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Auch Autokredite sind von der neuen Rechtsprechung betroffen.

© picture alliance/dpa

Nach EuGH-Urteil: Wer jetzt bessere Bedingungen für seine Kreditverträge aushandeln kann

Weil die Widerrufsregelungen nicht klar formuliert waren, sind viele Verträge ungültig. Wie Verbraucher jetzt vorgehen müssen, um bessere Verträge zu bekommen.

Verbraucher dürfen jeden Kreditvertrag binnen 14 Tagen widerrufen. Nach einem neuen Urteil von Europas höchster Rechtsinstanz, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, könnten nun jedoch die meisten Immobilien-, Auto- und Verbraucherkredite seit 2010 widerrufen werden. Der Grund: Die in den Verträgen verwendeten Widerrufsformeln seien unverständlich und damit nicht mit geltendem EU-Recht vereinbar, befand der EuGH.

Das Urteil der obersten Rechtsschützer der EU (Az. C-66/19) könnte enorme Folgen haben. Allein im Immobilienbereich könnten theoretisch Verträge im Volumen von 1,2 Billionen Euro auf den Prüfstand kommen, schätzt Ingo Valldorf, Sprecher der Berliner Rechtsanwaltskanzlei Gansel, die das Urteil erstritten hat. Hinzu kämen allein bei Kredit- und Leasingverträgen für Autos 19,5 Millionen Verträge mit einem Volumen von 340 Milliarden Euro.

Formulierung muss klar und prägnant sein

Hintergrund ist eine EU-Richtlinie für Verbraucherkredite, die seit 11. Juni 2010 in Deutschland gilt und Kunden ein hohes Maß an Sicherheit und Transparenz verspricht. Das Landgericht Saarbrücken sah nun in einem Verfahren eines Immobilienkunden gegen die Kreissparkasse Saarlouis eine Anrufung des EuGH geboten, um höchstrichterlich klären zu lassen, ob die Formulierungen in Kreditverträgen mit gültigem EU-Recht vereinbar seien.

Die Luxemburger Richter bestritten dies. Widerrufsbelehrungen in Kreditverträgen müssten klar und prägnant sein. Der Verbraucher müsse schnell erkennen können, wann eine Frist beginne. Dies sei in den heute fast durchgängig benutzten Formulierungen in Deutschland nicht der Fall. Das Gericht monierte dabei vor allem die sogenannte „Kaskadenverweisung“. In fast allen Kreditverträgen verweisen die Formulierungen zum Widerruf und dessen Fristbeginn wie in einer Kaskade auf Paragrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch – und von dort weiter.

„In dem Paragrafen selbst finden sich die für den Verbraucher wichtigen Informationen gar nicht, sondern erst am Ende einer längeren Verweiskette mit mehrfachen Weiterleitungen auf diverse Paragrafen im Gesetzestext“, heißt es bei der Rechtsanwaltskanzlei Gansel. Für einen normalen Verbraucher sei damit nicht klar erkennbar, wann seine Widerrufsfrist, ein wichtiges Recht beim Vertragsabschluss gerade von sehr langfristig angelegten Krediten, begonnen habe.

Dies bedeute: Weil die Widerrufsfrist nicht gesetzeskonform sei, habe sie noch gar nicht begonnen. Die vom EuGH beanstandete Formulierung, die sich in vielen Verträgen findet, lautet: „Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB (…) erhalten hat.“ Der § 492 BGB wiederum verweist auf weitere Rechtsvorschriften.

Baukredite oder Auto-Leasingverträge sind betroffen

Wenn Verbraucher es wünschen und ihr Kreditvertrag entsprechende Passagen enthält, können sie beispielsweise einen 2011 zu teureren Konditionen abgeschlossenen Baukredit auf die heutigen günstigeren Konditionen umschulden oder ein finanziertes Auto zurückgeben – und Anzahlung bzw. bereits geleistete Zinsen und Tilgungen zurückverlangen, unter Umständen gegen Nutzungsgebühren für das Auto. Sparen könnten sich betroffene Kreditkunden etwa auch die Vorfälligkeitsentschädigungen, die Banken bei der vorzeitigen Kredittilgung oder der Umschuldung auf günstigere Konditionen verlangen, heißt es bei der Verbraucherzentrale Hamburg.

Der Kunde müsste dann den alten Vertrag mit einer ungültigen Widerrufsbelehrung nicht kündigen, sondern einfach widerrufen – und parallel dazu einen neuen mit günstigeren Konditionen aushandeln. Damit könnten Verbraucher oft Tausende Euro sparen. Die Kanzlei Gansel etwa rechnet vor: Ein Häuslebauer, der 2011 einen Kredit über 250 000 Euro abgeschlossen und nun eine restliche Zinsbindung von fünf Jahren habe, könne 39 660 Euro Vorfälligkeitsentschädigung sparen.

Widerspruch vom Experten prüfen lassen

Im Immobiliensektor betroffen sein könnten alle Kredite, die zwischen dem Inkrafttreten der verbraucherfreundlichen EU-Richtlinie im Juni 2010 und einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zu Widerrufen vom 21. März 2016 abgeschlossen worden sind. In diesem wenig verbraucherfreundlichen Urteil hatte der BGH den sogenannten Widerrufsjoker gekippt und das vorher ewig gültige Widerrufsrecht auf maximal ein Jahr und 14 Tage beschränkt – unabhängig davon, ob der Verbraucher falsch oder auch gar nicht über seine Rechte belehrt wurde. Bei allen anderen Krediten können die Widerrufspassagen in allen Verträgen von 2010 bis zum heutigen Tag unrechtmäßig sein, so Valldorf.

Die Verbraucherzentralen raten dazu, fragliche Verträge zunächst vom Verbraucherschutz oder spezialisierten Anwaltskanzleien prüfen zu lassen. Den Widerruf ohne juristische Hilfe selbst zu formulieren und beispielsweise Raten weiter zu überweisen, könne problematisch sein und zum Verlust der Ansprüche führen.

Einige Anwälte bieten einen ersten Vertragscheck auch kostenlos an, andere arbeiten mit Beratungspauschalen und einer prozentualen Beteiligung an den am Ende erzielten Vorteilen für den Verbraucher. Generell verschaffe das EuGH-Urteil Verbrauchern aber „eine gute Verhandlungsposition“, so die Verbraucherzentrale Hamburg. Denkbar sei auch, dass Banken Vergleiche suchen könnten, um langwierige und teure Prozesse zu vermeiden, glauben die Anwälte.

Allerdings sei auch möglich, dass Immobilienkredit-Fälle erneut an den BGH gehen und dieser im Machtkampf mit dem EuGH erneut widersprechen könnte, vermutet die Kanzlei Gansel. Denn: Nur die deutsche Umsetzung der EU-Richtlinie, nicht jedoch die Richtlinie selbst habe auch Immobilienkredite in die Pflicht zu klaren Formulierungen einbezogen. Die EU habe dies nur für Auto- und Verbraucherkredite verlangt, weshalb der BGH das europäische Gericht für nicht zuständig halten könnte. Valldorf: „Für diesen Fall legen wir Verfassungsbeschwerde ein.“

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