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Kampf der Giganten. Szene aus dem Spiel „Assassin’s Creed: Odyssey“.

© Ubisoft/dpa-tmn

Netflix für Computerspiele: Google will mit Abo die Gaming-Branche revolutionieren

Google startet im November seinen Cloud-Spieledienst, andere sind schon am Markt. Das Game-Streaming könnte die Branche für Computerspiele komplett umkrempeln.

Die Musikindustrie hat es schon erlebt. Die Filmindustrie ebenfalls. Und wenn es nach dem Willen von Google geht, wird es auch bald die Games-Industrie erobern: Streaming aus der Cloud. Wie der Konzern jetzt mitteilte, wird er im November mit seinem Cloud-Spieledienst Stadia starten - und zwar auch in Deutschland.
Stadia berechnet Computerspiele auf speziellen Google-Servern – und streamt sie dann als Bewegtbild auf die Endgeräte der Nutzer. Ein großer Vorteil dabei ist, dass die Nutzer keine teure Hardware benötigen, um ein grafisch anspruchsvolles Spiel zu spielen. Wer zum Start im November dabei sein will, muss demnach 129 Euro für das Streaming-Gerät Chromecast Ultra und einen Controller zur Spielsteuerung ausgeben. In dem Angebot inklusive sind auch drei Monate des Abo-Dienstes Stadia Pro, die sonst jeweils 9,99 Euro kosten. Abo-Kunden bekommen schärfere 4K-Bilder und Zugang zu einer Auswahl von Spielen.

Bislang braucht man für rechenintensive Spiele eine Konsole

Wirbelt der Streamingdienst bald die gesamte Games-Branche durcheinander? Tatsächlich benötigen rechenintensive Spiele wie „Assassin’s Creed: Odyssey“, „Red Dead Redemption“ oder „Forza Horizon 4“ heute noch eine Spielkonsole oder einen starken PC. Konsolenhersteller wie Sony, Microsoft und Nintendo machen mit ihren Produkten jedes Jahr Milliardenumsätze, Google sieht sich ausdrücklich als Konkurrenz. Ließen sich Games aus der Cloud auf jedes beliebige, auch noch so leistungsschwache Endgerät streamen, dann hätte das erhebliche Auswirkungen – nicht nur auf besagte Hersteller, sondern auch auf Nutzung und Design von Spielen.

Kommt auch bei Games bald die Streaming-Revolution? Ganz so einfach ist die Sache nicht. Allerdings enttäuschte das Angebot die Erwartungen einiger Analysten, weil in dem Abo hauptsächlich ältere Titel inbegriffen sind. Von den aktuellen Games ist bisher nur „Destiny 2“ dabei. Andere werden gekauft werden müssen, wie auf anderen Plattformen auch. Das werde es für Stadia schwieriger machen, Kunden anzulocken, kritisierte Analyst Pierce Harding-Rolls von der Marktforschungsfirma IHS Markit. Google habe bisher nicht gezeigt, dass der Internet-Konzern Kunden besser versorgen kann als traditionelle PC- und Konsolen-Plattformen.

Auch Analyst Michael Pachter von der Finanzfirma Wedbush betonte, Abodienste seien ohne eine breite Auswahl von Inhalten schwer zu verkaufen. „Das ist als hätten man ein Büffet nur mit einem Hühnchen-Gericht, einem Fleisch-Gericht und einem Nudel-Gericht“, sagte er der „Financial Times“. „Wenn man ein Netflix für Spiele werden will, muss man 1000 Games im Angebot haben.“

Häufig ist das Internet nicht schnell genug

Und es gibt noch ein Problem, denn zunächst benötigt reibungsloses Spiele-Streaming eine schnelle Internetverbindung. Kommt es dagegen zu Verzögerungen zwischen Steuerbefehlen und Signalausgabe („Lags“), verprellt das viele Gamer – genauso wie Grafikeinbußen durch den Stream. Allerdings spielt natürlich auch die Internetverbindung der Kunden eine Rolle. In Deutschland haben längst nicht alle Haushalte eine Breitbandanbindung. Dem Branchenverband Breko zufolge konnten Mitte 2018 zwar 93,5 Prozent aller städtischen Haushalte auf 50 Mbit oder mehr zugreifen. Auf dem Land waren es aber gerade mal 50,5 Prozent. Auch der superschnelle Mobilfunkstandard 5G ist in Deutschland zunächst nicht für Privatkunden vorgesehen. Es gibt also große Lücken in der Breitbandversorgung – das grenzt die Zahl der Games-Streamer hierzulande deutlich ein.

Wirklich neu ist Games-Streaming nicht: Bereits 2005 experimentierte die deutsche Spielefirma Crytek mit der Cloud. Streamingdienste wie Shadow, Playstation Now und Geforce Now gibt es bereits seit einiger Zeit – neu ist vor allem, dass nun mit Google ein ungleich größerer Anbieter die Arena betreten hat. Playstation Now von Sony ist ein Streaming-Abo, das im Monat rund 15 Euro kostet. Abonnenten haben Zugriff auf eine wechselnde Auswahl an PS4-, PS3- und PS2-Spielen, die entweder auf die PS4 oder einen PC gestreamt werden können; alternativ ist auch ein Download auf die PS4 möglich. Sony empfiehlt eine Internetverbindung von mindestens 5 Mbit pro Sekunde, damit das Ganze reibungslos läuft. Bei älteren Spielen reicht das aus, doch neue PS4-Spiele reichen grafisch nicht an die lokal installierte Fassung heran.

Der Anbieter Blade setzt bei seinem Dienst Shadow auf eine andere Technologie. Für rund 30 Euro pro Monat mieten Nutzer einen leistungsstarken Windows-10-Rechner in der Cloud, auf dem sie nicht nur spielen, sondern zum Beispiel auch aufwendige Grafikprogramme ausführen können. Nutzer sollten ihren Router und ihr Endgerät über ein Lan-Kabel verbinden, weil das W-Lan die Verbindung ausbremsen kann. In unserem Test funktioniert Shadow ganz gut – allerdings dürfte der hohe Preis nur für wenige Nutzer attraktiv sein. Zumal sie die Spiele noch kaufen müssen.

Den besten Eindruck der bereits existierenden Dienste machte auf uns Geforce Now. Die Firma Nvidia bietet – ähnlich wie Blade – Zugriff auf einen Hochleistungsrechner in der Cloud. Auch hier sind eine 50-Mbit-Leitung und ein Lan-Kabel empfehlenswert, um keine Qualitätseinbußen zu erleiden. Derzeit unterstützt Geforce Now mehr als 200 verschiedene Spiele, die mit den Steam- und Epic-Konten der Nutzer verknüpft sind, also auch separat gekauft werden müssen.

Cloud-Gaming ist bislang teurer als Netflix

Die drei Beispiele zeigen: Cloud-Gaming benötigt schnelles Internet – und ist tendenziell teurer als ein durchschnittlicher Netflix-Account. Damit ist es vor allem für die Zielgruppe der Vielspieler attraktiv, nicht so sehr für Gelegenheitsspieler. Wie stark Stadia das Ganze durcheinanderwirbeln kann, bleibt abzuwarten. Tatsächlich besitzt Google hier einen starken Hebel: Youtube-Nutzer sollen mit einem einzigen Klick von der Zuschauer- in die Spielerposition springen können. Angesichts der Reichweite des Videoportals dürfte das Stadia enorme Aufmerksamkeit bescheren.

Dennoch – oder gerade deshalb – gibt es enorme Vorbehalte gegenüber der Streaming-Offensive. Konsolen- und PC-Hersteller müssen um ihre Umsätze bangen, wenn die teure Hardware obsolet wird. Viel Gegenwind kommt auch von den Spielern selbst. Hauptkritikpunkt ist die befürchtete Qualitätseinbuße gegenüber stationären Spielen. Die Nutzer kritisieren aber auch, dass Streamingdienste ihnen die Kontrolle über die eigene Spielebibliothek entziehen: dass mühsam erarbeitete Spielfortschritte gefährdet seien und auch das beliebte Modding, also die Modifikation des Spiels durch kreative Fans.

Dieses Argument zieht aber nur dann, wenn die Spiele tatsächlich als Flatrate angeboten werden – bei Anbietern wie Blade oder Nvidia hingegen bleiben die Spiele auch nach dem Abo-Ende im Besitz der Spieler. Die Entwicklung bei Musik- und Video-Streamingdiensten lässt jedoch erahnen, dass Games-Streaming ebenfalls Richtung Flatrate gehen könnte. Das könnte dann auch den Erhalt der Spiele für spätere Generationen gefährden. Die Archivierung des Kulturguts Spiel wird bislang vor allem von Einzelpersonen und Museen geleistet, die physische Exemplare sammeln.

Eine Spiele-Flatrate könnte sich auf die Qualität auswirken

Die womöglich größten Auswirkungen dürfte eine Flatrate aber auf das Game-Design haben. Wenn Spiele wie Netflix-Serien konsumiert werden, könnten Anbieter der Versuchung erliegen, ihre Spiele künstlich in die Länge zu ziehen, anstatt auf dramaturgisch wohldurchdachte, abgeschlossene Erzählungen zu setzen. Zwar gibt es jetzt schon genügend Spiele, die ihre Nutzer mit immer neuen Häppchen füttern. Doch dieser Trend könnte durch Spiele-Flatrates noch verstärkt werden.

Vielleicht gehen Computerspiele aber auch künftig in eine ganz andere Richtung. Die angesehene Spielemacherin Amy Hennig („Uncharted“) glaubt, dass Echtzeit-Streaming der Spiele eine erzählerische Revolution auslösen kann. Als Beispiel nennt Hennig den interaktiven Film „Bandersnatch“ auf Netflix, bei dem die Zuschauer den Handlungsverlauf per Knopfdruck beeinflussen. Mit ähnlichen Formaten könne die Games-Industrie deutlich mehr Menschen ansprechen als bisher, sagt Hennig. Die Streaming-Zukunft, sie wird auf jeden Fall spannend.

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