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Düstere Aussichten. Setzen die deutschen Kunden Ansprüche auf Schadensersatz durch, kann das für den VW-Konzern teuer werden.

© dpa

Nach dem Abgas-Skandal: Wie sich VW-Kunden im Netz verbünden

Für Anwälte ist es mittlerweile ein lukratives Geschäft: Sie sammeln übers Internet Schadensersatzansprüche von deutschen VW-Kunden ein und stellen Forderungen in Millionenhöhe an VW.

Immer mehr VW-Kunden in Deutschland, die sich im Diesel-Skandal von Europas größtem Automobilhersteller betrogen fühlen, schließen sich zusammen. Weil das deutsche Recht keine Sammelklagen von Verbrauchern zulässt und Einzelklagen wenig Aussicht auf Erfolg haben, formiert sich der Widerstand bei Anwaltskanzleien, Stiftungen und auf Onlineplattformen wie My-right.de.

Das Ziel aller Initiativen: Der VW-Konzern soll – wie in den USA – Autokäufern Schadensersatz in Millionenhöhe zahlen, weil die manipulierten Dieselautos an Wert verlieren, mehr Sprit verbrauchen oder Schadstoffe ausstoßen. Juristen und Verbraucherschützer werfen dem Wolfsburger Unternehmen dabei vor, mit zweierlei Maß zu messen: Während Volkswagen in den USA wegen der dort strengeren Gesetze und der Möglichkeit zu Sammelklagen Kunden entschädige, drohten VW-Kunden in Deutschland und auch im Rest von Europa leer auszugehen. In einigen Prozessen gegen VW-Händler haben deutsche Richter bereits zugunsten des Autokonzerns entschieden. Urteile in Prozessen gegen den Hersteller selbst stehen noch aus.

Firmen sammeln VW-Kunden

Vor der VW-Hauptversammlung am Mittwoch in Hannover wagen sich nun weitere Sammelstellen für geprellte VW-Käufer aus der Deckung. Beim Rechtsdienstleister My-right.de aus Hamburg haben sich inzwischen 100.000 VW-Kunden registriert, die zusammen ihr Recht durchsetzen wollen. My-right.de arbeitet mit der renommierten US-Kanzlei Hausfeld zusammen, die spektakuläre Erfolge in Verfahren von Ölpestgeschädigten, Holocaustopfern und Zwangsarbeiterfonds errang.

My-right.de funktioniert in etwa wie eine Verbraucherinkassofirma, an die Kunden ihre Ansprüche auf Schadensersatz abtreten. Die Firma strebt dann einen Vergleich mit VW an oder zieht, wenn nötig, vor Gericht. Für die VW-Kunden selbst entstehen keine Anwalts- oder Prozesskosten. Im Erfolgsfall kassiert My-right.de 35 Prozent der gezahlten Schadensersatzsumme als Provision.

„VW erwartet, dass die Sache im Sande verläuft, weil die Kunden in Ermangelung vernünftiger Alternativen irgendwann entnervt aufgeben“, sagte My-right.de- Gründer Jan-Eike Andresen dem Tagesspiegel. Das funktioniere in Zeiten des Internets mit transparenten Informationen und innovativen Rechtsdienstleistern wie My-right.de aber nicht mehr. Verbraucherschützer stützen die Forderung nach einer angemessenen Behandlung deutscher VW-Kunden. Der VW-Konzern müsse eine freiwillige Garantieerklärung aussprechen, „damit Verbraucherinnen und Verbraucher nicht auf Schäden oder Wertverlusten sitzen bleiben“, erklärte der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV).

In den USA könnte VW sich bald schon mit vielen Kunden einigen

Eigentlich wollte Volkswagen in dieser Woche in den USA den Streit um hunderte Schadenersatzklagen von Autobesitzern beilegen. Doch die von US-Bezirksrichter Charles Breyer in San Francisco gesetzte Frist wurde um eine Woche verlängert. Bis Mittwoch nächster Woche müssen die Wolfsburger nun einen mit den US-Behörden ausgearbeiteten Entschädigungsplan präsentieren. Der Vergleich soll dann auch für mehr als 600 Sammelklagen in den USA gelten. Ziel ist es, die betroffenen US-Kunden so zu entschädigen, dass diese kein Interesse mehr haben zu klagen. Wahrscheinlich wird VW zahlreiche Fahrzeuge zurückkaufen, Kunden sollen zudem mit 5000 Dollar entschädigt werden. Insider und Analysten schätzen, dass allein der Kompromiss in Amerika VW zehn Milliarden Dollar kosten könnte. Für die Reparatur der weltweit elf Millionen betroffenen Dieselautos sowie für Bußgelder und Schadensersatz hat der Konzern 16,2 Milliarden Euro zur Seite gelegt.

Hinter den 100 000 bei My-right.de Registrierten steht ebenfalls eine weitere, riesige finanzielle Schadensersatzforderung – und ein mögliches Risiko für VW. Müsste der Konzern jedem geprellten deutschen Kunden, wie in den USA, 5000 Dollar zahlen, wären allein in dem deutschen Fall 500 Millionen Dollar (445 Millionen Euro) fällig. „Das ist nur der Einstieg“, sagt Christopher Rother, der das Berliner Hausfeld-Büro leitet. „Wir sind sicher, dass weitere VW-Kunden dazustoßen werden.“ In den kommenden Wochen werde My-right.de Volkswagen Abtretungsanzeigen und Zahlungsaufforderungen in Millionenhöhe vorlegen. „Gerät der Konzern mit der Zahlung in Verzug, berechnen wir auch Zinsen“, kündigt Rother an. Kürzlich wurde eine englischsprachige My-right-Website freigeschaltet, in Frankreich verhandelt man mit der dortigen Plattform Weclaim. „Wir können nur dann Druck aufbauen, wenn VW erkennt, dass sich deutsche und europäische Autokäufer nicht als Kunden zweiter Klasse abspeisen lassen.“ Dies sei auch ein Signal an den Gesetzgeber und die „Mitte der Gesellschaft“.

2,4 Millionen VW-Kunden sind in Deutschland betroffen

Hochgerechnet auf alle 2,4 Millionen in Deutschland betroffenen VW-Kunden käme eine Summe von rund elf Milliarden Euro zusammen. Jan-Eike Andresen hält es für realistisch, dass rund die Hälfte aller Betroffenen ihre Ansprüche durchsetzen will – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Angesichts von acht Millionen in Europa manipulierten Dieselfahrzeugen wäre das Risiko für VW dann noch ungleich höher.

Andresens Optimismus speist sich aus Erfahrungen, die der ehemalige Profisegler in ähnlichen Auseinandersetzungen mit Fluggesellschaften und Banken gesammelt hat. Sein Geschäftspartner und My-right.de-Mitgründer Sven Bode hat die Plattform Flightright zum Marktführer für die Durchsetzung von Fluggastrechten aufgebaut, mit inzwischen 600 000 Nutzern. Andresen kam später dazu und baute das Europageschäft auf. Das von Bode ebenfalls gegründete Portal Bankright.de engagiert sich nach einem ähnlichen Muster erfolgreich bei der Rückforderung von Bearbeitungsgebühren oder dem Widerruf von Darlehensverträgen. Nun soll das Modell auf den VW-Diesel-Skandal übertragen werden.

„Wie das Beispiel USA gezeigt hat, weiß VW sehr wohl, dass man einen verursachten Schaden zu ersetzen hat“, sagt Bode. „Leider meint VW, in Deutschland würde das Recht nur für andere gelten. Wir werden Volkswagen zeigen, dass das Recht auch für Volkswagen gilt.“

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