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Wirtschaft: Nicht jeder freut sich über eine Lehrstelle

Trotz Rekordarbeitslosigkeit werden viele Ausbildungen nicht beendet BERLIN (kn).Auch wenn noch über 47 000 Jugendliche eine Lehrstelle suchen, sind längst nicht alle Auszubildenden froh, einen Arbeitsplatz gefunden zu haben.

Trotz Rekordarbeitslosigkeit werden viele Ausbildungen nicht beendet

BERLIN (kn).Auch wenn noch über 47 000 Jugendliche eine Lehrstelle suchen, sind längst nicht alle Auszubildenden froh, einen Arbeitsplatz gefunden zu haben.Denn trotz einer Rekordarbeitslosigkeit werden immer noch zahlreiche Ausbildungsverträge vorzeitig beendet, häufig auch auf Wunsch oder mit Einverständnis des Jugendlichen. Fast 130 000 Arbeitsverhältnisse mit Lehrlingen wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im vergangenen Jahr aufgelöst.Dies entspricht einer Abbrecherquote von über 22 Prozent.In den handwerklichen Berufen bricht sogar jeder vierte seine Ausbildung vorzeitig ab."Gerade kleinere Betriebe und Berufe mit einem negativen Image haben Probleme", sagt der Referatsleiter Berufsbildung beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), Wilfried Brüggemann.Besonders betroffen sind auch Großstädte. Mit über 34 Prozent hatte Berlin 1995 die meisten vorzeitigen Vertragsauflösungen, gefolgt von Bremen und Hamburg, mit rund 33 Prozent sowie über 31 Prozent der Auszubildenden.In den Flächenstaaten Sachsen und Bayern gaben am wenigsten Lehrlinge auf, jeweils rund 19 Prozent. Daß die Abbrecherquote trotz der schlechten Arbeitsmarktlage weitgehend unverändert ist, verwundert die Fachleute hingegen kaum.Im Gegenteil: Gerade weil es zu wenige Lehrstellen gibt, nehmen Jugendliche häufig von ihnen eigentlich ungeliebte Ausbildungsplätze an."Obwohl sie einen Vertrag in der Tasche haben, suchen sie dann weiter", sagt Rudolf Werner vom im Berlin ansässigen Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB).Sobald die Traumausbildungsstelle gefunden ist, wird die ungeliebte Lehrstelle dann gekündigt.Der freiwerdende Arbeitsplatz kann allerdings im häufig schon begonnenen Ausbildungsjahr nicht mehr besetzt werden.Außerdem sind manche Betriebsinhaber über dieses Verhalten so verärgert, daß sie keine Lehrlinge mehr ausbilden wollen.Werner ist allerdings froh, daß wenigsten einige Ausbildungsabbrecher dem Arbeitsmarkt so zumindest nicht dauerhaft verloren gehen.Nach seinen Angaben hat sich allerdings der Verbleib der Jugendlichen nach der Vertragsauflösung in den vergangenen Jahren erheblich verändert.Während 1990 rund 46 Prozent der Ausbildungsabbrecher einen neuen Vertrag in der Tasche hatten, waren es 1996 lediglich 39 Prozent.Mehr als jeder dritte Abbrecher ist nach der neuesten Statistik zunächst einmal ohne feste Beschäftigung, 1990 galt dies nur für jeden fünften. Die Ursachen der hohen Abbruchquoten sind weitgehend ungeklärt.Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) sieht die Schuld in erster Linie bei den Auszubildenden."Die meisten sind zu uninformiert und gehen zu blauäugig vor", sagt der ZDH-Referatsleiter Brüggemann.Er rät allen Jugendlichen, vor der Lehre ein Praktikum in ihrem Wunschberuf zu absolvieren.Wer schon einen möglichen Ausbildungsbetrieb im Auge hat, sollte sich am besten dort für ein Praktikum bewerben."Dann weiß man auch gleich, ob man mit dem Ausbilder und den Kollegen klarkommt".Denn meistens hätte ein Ausbildungsabbruch nicht nur fachliche Gründe.Dies beurteilt der Ausbildungsreferent des Deutschen Industrie- und Handelstages, Jörg Engelmann, ganz ähnlich.Auch er fordert von Jugendlichen mehr Praktika und Eigeninitiative im Vorfeld der Lehrstellensuche.Engelmann sieht allerdings auch nur schwer zu beseitigende Gründe für die hohe Abbrecherquote.Gerade in Industrie und Handel hätten die Auszubildenden heute sehr oft Abitur und damit einfach mehr Möglichkeiten als früher."Viele entscheiden sich doch noch für ein Studium", so Engelmann.Um diese häufig qualifizierten Lehrlinge zu halten, müßten die Betriebe die Ausbildung möglichst flexibel gestalten. Die bisher einzige wissenschaftliche Untersuchung zu den Ursachen des Ausbildungsabbruchs sieht ebenfalls auch die Betriebe in der Pflicht.Nach dem Ergebnis einer Diplomarbeit von zwei Absolventen des wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereichs der Fachhochschule Mainz liegen die Hauptgründe für den Ausbildungsabbruch nämlich im zwischenmenschlichen Bereich."Manche Auszubildene fühlen sich im Betrieb nicht wohl", sagt Elvira Gemmer von der Handwerkskammer Rheinhessen, deren Mitgliedsbetriebe für die Diplomarbeit befragt wurden.Wenn autoritäre Meister und aufmüpfige Jugendliche aufeinander treffen, gebe es eben manchmal Probleme.In solchen Fällen versuchen die Ausbildungsberater der Handwerkskammer zwischen den Parteien zu vermitteln.Dabei sei auffällig, daß einige wenige Betriebe eine besonders hohe Abbrecherquote hätten.Manchem Betriebsinhaber fehlt anscheinend das nötige Fingerspitzengefühl im Umgang mit Lehrlingen.

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