zum Hauptinhalt
Siegfried Russwurm hat den größten Teil seines Berufslebens bei Siemens verbracht. 2017 trat er als Vorstandsmitglied zurück.

© dpa

Neuer Industriepräsident: Umgänglicher Ingenieur

Siegfried Russwurm löst Dieter Kempf ab an der Spitze des Bundesverbandes der Industrie.

Eigentlich ist die Zeit reif für eine Frau. Unter den neun Vizepräsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) befinden sich zwei Frauen: Hildegard Müller, als hauptamtliche Präsidentin der Autoindustrie schwer beschäftigt, kam nicht infrage. Aber Ingeborg Neumann, Textilunternehmerin aus Berlin und ehrenamtliche Chefin des Textilverbandes. Neumann wurde gefragt und sogar bedrängt, wie es in Verbandskreisen heißt, doch sie wollte nicht. Also wieder ein Mann. Am Montag wählte die Mitgliederversammlung des BDI Siegfried Russwurm (57) zum Nachfolger von Dieter Kempf, dessen Amtszeit nach vier Jahren abläuft.

Russwurm hat Zeit für den Job auf der Berliner Bühne. Seitdem er 2017 als Digitalvorstand von Siemens zurückgetreten war, beschäftigt sich der Franke mit Aufsichtsratsmandaten beim schwäbischen Maschinenbauer Voith und im Beirat des Fleischkonzerns Tönnies. Die IG Metall hätten den umgänglichen Ingenieur gerne als Vorstandschef von Thyssen- Krupp gesehen, wo er im Aufsichtsrat sitzt. Er blieb jedoch lieber im Kontrollgremium und übernahm dort den Vorsitz, als Martina Merz 2919 an die Vorstandsspitze wechselte, um den Krisenkonzern zu retten.

Der Staat soll mehr investieren

Wie sein BDI-Vorgänger versteht auch Russwurm etwas vom Digitalen. Und ebenso wie Kempf plädiert er für massive öffentliche Investitionen in Infrastruktur und Technologie. Vor gut einem Jahr hatte Kempf für Furore gesorgt, als er gemeinsam mit dem DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann ein öffentliches Investitionsprogramm über 450 Milliarden Euro für zehn Jahre vorschlug. Auch Russwurm wirbt für einen aktiven Staat. „Das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft schwindet seit Jahren“, hat er beobachtet. Und in der Pandemie vertiefe sich die Kluft zwischen Wohlhabenden und Armen. „Nachhaltigkeit“, so sagt der neue Industriepräsident, „betrifft nicht nur die Ökologie, sondern auch das Soziale und Ökonomische“.

Dieter Kempf war die vergangenen vier Jahre der wichtigste Interessenvertreter der deutschen Industrie.
Dieter Kempf war die vergangenen vier Jahre der wichtigste Interessenvertreter der deutschen Industrie.

© picture alliance/dpa

Der BDI ist der Dachverband von rund 40 Branchenverbänden mit mehr als 100 000 Unternehmen und acht Millionen Beschäftigten. Gemeinsam mit dem DIHK und der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) sitzt der BDI im Haus der Wirtschaft in Berlin-Mitte, um von hier Einfluss auf die Bundespolitik zu nehmen.

Dieter Kempf, ehemals Vorstandschef des IT-Dienstleisters Datev und Präsident des IT-Verbandes Bitkom, hatte vor vier Jahren Ulrich Grillo abgelöst. Auch Kempf begann seine Präsidentschaft mit dem Appell, mehr Geld auszugeben und in Verkehrs-, Energie- und digitale Netze sowie in die Bildung zu investieren. Mit Blick auf die Digitalisierung sei die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands „besorgniserregend“, bei der Internetgeschwindigkeit liege die Bundesrepublik in Europa von 31 Ländern nur im Mittelfeld. Mit Corona wird nun vieles anders.

Joe Kaeser war angeblich auch interessiert

Um die Folgen der Pandemie zu bekämpfen, gibt die öffentliche Hand Geld aus in einer Größenordnung, die vor einem Jahr unverstellbar war. Auch für die Förderung von Zukunftstechnologien wie Wasserstoff, der für die Dekarbonisierung der Industrie gebraucht wird. Ohne eine starke, auf den Weltmärkten erfolgreiche Industrie, sei das Niveau von „Wohlstand und Teilhabe“ kaum zu halten, meint Russwurm. Er ist nun der wichtigste Interessenvertreter der Industrie ist, zu der Maschinen- und Anlagenbau ebenso gehören wie Chemie und Pharma sowie die Elektroindustrie.

Joe Kaeser, so hört man in der Berliner Verbandsszene, wäre auch gerne BDI-Präsident geworden. Der sendungsbewusste Siemens-Chef tritt Anfang 2021 ab und amtiert dann als Aufsichtsrat der Siemens Energy AG. Zeit hätte er also gehabt, und guten Zugang zur (jetzigen) Bundesregierung auch. Doch Russwurm wurde BDI-Präsident. Derselbe Russwurm, der auch wegen Kaeser bei Siemens ausgestiegen war.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false