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Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), verteidigt die Geldpolitik der EZB.

© picture alliance / dpa

Niedrige Zinsen: 20 deutsche Mythen zur EZB-Geldpolitik

Wir driften in Deutschland in eine anti-europäische, anti-EZB-Hysterie ab. Höchste Zeit, die Mythen über die EZB-Geldpolitik zu entlarven. Ein Gastbeitrag.

Mythos #1: Die EZB ist alleine verantwortlich für die niedrigen Zinsen.
Fakt: Die Zinsen sind vor allem das Resultat geringer Investitionen und zu hoher Ersparnisse. Die Regierungen bestimmen den Zins mit – mehr Investitionen und Wachstum sind essentiell für einen Anstieg der Zinsen.

Mythos #2: Die EZB-Geldpolitik ist eine Enteignung der deutschen Sparer.
Fakt: Der Mensch ist nicht nur Sparer. Der Wirtschaftsboom in Deutschland hat Millionen neuer Jobs geschaffen und Lohnsteigerungen ermöglicht, die ohne die Geldpolitik nicht möglich gewesen wären.

Mythos #3: Die niedrigen Zinsen führen zu einer Abnahme der Sparquote.
Fakt: Das wäre notwendig, dem ist aber nicht so. Deutschland hat eine (viel zu hohe) Nettoersparnis von mehr als 200 Milliarden Euro pro Jahr (2500 Euro pro Kopf), mehr als sechs Prozent des BIP. Wenn niemand das Geld haben will, dann fällt der Preis des Geldes, also der Zins.

Mythos #4: Die EZB-Geldpolitik erhöht die Ungleichheit und schadet den Armen.
Fakt: Das ist falsch. 40 Prozent der Deutschen haben praktisch kein Erspartes und viele Jobs und Einkommen wurden durch die niedrigen Zinsen geschützt. Ein verfrühter Zinsanstieg würde vor allem diese Jobs und Einkommen gefährden.

Mythos #5: Deutschland und Europa ständen heute ohne die expansive EZB-Geldpolitik wirtschaftlich, sozial und politisch besser da.
Fakt: Die EZB unter Mario Draghi hat mit dem Versprechen „to do whatever it takes“ 2012 das Auseinanderbrechen des Euroraums und eine wirtschaftliche Depression verhindert.

Mythos #6:Es gab noch nie so niedrige Zinsen wie heute.
Fakt: Die realen Zinsen (nominale Zinsen abzüglich Inflation) waren zu D-Mark-Zeiten ein Drittel der Zeit seit den 1970er Jahren negativ – so wie heute auch.

Mythos #7: Die expansive EZB-Geldpolitik wird langfristig zu hoher Inflation führen.
Fakt: Die EZB verfügt über alle Instrumente, dies zu verhindern. Das ungleich größere Risiko heute ist das Gegenteil – eine Fortsetzung von wirtschaftlicher (säkularer) Stagnation und zu niedriger Inflation.

Mythos #8: Die EZB soll sich stärker auf andere Ziele als die Preisstabilität konzentrieren.
Fakt: Preisstabilität ist das primäre Mandat, das die Politik der EZB gegeben hat. Ein anderes Ziel zu verfolgen wäre ein Mandatsbruch.

Mythos #9: Deflation ist nicht schädlich.
Fakt: Deflation ist genauso schädlich wie zu hohe Inflation, aber für eine Zentralbank ungleich schwerer zu bekämpfen. Deflation führt zu fallenden Erträgen und erschwertem Schuldendienst für Unternehmen, somit zu weniger Investitionen, Wachstum und Jobs.

Mythos #10: Die Geldpolitik ist verantwortlich für die Blasen in den Immobilienmärkten.
Fakt: Die niedrigen Zinsen tragen dazu bei, aber die Hauptverantwortung liegt bei einer unzureichenden Wohnungspolitik, bei der Migration vom Land in die Städte und bei der makro-prudentiellen Finanzaufsicht.

Mythos #11: Die EZB betreibt keine Geldpolitik, sondern Finanzpolitik, da die niedrigen Zinsen den Regierungen die Finanzierungskosten erleichtern.
Fakt: Jede geldpolitischen Entscheidung – ob Zinssenkungen oder -erhöhungen – verändert die Finanzierungsbedingungen für Bürger, Unternehmen und Regierungen. Deshalb ist sie noch lange keine Finanzpolitik.

Mythos #12: Die EZB-Geldpolitik ist moralisch verwerflich, da sie Regierungen zur falschen Politik verführt, beispielsweise Reformen zu verzögern und keine Schulden abzubauen.
Fakt: Eine Zentralbank darf nicht entscheiden, was die „richtige“ Wirtschaftspolitik ist, dies dürfen nur Regierungen und Bürger in einer Demokratie. Alles andere wäre undemokratisch, illegitim und ein Mandatsbruch.

Mythos #13: Der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB ist illegal und ineffektiv.
Fakt: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat geurteilt, dass diese legal sind und hat alle deutschen Klagen abgewiesen. Die Ankäufe waren effektiv, um die Kreditvergabe an Unternehmen und Bürger zu verbessern, auch wenn diese immer weniger effektiv werden.

Mythos #14: Die Absicht der EZB ist es, den überschuldeten Südeuropäern ihre Schulden zu erleichtern.
Fakt: Dies gehört in die Kategorie „besonders absurd“ – 25 unabhängige Mitglieder des EZB-Rats aus allen Euro-Ländern entscheiden die Geldpolitik, mit dem Auftrag die beste Entscheidung für die gesamte Eurozone zu treffen.

Mythos #15: Die EZB-Geldpolitik schafft Zombie-Banken und Zombie-Unternehmen, die schädlich für die Wirtschaft sind.
Fakt: Es ist weder die Aufgabe, noch das Recht der EZB zu entscheiden, welche Unternehmen überleben sollen und welche nicht. Das ist Aufgabe von Bankenaufsicht und Wirtschaftspolitik. Ziel der EZB ist es, die Finanzierungsbedingungen für alle zu verbessern.

Mythos #16: Die EZB-Geldpolitik schafft eine Transferunion zulasten Deutschlands.
Fakt: Das Gegenteil ist richtig: Die EZB hat Rekordgewinne gemacht, die der Bundesregierung zugutekommen. Die Stabilität sichert vor allem deutsche Investitionen in und Exporte nach Europa.

Mythos #17: Die Target 2-Forderungen der Bundesbank führen zu einer geringeren Kreditvergabe und hohen Kosten für Deutschland.
Fakt: Das Zahlungssystem Target ist essentiell für das Funktionieren der Währungsunion und hat Deutschland keinen einzigen Euro gekostet. Es schafft Stabilität, was vor allem deutsche Interessen wahrt.

Mythos #18: Unsere deutschen Interessen werden von der EZB nicht gewahrt, denn Deutschland wird bei EZB-Entscheidungen überstimmt.
Fakt: Es gibt keinen grundlegenden Widerspruch zwischen den Interessen der Eurozone und Deutschlands. Eine starke, stabile europäische Wirtschaft ist im besten Interesse Deutschlands. Die Bundesbank spielt ein wichtige und einflussreiche Rolle im Eurosystem.

Mythos #19: Die EZB gefährdet ihre Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit.
Fakt: Das Sündenbock-Syndrom mancher deutscher Politiker, Medien und Unternehmer, die die EZB für die eignen, nationalen Fehler verantwortlich machen will, schadet der Unabhängigkeit und der Glaubwürdigkeit der EZB mehr als ihre Geldpolitik.

Mythos #20: Nur eine politische Union kann den Euro retten.
Fakt: Der Euro ist ein Erfolg. Die erforderlichen Reformen – Banken- und Kapitalmarktunion, gemeinsames Budget und bessere Regeln – sind realistisch. Es mangelt dazu aber vor allem am politischen Willen in Deutschland.

Die 20 Mythen über die Geldpolitik der EZB hat Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) erstmals zwischen dem 2. und 4. November 2019 auf Twitter @MFRatzscher veröffentlicht.

Marcel Fratzscher

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