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Vor einem Jahr stellte ByteDance seine Videoplattform TikTok noch in New Yorker U-Bahnstationen vor.

© imago images/Levine-Roberts

Nach Streit um TikTok: Zwischen China und den USA droht ein App-Konflikt

Die US-Regierung kündigt an, auch andere chinesische Apps verbannen zu wollen. Entwickler aus der Volksrepublik sind in den Staaten bereits erfolgreich.

Von Laurin Meyer

Dass ihre Kurzvideos mal zum Konflikt zwischen zwei Großmächten führen könnten, hätten wohl die wenigsten TikTok-Nutzer gedacht. Um Politik geht es in den kurzen Clips auf der chinesischen Plattform nämlich selten. Stattdessen tanzen oder singen die meist jugendlichen Nutzer lieber. Und doch ist TikTok zum Politikum geworden. Denn die US-Regierung fürchtet, dass über die App des chinesischen Anbieters ByteDance Daten in die Hände der Kommunistischen Partei geraten könnten – und droht, die Plattform zu verbieten. TikTok hingegen beteuert, man habe nie Daten mit chinesischen Behörden geteilt.

Es dürfte jedoch längst um mehr gehen als nur um die Frage der Sicherheit. Trump will den rasant wachsenden Einfluss Pekings zurückdrängen, mutmaßen Beobachter. Derzeit verhandelt der US-Techkonzern Microsoft über den Kauf des Amerikageschäfts von TikTok. Und der US-Präsident forderte kurzerhand einen Anteil des Verkaufspreises für den Staat.

Während die Zukunft von TikTok also noch nicht geklärt ist, droht jedoch die nächste Eskalationsstufe im Streit um chinesische Plattformen. Denn die US-Regierung will auch andere „nicht vertrauenswürdige Apps“ aus China von den Smartphones ihrer Landsleute verbannen. Das kündigte US-Außenminister Mike Pompeo in der Nacht zum Donnerstag an. „Apps aus der Volksrepublik China bedrohen unsere Privatsphäre, verbreiten Computerviren und streuen Propaganda und Falschinformationen“, erklärte Pompeo. Sie sollten aus den App Stores entfernt werden.

Deren Entwickler sind in den USA längst sehr erfolgreich, andere chinesische Apps sind dort schon angekommen. Allein zwischen April und September des vergangenen Jahres sollen chinesische App-Entwickler in den USA fast eineinhalb Milliarden Dollar eingenommen haben. Das zeigt eine Auswertung der Marktforschungsfirma „Sensor Tower“ im Auftrag des Senders CNBC.

Tencent besonders als Spieleentwickler erfolgreich

Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist das ein Anstieg um rund zwei Drittel. Die Einnahmen sollen außerdem mehr als ein Fünftel aus den Gesamtverkäufen der Top-100-Apps in den US-Stores von Google und Apple ausgemacht haben.

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Vor allem ein Konzern treibt die chinesische App-Expansion voran: Tencent, eine der größten Internetfirmen der Volksrepublik China. Dessen Smartphone-Spiele gehören mittlerweile zu den beliebtesten in den USA. Darunter ist etwa „PUBG Mobile“, ein Ego-Shooter, der im vergangenen Jahr laut „Sensor Tower“ auf knapp 285 Millionen Smartphones weltweit heruntergeladen wurde.

Nicht immer klar, wie viel China in einer App steckt

Tencent ist dabei vor allem über Partner- und Tochterfirmen in den USA erfolgreich. Das bei Jugendlichen beliebte Smartphone-Spiel „Fortnite“ stammt von der US-Softwarefirma Epic Games, in die sich Tencent bereits vor einigen Jahren erfolgreich eingekauft hat. Außerdem hält der Tech-Konzern große Anteile am Entwickler des Erfolgsspiels „Clash of Clans“.

Die Spiele von Tencent sind auch in den USA beliebt.
Die Spiele von Tencent sind auch in den USA beliebt.

© Reuters

Für Nutzer sei das jedoch nicht immer ersichtlich. „Der Investitionsfonds von Tencent geht vielfach auch Minderheitsbeteiligungen ein“, erklären die China-Experten Olaf Rotax und Mirko Wormuth von WeCooperative, einer digitalen Genossenschaftsberatung. „Daher ist auch nicht immer ganz klar, wie viel China in einem Dienst steckt.“ Hinzu kommt: „Die meisten Nutzer sind sehr unkritisch bei kostenlosen Diensten, die einen hohen Mehrwert bieten“, erklären sie.

Für nahezu alle Dienst ist ein chinesisches Pendant entstanden

Aus seinem Ziel macht Tencent jedenfalls kein Geheimnis. „Wir haben einen globalen und langfristigen Blick auf die Industrie“, sagte jüngst Ben Feder, verantwortlich für nordamerikanische Partnerschaften bei Tencent. Vor wenigen Jahren sah das noch ganz anders aus. Lange war China bei Kritikern dafür berüchtigt, sich gute Geschäftskonzepte aus dem Ausland abzuschauen – und einzig auf dem chinesischen Markt anzubieten.

Für nahezu alle beliebten Internetdienste sind chinesische Pendants entstanden. Die Suchmaschine Baidu gilt als Chinas Google, WeChat wird oft mit der Textnachrichten-App WhatsApp verglichen. Und Alibaba macht wie Amazon jährlich Milliardenumsätze im Onlinehandel. Daneben bestellen sich Chinesen einen Fahrdienst über Didi statt Uber und bezahlen auf dem Smartphone etwa mit Alipay statt Apple Pay.

China mit USA bei Start-ups fast gleichauf

Das liegt nicht zuletzt daran, dass zahlreiche Plattformen wie Google und Facebook in China gesperrt sind. Manche Betreiber hatten sich geweigert, die Zensurvorgaben der Kommunistischen Partei umzusetzen. Denn alles was auf chinesischen Portalen online geht, kann zensiert werden.

China hat das einen Entwicklungsschub verschafft: In der Rangliste der erfolgreichen Start-ups liegen die USA und die Volksrepublik heute fast gleichauf. Die US-Amerikaner zählen derzeit 233 Jungunternehmen mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde Dollar, sogenannte Einhörner, und stehen damit auf dem ersten Platz. Doch China folgt dicht dahinter, hier knacken 227 Start-ups diese Marke. Das zeigt der aktuelle „Global Unicorn Index“ der chinesischen Marktforschungsagentur Hurun. Der große Unterschied: die Geschwindigkeit. Von den jüngsten zehn Einhörnern stammen sieben aus dem Reich der Mitte.

Super-Apps statt viele kleine Programme

„In China finden Industrialisierung und Digitalisierung quasi gleichzeitig statt“, erklären Rotax und Wormuth von WeCooperative. Es gebe weniger Hinterlassenschaften, die Innovationen im Weg stehen könnten. Dem chinesischen App-Ansatz räumen die beiden Experten jedenfalls gute Erfolgsaussichten ein. „Chinesische Apps verfolgen einen breiteren und den klassischen Apps überlegenen Ökosystem-Ansatz.“ Soll heißen: Am Ende gibt es nur eine Handvoll vernetzter „Super-Apps“ statt viele einzelne, die individuell heruntergeladen werden müssen.

Aber: „Wir stehen erst am Anfang solcher Apps außerhalb Chinas“, erklären sie. Wohl auch deshalb, weil viele chinesische Entwickler das heimische Potenzial noch nicht vollständig ausgeschöpft haben. Mehr als 900 Millionen der 1,4 Milliarden Chinesen sind mittlerweile online.

Mit den Drohungen gegen chinesische Apps ist die US-Regierung übrigens nicht allein. Auch die indische Regierung soll Medienberichten zufolge Dutzende chinesische Apps auf einer Streichliste haben, darunter das beliebte Spiel „PUBG Mobile“. Insgesamt 59 Apps, darunter auch TikTok, hat Indien vor wenigen Wochen bereits verbannt.

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