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Hält an seiner ultralockeren Geldpolitik fest: Jerome Powell, Vorsitzender der US-Notenbank Federal Reserve.

© dpa

Notenbanken heizen Debatte an: Kommt jetzt die Inflation zurück?

Nach steigenden Inflationszahlen in den USA versucht US-Notenbankchef Jerome Powell zu beruhigen. Aber damit heizt er die Debatte erst richtig an.

Von Andreas Oswald

Die US-Verbraucherpreise waren im April um 4,2 Prozent gestiegen, nach 2,6 Prozent im Vormonat. Die Mitteilung sorgte in der vergangenen Woche für Kurskapriolen an den Aktienmärkten.

4,2 Prozent in den USA? Kommt die Inflation zurück? Es ist ein Schreckgespenst. Es ist Gift für Aktien und Anleihen.

Nach ersten Rückschlägen haben sich die Märkte aber wieder beruhigt. Die Börsen erreichten am Freitag fast wieder ihre Bestmarken. War es nur ein kurzer Schreck? Die Debatte ist in vollem Gang. Und die Notenbanken befeuern sie indirekt, indem sie beschwichtigen. Der Chef der US-Notenbank Fed, Jerome Powell, bezeichnete die deutlich gestiegene Inflation als „vorübergehend“.

Was, wenn er nicht Recht hat? Dann hätte das große Auswirkungen nicht nur für die Verbraucher, sondern auch für die Anleger. Wenn die Inflation anzieht, dann steigen irgendwann auch die Zinsen. Für Anleihebesitzer bedeutet das, dass ihre Kurse sinken. Kurse verhalten sich entgegengesetzt zu den Renditen. Steigen die Renditen, fallen die Kurse von Papieren, die einen niedrigeren Zinssatz haben.

Steigen die Zinsen, dann fallen auch die Kurse der Aktien. Steigende Zinsen sind Gift für Unternehmen. Die ultralockere Zinspolitik der Notenbanken hat in den vergangenen zwölf Jahren zu einem unglaublichen Kursanstieg bei Aktien geführt.

In den letzten 30 Jahren hatten alle Unrecht, die vor Inflation warnten

Werden die Notenbanken, angeführt von der Fed, von dieser ultralockeren Geldpolitik abweichen, wenn die Inflation stärker steigt als erwartet? Werden sie die Zinsen erhöhen? Und aufhören, Staatsanleihen zu kaufen?

In den letzten 30 Jahren hatten alle unrecht, die sagten, die Inflation werde wiederkommen. Vor allem nach der letzten Finanzkrise. Viele hatten damals Angst, die riesigen Ausgabenprogramme und die lockere Geldpolitik würden die Inflation anheizen. Allein, die Inflation sank weiter.

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Ist diesmal alles anders? Die Ausgabenprogramme sind als Reaktion auf die Pandemie noch größer, die ultralockere Geldpolitik wurde weiter gelockert. „Weitere Inflationsdaten werden kommen“, sagte Paul Donovan, Chefökonom der UBS-Vermögensverwaltung, in einem morgendlichen Audiokommentar für Investoren.

„Eine höhere Inflation mag unvermeidlich sein“, schrieb Konstantin Oldenburger, Marktanalyst von CMC Markets, in einer Mail an die Kunden des Brokers.

Und die „Financial Times“ zitiert Jim Leaviss, Anleihe-Chef von M&G Investments mit den Worten: „Es ist immer richtig, skeptisch zu sein, wenn jemand kommt und sagt, „dies ist das Jahr, in dem die Inflation wiederkommt“. Aber es ist das erste Mal, dass man sagen kann, diesmal ist alles anders. Diese Pandemie könnte das systemische Erdbeben sein, das die niedrigen Inflationsaussichten der vergangenen 30 Jahre vollkommen ändert.“

Kupfer steigt um 40 Prozent

Die Zeichen stehen an der Wand. Als Gründe für die Inflationssorgen gelten neben der ultralockeren Geldpolitik der Notenbanken das in seinem Umfang beispiellose Ausgabeprogramm der USA, das nicht nur den Pandemie-Stimulus von 1,9 Billionen Dollar umfasst, sondern ein Zusatzprogramm in Höhe von vier Billionen Dollar, mit dem in den kommenden zehn Jahren die Infrastruktur und das soziale Sicherungsnetz gestärkt werden sollen.

Hinzu kommt der Boom in China, der zu Preiserhöhungen bei Eisenerz, Kupfer, Öl, Bauholz und anderen Rohstoffen geführt hat, die, so die Sorge, auf die Konsumentenpreise durchschlagen. Die Preise von Rohstoffen erreichen Rekordhöhen, Kupfer ist in den vergangenen zwölf Monaten um 40 Prozent gestiegen, ähnliches gilt für Eisenerz oder Bauholz. Die Automobilindustrie muss ihre Produktion zurückfahren, weil Chips und Rohstoffe knapp sind. Die Preise für Gebrauchtwagen in den USA stiegen im April innerhalb eines Monats um zehn Prozent.

Die Notenbanken wirken wenig beruhigend in dieser Lage. Fed-Chef Powell hat gesagt, ein Überschießen der Inflation über das Ziel von zwei Prozent sei „für eine Zeitlang“ hinnehmbar. Die Chefin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, äußerte sich ähnlich.

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Zahlreiche Notenbanker spielen die Inflationsgefahr herunter. Lael Brainard, hohe Funktionärin der Fed, rief zur Geduld auf angesichts eines „vorübergehenden Anstiegs der Inflation“. Sogar Isabel Schnabel, hochrangiges Mitglied der EZB und als Deutsche eher auf Seiten der Kritiker einer ultralockeren Geldpolitik, hält es für unwahrscheinlich, dass es in nächster Zeit einen außergewöhnlichen Anstieg der Inflation geben wird.

Aus Sicht von Investoren ist vor allem entscheidend, ob die Notenbanken zu lange mit Gegenmaßnahmen zur Eindämmung der Inflation warten, um dann umso stärker die Zinsen erhöhen zu müssen. Die Älteren erinnern sich noch daran, wie Anfang der 80er Jahre der damalige Fed-Chef Paul Volcker die Leitzinsen auf über 20 Prozent anhob, um die endemische Inflation zu vertreiben.

Ein solches Szenario – das will keiner.

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