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EZB-Präsident Draghi muss sich oft rechtfertigen, umstimmen lässt er sich nicht.

© AFP

Notenbank-Chef: Mario Draghi, der Euroretter

Mario Draghi hat mit Nullzins und Anleihekäufen die Euro-Zone stabilisiert. Doch der Notenbank-Chef ist umstritten.

Bis Ende kommenden Jahres will die EZB Anleihen für 2,3 Billionen Euro kaufen. Weitere 540 Milliarden. Mario Draghi und die Europäische Zentralbank (EZB) pumpen über den Kauf von Staatsanleihen auch 2017 gigantische Summen in die europäische Wirtschaft. Bis Ende des kommenden Jahres werden es mehr als 2,3 Billionen Euro sein. Die Summe macht viele schwindelig – den 69-jährigen Italiener nicht. Vor vier Jahren hat Draghi mit drei Worten die Euro-Zone vor dem Kollaps bewahrt: „Whatever it takes.“ Er werde alles tun, um den Euro zu retten. Die unvorstellbare Summe von 2,3 Billionen Euro gehört zu diesen drei Worten, so wie der Leitzins von null und der Negativzins von minus 0,4 Prozent für Einlagen der Banken bei der EZB. Bislang gibt Draghi die Entwicklung recht: Die Euro-Zone und den Euro gibt es trotz aller Krisen immer noch.

Dabei reißt die Kritik an dem Italiener, der die EZB noch bis Ende Oktober 2019 führen wird, nicht ab. In Deutschland kommt sie von allen Seiten: aus der Politik, von Banken und Sparkassen, von Versicherungen. Denn die Niedrigzinsen machen das Bankgeschäft extrem schwierig. Lebensversicherungen wissen nicht, wie sie die notwendige Rendite erwirtschaften sollen. Sparer bekommen nichts mehr für ihr Erspartes, wenn sie an klassischen Sparanlagen festhalten. Umgekehrt drohen auf den Immobilienmärkten und am Aktienmarkt gefährliche Blasen. Darauf weisen auch einige der 25 Ratsmitglieder hin, vor allem Bundesbank-Präsident Jens Weidmann – der vor unbeabsichtigten Nebenwirkungen der ultralockeren Geldpolitik warnt. Und der die Politik nicht aus der Verantwortung entlassen will. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, die Notenbanken würden für die Politik in die Bresche springen oder die Geldpolitik würde sich gar an Wahlergebnissen ausrichten.“

Die Mehrheit folgt Draghi

EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger hat ebenfalls Vorhalte. Auch den Notenbank-Chefs aus den Niederlanden, Lettland und Estland wird eine kritische Haltung nachgesagt. Aber die Mehrheit im Rat folgt Draghi. Wie tatsächlich diskutiert wird, ist schwer zu beurteilen. Die öffentlichen Protokolle der Sitzungen fassen die Diskussion nur zusammen – nennen aber keine Namen.

Draghi hört sich die Kritik stets mit freundlicher Miene an. So trat er auch im September vor die Mitglieder des Europaausschusses des Bundestags. Ob er sich auf der Anklagebank gefühlt habe? „Nein, der Austausch ist wichtig. Ich habe es genossen“, sagte er. Man nehme die Sorgen der Sparer sehr ernst. „Die niedrigen Zinsen sind aber nötig, um künftig zu höheren Zinsen zurückzukehren.“ Draghi lässt sich also nicht beirren. Nach mehr als der Hälfte seiner achtjährigen Amtszeit lenkt er die Notenbank immer noch souverän. Nichts weist darauf hin, dass er die geldpolitischen Zügel demnächst anzieht. Möglicherweise wird es in seiner Amtszeit keine Zinserhöhung geben.

Trotz allem: Draghi ist überzeugter Europäer, Anhänger stabilitätsorientierter Geldpolitik. Aber der geldpolitische Spielraum wird kleiner. Die Inflation nimmt allmählich wieder Fahrt auf, soll bis 2019 auf 1,7 Prozent steigen und sich damit der für die EZB entscheidenden Marke von knapp zwei Prozent nähern. Ob Draghi dann die Kurve kriegt ist offen. Wie finden er und die EZB aus ihrer geldpolitischen Sackgasse wieder heraus, ohne dass es zu Turbulenzen bei Banken und auf den Finanzmärkten kommt? Der EZB-Chef hüllt sich in Schweigen. Spekulationen mag er nicht. Er lächelt viel, tritt immer freundlich auf. Bleibt aber reserviert.

Ein abschließendes Urteil gibt es erst in drei Jahren

Frankfurt betrachtet der gebürtige Römer als Dienstsitz. Mehr nicht. Ohnehin muss er weltweit viel unterwegs sein. Umso mehr zieht es den Vater einer erwachsenen Tochter und eines erwachsenen Sohnes – und Großvater – so oft es geht in seine Heimat. Als habilitierter Wirtschaftswissenschaftler hat er in Florenz und Harvard gelehrt, war bei der Weltbank, kümmerte sich im Finanzministerium um die Sanierung der italienischen Staatsfinanzen, war Vize-Präsident der Investmentbank Goldman Sachs. 2005 rückte Draghi an die Spitze der italienischen Zentralbank, saß damit im EZB-Rat.

Volkswirte attestieren dem Italiener, bislang einen guten Job gemacht zu haben. Auch 2016. Draghi habe das Finanzsystem stabilisiert und die Lage beruhigt. Aber ein abschließendes Urteil wird es erst in drei Jahren geben. „Ob in den Geschichtsbüchern hopp oder top steht, ist noch nicht raus“, sagt zum Beispiel sagt Ulrich Kater, Chef-Volkswirt der DekaBank und einer der besten Kenner der EZB. „Sollten die Zinsen 2020 nicht steigen, wäre Draghi ein tragischer Don Quijote.“

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