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Mit Wohnmobilen kann man auch Berglandschaften gut erkunden.

© Urs Flueeler/KEYSTONE/dpa

My Car is my Castle: Wohnmobil-Branche hofft dank Corona auf glänzende Geschäfte

Der Verkauf von Caravans boomt. Anbieter werben mit dem Gefühl von selbstbestimmtem Reisen - und Sicherheit vor Corona.

Es muss ja nicht gleich ein Marchi Mobile sein. Der österreichische Wohnmobilbauer nennt sein Top-Modell „Palazzo“ und nimmt dafür bis zu zwei Millionen Euro – je nach Ausstattung. Marmor, Regenwald-Dusche und eine Lounge auf dem Dach sind bei der Sonderausführung des zwölf Meter langen Luxuscampers dafür inklusive.

Ein Hundertstel der „Palazzo“-Kaufsumme tut es freilich auch. Und gebrauchte Camper sind noch günstiger zu haben. Wohnmobile boomen in der Coronakrise. Autark verreisen ohne Maskenpflicht und Mindestabstand, aber mit Familie oder Freunden – das scheint ein verlockendes Angebot zu sein in diesem Sommer. Die Verkaufszahlen gehen jedenfalls durch die Decke.

50 Prozent mehr Freizeitfahrzeuge verkauften die Hersteller in Deutschland allein im Juni, bei Reisemobilen lag das Plus sogar bei 65 Prozent. „Die Branche erlebte trotz Corona-Pandemie das beste erste Halbjahr ihrer Geschichte“, jubelt der Caravaning-Verband CIVD. Knapp 55.000 Fahrzeuge wurden in diesem Zeitraum neu zugelassen, so viel wie in anderen Jahren in zwölf Monaten.

Dabei hatten die Händler während des Lockdowns geschlossen. Die Senkung der Mehrwertsteuer dürfte den Absatz auch ankurbeln. Noch mehr Fahrzeuge wechseln auf dem Gebrauchtmarkt den Besitzer.

Nicht nur ältere Urlauber kaufen Wohnmobile

„Die gegenwärtige Krise wird den Trend zum Slow Travel, dem bewussten und entschleunigten Reisen, weiter verstärken“, hofft Martin Brandt, Vorstandschef der Erwin Hymer Group. Mit Caravaning sei Urlaub in Deutschland und „allen Regionen Europas“ auch in der Pandemie möglich.

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Schon vor der Coronakrise gingen die Verkaufszahlen von Wohnmobilen und -anhängern nach oben, wenn auch längst nicht so steil wie in diesem Sommer. Das liegt offenbar nicht nur an älteren Urlaubern mit Kaufkraft. Auch Millennials interessieren sich überdurchschnittlich stark für Caravaning-Urlaub, so eine GfK-Umfrage.

Die Mehrheit gibt an, „selbstbestimmt“ und „unabhängig“ reisen zu wollen. Dabei spielten auch Instagram-Bilder eine Rolle, die die Sehnsucht nach unberührter Natur weckten, so Branchenbeobachter – dabei gibt es die oft nur auf den Fotos der Reise-Influencer. Insgesamt sind hierzulande fast 600.000 Reisemobile und 700.000 Caravans registriert.

Caravan-Salon findet mit 20.000 Besucher pro Tag statt

Als eine der ersten großen Messen nach dem Corona-Shutdown überhaupt wird im September der „Caravan Salon“ in Düsseldorf stattfinden. Und zwar nicht virtuell, sondern live mit täglich 20.000 Besuchern und 350 Ausstellern. Marken wie Knaus Tabbert, Hobby, Fendt, Trigano, Carthago, Weinsberg, Karmann Mobil und Rapido zeigen dort alles vom „Caravaning Utility Vehicles“ bis zum Offroad-Mobil für die Wüstendurchquerung, trommeln die Veranstalter.

Voll im Trend. Dass der Verkauf von Wohnmobilen boomt, freut die Veranstalter der im September in Düsseldorf stattfindenden Messe „Caravan Salon“.
Voll im Trend. Dass der Verkauf von Wohnmobilen boomt, freut die Veranstalter der im September in Düsseldorf stattfindenden Messe „Caravan Salon“.

© Henning Kaiser/dpa

Dass eine Branche, die offensiv mit der Corona-Sicherheit ihrer Produkte wirbt, zum Großevent lädt, sei kein Widerspruch. „Wir haben in den letzten Wochen alles dafür getan, ein umfassendes Hygienekonzept auf Grundlage der aktuellen Coronaschutz-Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen zu erarbeiten“, sagte Messechef Michael Degen am Dienstag. Masken und Mindestabstand sollen dazu gehören.

Boom führt zu Problemen

In einigen Tourismusregionen führt der Boom bereits zu Problemen. In der Schweiz sind Campingplätze schon lange ausgebucht. Nun parken viele Wohnmobile nächtelang auf Parkplätzen oder mitten in der Natur, was nur in Ausnahmefällen erlaubt ist.

„Es hat praktisch auf jedem Parkplatz Camper gegeben“, sagte die Bürgermeisterin der Gemeinde Flüeli (Kanton Luzern), Sabine Wermelinger, im Radio SRF. Einheimische hätten sich im Kanton Uri von Campern überrumpelt gefühlt, sagte der Geschäftsführer des Tourismusverbands, Maurus Stöckli.

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Neben dem Abfall habe es „die ganz schlimmen Fälle“ gegeben: „Dass man seine Hinterlassenschaften in den Bergbach leitet statt sie mitzunehmen.“ Das alles kann teuer werden in der Schweiz. Auch in Bayern melden Gemeinden, dass mehr Wohnmobile unterwegs sind, als es Stellplätze gibt.

E-Wohnmobile bleiben die Ausnahme

Nur eine Randerscheinung werden auf der Düsseldorfer Messe Wohnmobile mit Elektroantrieb sein. Dabei hat der Dieselskandal längst auch Hersteller der Freizeitfahrzeuge erreicht. Die EU-Justizbehörde Eurojust und die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermitteln gerade wegen des Verdachts des Betruges mit Abschalteinrichtungen gegen den Autobauer Fiat Chrysler (FCA) und seine Marke Iveco.

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In Deutschland seien mehr als 200.000 Fahrzeuge betroffen, darunter besonders viele Wohnmobile, hieß es von der Staatsanwaltschaft. FCA hat in den USA ähnlichen Ärger mit den Behörden wie Volkswagen.

Eines der ersten vollelektrischen Wohnmobile wurde immerhin bereits im vergangenen Jahr in Düsseldorf gezeigt. Das E-Mobil Iridium wird von Spezialfirmen aus Deutschland und der Schweiz gebaut und in einer Kleinserie verkauft. Größere Hersteller haben bislang vor allem Studien vorgestellt. Wohnmobilspezialisten entwickeln zudem Freizeitfahrzeuge auf Basis von E-Lieferwagen.

Der elektrische Tesla-Truck Semi mit einer versprochenen Reichweite von bis zu 800 Kilometern etwa wird noch gar nicht gebaut. Der britische Spezialist Campervan plant aber bereits, daraus eine futuristisch anmutende Wohnmobilversion für betuchte Käufer zu entwickeln.

Felix Wadewitz

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