜSE

In Spanien und Italien herrscht Ausnahmezustand, doch der Nachschub klappt wundersamerweise fast reibungslos. 90 Prozent der Tomaten, die in Deutschland verarbeitet werden, kommen aus Italien. „Die Lieferungen laufen ohne Probleme“, betont Monika Larch von der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Und selbst aus Südtirol, einer der Corona-Kernzonen, kommt das Obst ohne Verzögerungen bei den deutschen Lebensmittelproduzenten an. Äpfel etwa.

„Die Lager sind voll“, berichtet Larch. Apfelsaft wird überwiegend aus deutschen, polnischen sowie Früchten aus Südtirol gepresst. Die Marktversorgung mit deutschen Äpfeln reicht voraussichtlich bis zur Ernte im Spätsommer, heißt es beim Deutschen Bauernverband (DBV). Auch von Kohl, Porree, Möhren und Zwiebeln ist bis Mai genug da.

Ernährungsindustrie bleibt hoffnungsvoll

Der Selbstversorgungsgrad von Gemüse in Deutschland lag in der Erntesaison 2018/19 bei 35,7 Prozent, von Obst bei 22,1 Prozent. Im Bundesernährungsministerium will man Versorgungsengpässe bei bestimmten Produkten deshalb nicht ganz ausschließen. „Es wird beispielsweise viel aus Südeuropa importiert“, sagt eine Sprecherin auf Anfrage. „Diese Länder sind stärker von der Corona-Pandemie betroffen als wir. Auch dort fallen Arbeiter aus, weshalb es sein kann, dass weniger bei uns ankommt.“

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Ein anderes Problem ist dafür entschärft: Mit der Entscheidung, nun doch osteuropäische Erntehelfer nach Deutschland zu lassen, hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) den deutschen Landwirten das Leben erleichtert. Nicht nur die Spargelbauern, auch die Obstanbaubetriebe sind auf erfahrene Saisonarbeitskräfte angewiesen.

Monika Larch vom BVE ist daher hoffnungsvoll: „Es wird ein gutes Jahr für die Apfelernte“, glaubt sie. Covid-19 hinterlässt bei den Bauern aber dennoch Spuren. Die Preise für Futtermittel sind gestiegen, weil Tierhalter Hamsterkäufe gemacht haben. In Argentinien bedroht die Corona-Ausbreitung Transporte von Soja zu den Exporthäfen. Erschwert wird der Nachschub dort zudem durch die Insolvenz einer großen Ölmühle.

VERPACKUNGEN UND MILCH

Und auch der monatelange Kampf Chinas gegen das Virus hat den deutschen Landwirten das Leben schwer gemacht. Zwischenzeitlich standen zwei Drittel der Entladekapazitäten in den chinesischen Häfen nicht zur Verfügung, bis heute fehlen Container, die noch in China stehen. „Die Kosten für Container und Frachten sind deutlich gestiegen“, kritisiert der DBV. Die Ernährungsindustrie leidet darunter, dass Verpackungsmaterial aus China knapp ist.

Milchwirtschaft stark betroffen

Von der Krise dort ist auch die Milchwirtschaft betroffen, heißt es beim Bauernverband. China ist mit Abstand der wichtigste Importeur von Molke-, Mager- und Vollmilchpulver, die EU der größte Exporteur. Verschärft wird das Problem für die deutschen Milchbauern, weil in Italien kleinere Molkereien wegen der Krankheit ihrer Mitarbeiter die Arbeit reduziert oder ganz eingestellt haben. Italien ist jedoch ein wichtiger Abnehmer deutscher Milch. „Die Lieferketten sind unter enormem Stress, aber funktionieren noch“, erklärt DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken dem Tagesspiegel. „Sorge macht uns die Aussicht auf eine globale Rezession, die auch die Preise für landwirtschaftliche Produkte in Mitleidenschaft ziehen könnte.“

REGALE DER GROSSHÄNDLER

Angespannt ist die Situation im Großhandel. Denn von den Hamsterkäufen im Lebensmitteleinzelhandel bekommt man hier nichts ab, schließlich haben die Supermarktketten ihre eigenen Logistikwege. Die Kunden der Großhändler sind meist Restaurants, Kantinen, Schulen oder Behörden – alles Einrichtungen, die derzeit geschlossen sind oder im Homeoffce arbeiten. „Wir als Großhändler sind es gewohnt, in Europa an verschiedenen Stellen Ware zu bestellen“, erklärt Thomas Franz, Inhaber des Berliner Großhändlers Früchte Franz. „Dies bedarf aber meistens der Vorgabe je Artikel eine ganze Palette zu bestellen.“ In normalen Zeiten kein Problem, im Moment aber unmöglich, da wir diese Mengen überhaupt nicht vermarkten können“.

Großhandel warnt vor massivem Händlersterben

Das berichten auch andere Großhändler. Sie erwirtschaften derzeit nur fünf Prozent ihres normalen Umsatzes und können beispielsweise keinen frischen Lachs mehr anbieten, weil ihnen die Mindestbestellmenge schlicht niemand mehr abkauft. Franz fürchtet, dass die Verantwortlichen angesichts der steigenden Umsätze im Einzelhandel übersehen, dass der Großhandel vor Problemen steht und warnt vor einem „massiven Händlersterben“. Und er fragt sich, wie die Versorgung der Schulen nach der Krise ablaufen soll, wenn die Logistik der Großhändler nicht mehr läuft – oder gar nicht mehr da sind.

Knappheit könnte also an anderer Stelle als in den Supermärkten entstehen. „Es ist für uns mittlerweile unmöglich, Ware auf den Wegen zu ordern wie es notwendig wäre“, sagt Franz weiter und weiß auch von bestimmten Produkten zu berichten, die inzwischen schwer zu bekommen und deshalb deutlich teurer geworden sind. „Ein gutes Beispiel ist frischer Ingwer, der überwiegend aus China oder Brasilien kommt. Da finden zur Zeit keine normalen Transporte per Schiff statt“, erklärt er.

REIS

Von den Beschränkungen in manchen Produktionsländern könnten weitere Lebensmittel betroffen sein. Wegen der Krise lag die Nachfrage nach Reis in den deutschen Supermärkten seit Ausbruch des Coronavirus zeitweise dreimal so hoch wie üblich. In Asien wächst allerdings die Sorge vor einer Nahrungsmittelknappheit. Denn Ausgangsbeschränkungen legen sowohl den Reisabbau als auch den Transport lahm.

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In Indien schließen Händler erstmal keine neuen Verträge mit ausländischen Abnehmern ab. Auch Vietnam, Kambodscha und Myanmar drosselten zuletzt den Export. „Wie sich das Reissegment weiter entwickeln wird und welche Auswirkungen dies auf den Weltmarktpreis hat, können wir zum heutigen Zeitpunkt noch nicht sagen“, heißt es etwa beim Unternehmen Rapunzel Naturkost.

Der Biohändler kauft den Reis ohne Zwischenhändler direkt aus den Anbauländern. Dessen Lieferant habe für Basmati-Reis aus Indien derzeit eine Ausnahmegenehmigung. Außerdem sei der Reis für Indien ein wichtiges Exportgut. „Daher gehen wir davon aus, dass wir auch weiterhin beliefert werden“, erklärt eine Sprecherin. „Aber auch wir müssen mit Verzögerungen in der Lieferkette rechnen.“ Auf eine Alternative zu den Körnern aus Fernost kann sich das Unternehmen aber verlassen: auf Reis aus Italien. Das Land ist immerhin Europas größter Reisproduzent. „Dort gibt es bislang keine Einschränkungen.“

KAFFEE

Weil die Cafés geschlossen haben, dürfte die Tasse im Homeoffice umso beliebter sein. „Die Nachfrage nach Kaffee bleibt meist auch in Krisen hoch“, weiß Michaela Helbing-Kuhl, Analystin bei der Commerzbank. Doch die Produktionsländer leiden bereits unter erheblichen Einschränkungen. „Versteigerungen an Exportunternehmen finden nicht statt, viele Häfen sind im Minimalbetrieb“, sagt Helbing-Kuhl.

Vor allem in Vietnam, dem weltweit zweitgrößten Exporteur, steht der Kaffeesektor vielerorts still. Schlimmer könnte es den Nachschub mit Kaffee jedoch treffen, wenn das Coronavirus auch die brasilianische Wirtschaft für längere Zeit lahmlegt. Denn aus dem südamerikanischen Land kommen die hierzulande deutlich beliebteren Arabica-Bohnen. „Alles steht und fällt damit, wie lange die Situation in den betroffenen Ländern anhält“, sagt Helbing-Kuhl. Einige Importeure und Händler hätten deshalb bereits versucht, Lieferungen vorzuziehen.

Melitta sieht Versorgung mit Kaffee gefährdet

Das Familienunternehmen Melitta rechnet jedenfalls schon mit Beeinträchtigungen. Zwar konnten Verzögerungen in der Lieferkette bisher durch kurzfristige Käufe in Europa kompensiert werden – zu bereits angezogenen Preisen. „Insgesamt ist wohl aber davon auszugehen, dass die zuverlässige Versorgung mit Kaffee, so wie wir diese bislang gewohnt sind, absehbar nicht gewährleistet sein wird“, erklärt das Unternehmen auf Nachfrage.

Konkurrenten wie Dallmayr und Tchibo wollen bislang keine Prognose abgeben. „Dafür sind die Entwicklungen zu wenig kalkulierbar“, heißt es bei Tchibo. Commerzbank-Analystin Helbing-Kuhl ist noch optimistisch: „Wir gehen bisher davon aus, dass die Einschränkungen gegen Ende des zweiten Quartals auslaufen.“ Außerdem steht Brasilien ab Sommer vor einer Rekordernte, schätzen die Produzenten vor Ort. Nur wenn es zu deutlichen Verzögerungen käme, wäre das problematisch, erklärt die Expertin.

EIER

Eines scheint jedoch gesichert: Eier dürfte es auch in diesem Jahr genug geben. Hier liegt der Selbstversorgungsgrad laut dem Bundeslandwirtschaftsministerium bei 70 Prozent. Und sollte das Eier-Regal doch einmal ausgedünnt sein, könnte der ein oder andere doch nochmal im eigenen Vorratsschrank nachschauen. „Aufgrund einer derzeit etwas höheren Bevorratung von Eiern durch die Privaten Haushalten kann es bei einzelnen Haltungsformen kurzzeitig zu Engpässen kommen“, heißt es vom Ministerium.

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