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Christine Lagarde zwischen Christian Sewing (l) und Martin Zielke (r) in Frankfurt

© REUTERS

Neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde: Sie ist schon angekommen

Die Französin spricht sich bei ihrem ersten offiziellen Auftritt für mehr Unterstützung der Politik und eine lockere Geldpolitik aus. Dafür gibt es viel Lob.

Christine Lagarde lässt sich mehr als pünktlich an der Alten Oper in Frankfurt absetzen – ohne Mantel und Schal im beigen Hosenanzug mit weißer Bluse geht die neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) die wenigen Schritte zum Eingang. Drinnen im Saal wartet die Frankfurter Finanz-Gemeinde mit Deutsche Bank-Chef Christian Sewing, Martin Zielke, dem ersten Mann der Commerzbank und weitere rund 200 Top-Bankerinnen und Banker und Finanzexperten mit Spannung auf den ersten öffentlichen Auftritt der 63jährigen Französin als Chefin der Notenbank. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann sieht die Angelegenheit beim traditionellen Europäischen Banken-Kongress gelassener. Schließlich hat er mit Lagarde und dem Rat der EZB vor wenigen Tagen in lockerer, „krawattenloser“ Runde in einem Luxushotel in Kronberg im Taunus zusammengesessen.

Lagarde spricht vor allem über Europa im Wettbewerb

Um kurz vor halb zehn, nachdem sie von Zielke mit freundlichen Worten auf französisch begrüßt worden ist, tritt Lagarde ans Rednerpult. Und punktet schon mit dem ersten Satz. „Guten Morgen. Ich freue mich heute hier zu sein. So“, sagt sie noch etwas holprig, aber lächelnd. Ihr Deutsch werde besser werden, verspricht sie. Das Publikum in der Alten Oper applaudiert. Lagarde hält eine programmatische Rede, die sich nur mit wenigen Worten mit der aktuellen Geldpolitik beschäftigt. Es geht der EZB-Präsidentin vor allem um die Herausforderungen für Europa im Wettbewerb mit den beiden anderen Wirtschaftsblöcken USA und China und mit der Positionierung des Kontinents in einer veränderten Weltwirtschaft.

Sie spricht den Welthandel an und die wachsenden Handelsspannungen, die für Verunsicherung und für die Abschwächung des globalen Wachstums sorgten. Sie verweist auf Strukturbrüche hin etwa durch die Digitalisierung und zu immer mehr Dienstleistungen. Und nennt das immer schwächere Wachstum in den Industrieländern, bedingt durch niedrigere Produktivität und die demografische Entwicklung. „2015 gab es vier Arbeitnehmer auf eine Person im Alter von 65 Jahren, 2050 werden es nur noch zwei sein.“ Sie betont aber auch, dass die Binnennachfrage in der Eurozone seit 2013 geholfen habe, 11,4 Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen. Gleichwohl dürfe sich Europa darauf nicht ausruhen.

Christine Lagarde spricht bei ihrer ersten Rede als neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank in Frankfurt.
Christine Lagarde spricht bei ihrer ersten Rede als neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank in Frankfurt.

© imago images/Xinhua

Die Französin, gelernte Politikerin und keine Ökonomin, fokussiert sich gleichwohl in ihrer ersten Rede auf die Ökonomie. Europa müsse sich weiter öffnen. zugleich Vertrauen in sich selbst entwickeln und das ökonomische Potential vollständig nutzen. Sie fordert eine gemeinsame Antwort, die vor allem darin liege, die Investitionen in Europa zu stärken – öffentlich wie von Unternehmen – um damit die Binnennachfrage zu stützen. „Die öffentlichen Investitionen im Euro-Raum liegen weiter unter ihren Vorkrisen-Niveaus“, mahnt Lagarde. Auch die Ausgaben für Forschung und Entwicklung seien rückläufig. Die Fiskalpolitik in Europa spiele eine zentrale Rolle.

Dass – und damit kommt Lagarde auf das Feld, das sie seit Anfang November verantwortet – werde es auch der Geldpolitik erleichtern, ihre Ziele zu erreichen. An der Großzügigkeit der EZB wird sich vorerst nichts ändern, lässt die neue Präsidentin wie erwartet durchblicken. „Die unterstützende Geldpolitik war ein wesentlicher Treiber für die Erholung und dies bleibt so.“ Die Geldpolitik werde die Wirtschaft weiter unterstützen und damit auf künftige Risiken reagieren und dies im Rahmen der von ihr angestrebten Preisstabilität. Und man werde auf die Nebenwirkungen achten. Sie werde, so Lagarde, die Strategie der EZB einer Überprüfung unterziehen. Bundesbank-Präsident Weidmann sagte ihr auf dem Kongress seine Unterstützung zu. Der Prozess beginne in Kürze, betonte die Französin. „Geben Sie uns Zeit,“ ruft sie in den Saal.

Zustimmung bei Top-Bänkern

Die Bankerinnen und Banker applaudieren. Das Lob fällt fast überschwänglich aus. „Das war die engagierteste Rede eines EZB-Vertreters in den letzten Jahren“, sagt Deutsche Bank-Chef Sewing. So etwas habe er bisher von niemandem aus der EZB gehört. Was nicht ganz stimmt: Denn auch Draghi hatte immer wieder verstärkte Investitionen und die Unterstützung der Politik gefordert. Nicht nur Sewing ist sich trotzdem sicher: In der EZB weht ein neuer, erfrischender Geist. In den Diskussionen und in den Gängen der Alten Oper ist kein Wort der Kritik zu hören. Weder Commerzbank-Chef Zielke noch Sewing oder die Chefs der französischen BNP Paribas und der britischen HSBC beklagen sich über Negativ- und Niedrigzinsen und die daraus folgenden Belastungen. „Wir sollten uns nicht mit den kurzfristigen Effekten der Niedrigzinsen aufhalten, sondern uns um unsere Wettbewerbsfähigkeit kümmern“, sagt der Deutsche Bank-Chef. Zur Erinnerung: Noch Anfang September hatte er bitterlich geklagt hatte, dass die Niedrigzinsen „langfristig das Finanzsystem ruinieren“ und Sparer in Europa jedes Jahr 160 Milliarden Euro verlieren würden. Auch Zielke sagt, es helfe nicht mit dem Finger auf andere zu schauen. Nur wenige äußern sich zurückhaltend. Das sei schon eine sehr politische Rede gewesen, sagt ein Privatbanker mit Blick auf Lagarde. Man müsse abwarten.

Die neue EZB-Präsidentin hört sich mehr als eine Stunde lang aufmerksam an, was die Bankerinnen und Banker zu sagen haben, klatscht ein paar Mal, macht sich viele Notizen, schüttelt viele Hände, bevor sie nach mehr als zwei Stunden den Kongress verlässt. Draghi hatte in den vergangenen Jahren auch in der Alten Oper gesprochen, aber war jeweils sofort nach der Rede verschwunden. Lagarde ist gerade mal drei Wochen im Amt – und schon hat sich die Stimmung gedreht. Die Französin scheint in Frankfurt angekommen. Draghi hat das in acht Jahren nicht geschafft. Und wohl auch nicht gewollt.

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