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Übergabe des Staffelstabs, der bei der EZB eine Glocke ist, zwischen Christine Lagarde und ihrem Vorgänger Mario Draghi.

© VIA REUTERS

Neue EZB-Präsidentin: Diese sechs Baustellen erbt Lagarde von Draghi

Heute tritt Christine Lagarde das Amt an der Spitze der EZB an. Sie wird sich mit den Folgen der Maßnahmen ihres Vorgängers herumschlagen müssen.

Es gibt einfachere Jobs in Europa und auch in Frankfurt am Main. Wenn Christine Lagarde als neue EZB-Präsidentin am 1. November ihr Büro im 40. Stock der Euro-Doppeltürme im Frankfurter Ostend bezieht, wartet eine schwierige Aufgabe auf die 63-jährige Französin. Ihr Vorgänger Mario Draghi hinterlasse einen Scherbenhaufen, sagen manche. Im 25-köpfigen EZB-Rat ist seine Geldpolitik so umstritten wie nie zuvor. Ein Überblick über die größten Baustellen von Lagarde.

Die Besetzung des EZB-Direktorium

Mit dem Amtsantritt Lagardes besteht das Führungsgremium der EZB nur aus fünf statt aus sechs Personen. Mit Draghi hat Sabine Lautenschläger das Direktorium der EZB völlig überraschend vorzeitig verlassen – offenbar aus Unmut auch über dessen Kurs. Die renommierte deutsche Finanzprofessorin Isabel Schnabel wird ihr folgen. Der Zeitpunkt steht aber noch nicht fest. Als Mitglied des Sachverständigenrates verfügt sie über profundes Wissen.

Sie sieht die Politik Draghis weniger kritisch als ihre Vorgängerin. Nicht ahnend, dass sie so schnell zur EZB wechseln würde, hat sich Schnabel noch im Spätsommer allerdings eher skeptisch über Lagarde geäußert. Ob das eine Belastung für den Rat ist, muss sich zeigen. Zudem scheidet Ende des Jahres der Franzose Benoît Cœuré aus. Seine Aufgabe übernimmt Fabio Panetta, derzeit Vize-Präsident der italienischen Notenbank. Innerhalb von kurzer Zeit wird damit das halbe Direktorium ausgewechselt. Die zwei Damen und vier Herren müssen sich also arrangieren.

Die lockere Geldpolitik

Der neuen Präsidentin sind erst einmal die Hände gebunden. Dafür hat ihr Vorgänger gesorgt mit den maßgeblich von ihm gegen erheblichen Widerstand durchgesetzten Beschlüssen im September. Der Einlagenzins, den Banken der EZB zahlen müssen, wurde von minus 0,4 auf minus 0,5 Prozent gedrückt. Wichtiger: Mit dem Amtsantritt von Lagarde kauft die Notenbank ab November wieder Anleihen der Eurostaaten – für 20 Milliarden Euro im Monat. Erst Ende 2018 war das Programm eingestellt worden. Mit der Neuauflage soll die Kreditvergabe der Banken befördert und die Inflationsrate in Richtung der von der EZB angepeilten Marke von knapp zwei Prozent getrieben werden. Zuletzt lag sie in der Eurozone bei 1,1 Prozent.

Mehrfach hat Lagarde allerdings betont, dass sie eine großzügige Geldpolitik auch vor dem Hintergrund der abgeflauten Konjunktur für angemessen hält. Sie liegt damit auf Draghis Linie. Am 13. November wird Lagarde zum ersten Mal eine Ratssitzung leiten, aber erst am 12. Dezember ein Treffen, auf dem geldpolitische Entscheidungen getroffen werden können. Diese wird Lagarde danach erstmals vor der Presse erläutern.

Die Instrumente der EZB

Lagarde wird sich sehr genau die Strategie und Instrumente anschauen müssen, mit denen die EZB derzeit ihre Geldpolitik umsetzt. Eine Revision hat sie bereits angekündigt. Draghi hat unkonventionelle, umstrittene Maßnahmen auf den Weg gebracht, wie etwa das Anleihekaufprogramm. Die Notenbank bewegt sich damit, sagen Kritiker, an der Grenze zur verbotenen Staatsfinanzierung. Für manche hat sie diese bereits überschritten und Draghi das EZB-Mandat – die Wahrung von Preisstabilität – zu großzügig auslegt. Lagarde wird vermeiden wollen, dass es erneut zu Verfahren gegen die EZB vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof kommt.

Das Inflationsziel

Umstritten ist auch, ob sich die EZB starr an die Vorgabe halten soll, dass die Inflationsrate als Maß der Preisstabilität bei nahe, aber unter zwei Prozent liegen soll. Oder ob nicht mehr Flexibilität sinnvoll wäre. Lagarde wird dies prüfen müssen. Ökonomen zufolge haben die Draghi-Jahre gezeigt, dass selbst mit einer extrem großzügigen Geldpolitik die Inflation nicht nach oben gebracht werden kann. Im Schnitt lag sie bei 1,25 Prozent. Das hat auch damit zu tun, dass die Zinsen aufgrund der Globalisierung, der Digitalisierung und der weltweit hohen Liquidität völlig unabhängig von Notenbanken nach unten statt nach oben zeigen.

Die Stimmung im EZB-Rat

Sie gilt als schlecht. Dafür hat Draghi durch sein mitunter selbstherrliches Auftreten gesorgt. Lagarde will und muss das ändern. Dass sie dies schaffen kann, hat sie in den vergangenen acht Jahren als Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit seinen 189 Mitgliedsländern gezeigt. Den hatte Vorgänger Dominique Strauss-Kahn durch persönliche Verfehlungen schwer in Misskredit gebracht. Dem IWF hat Lagarde neues Ansehen verschafft. Die 63-Jährige gilt als offen, verbindlich, vor allem auch als Teamspielerin. Im IWF war sie hochgeachtet. Ihr Verhältnis zu Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, einem der schärfsten Kritiker Draghis, gilt als gut.

Das Ansehen der Institution

Der Ruf der EZB in Politik und Gesellschaft ist nicht der allerbeste. Dies zu ändern und die Notenbank stärker und besser in der Gesellschaft zu verankern, muss die neue Präsidentin angehen. Vor allem in Deutschland hat das Ansehen der EZB durch die Niedrigzinspolitik gelitten. Auch wenn Lagarde alle 19 Euro-Staaten im Auge haben muss, wird sie versuchen müssen, das angekratzte Vertrauen der Bundesbürger in die Notenbank und den Euro wieder aufzufrischen und die Verärgerung deutscher Sparer, Banker und Sparkassenmanager abzubauen.

Das sollte der Französin durch ihre freundliche Art gelingen. Sie wolle die Kommunikation der EZB verbessern, betont sie. Und sogar Deutsch lernen. „Mario Draghi hatte seinen eigenen Stil, ich werde meinen Stil haben“, sagt Lagarde. In den Euro-Doppeltürmen im Osten Frankfurts deutet sich ein markanter Wandel an.

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