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Musk will aus Twitter die zentrale Plattform für einen freien Meinungsaustausch machen – jedenfalls das, was er darunter versteht.

© IMAGO/ZUMA Wire

Musks Pläne für den Kurznachrichtendienst: Wie viel Meinungsfreiheit verträgt Twitter?

Elon Musk bezeichnet sich als „Absolutist der Meinungsfreiheit“. Nach dem Kauf von Twitter ist die große Frage, was er mit der Plattform anstellt.

Nun ging es doch schnell. Eigentlich wollte Twitter mit einer sogenannten „Giftpille“ die Übernahme durch Elon Musk abwehren. Doch nach Gesprächen am Wochenende hat der Online-Dienst seinen Widerstand aufgegeben und sich auf einen Deal über 44 Milliarden Dollar verständigt. Noch müssen die Aktionäre und Aufsichtsbehörden zustimmen, doch große Zweifel, dass der Kauf daran scheitert, gibt es nicht.

Auch wenn der formale Vollzug noch dauern wird und damit auch mögliche Änderungen, stellt sich schon jetzt die Frage, was der reichste Mann der Welt mit der Plattform vorhat. „Twitter hat außerordentliches Potenzial. Ich freue mich darauf, mit dem Unternehmen und Nutzern daran zu arbeiten, es auszuschöpfen“, sagte Musk selbst.

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Dabei blickt der Milliardär einerseits auf die Zahlen. Denn klar ist, dass der Dienst seine Reichweite wirtschaftlich nur begrenzt ausnutzt. Im Vorjahr lag der Umsatz bei fünf Milliarden Dollar, wie so oft stand unter dem Strich ein Verlust von 220 Millionen. Am Donnerstag legt Twitter Zahlen für das erste Quartal vor.   

Ergänzend zum Werbegeschäft könnte Musk Bezahlfunktionen ausweiten. Mit „Twitter Blue“ gibt es dazu auch schon erste Versuche, für drei Dollar im Monat erhalten Nutzer dabei Zusatzfunktionen.

Allerdings hat Musk in der Vergangenheit betont, dass für ihn ein anderer Punkt im Zentrum stehe. „Ich habe in Twitter investiert, weil ich an sein Potenzial glaube, die Plattform für freie Meinungsäußerung auf der ganzen Welt zu sein", hatte der 50-jährige nach seinem Einstieg geschrieben.

Sorgen vor Trump-Comeback

Zahlreiche gesperrte Nutzer in den USA begrüßten den Kauf und hoffen bereits, ihre Zugänge zurück zu bekommen. Schließlich hatte der Tesla-Chef sich schon früher gegen permanente Ausschlüsse ausgesprochen, er finde vorläufige „Timeouts“ besser. Auch eine Rückkehr von Donald Trump wird daher möglich.

Erst relativ spät hatte Twitter begonnen, einzelne Tweets des damaligen US-Präsidenten zu kennzeichnen oder zu sperren. Nachdem er Sympathie für seine Anhänger bekundet hatte, die am 6. Januar 2021 das Kapitol in Washington erstürmt hatten, wurde er ganz bei Twitter verbannt.

Im Weißen Haus von Präsident Joe Biden sei man besorgt, Trump könne vor den Kongresswahlen in diesem Herbst und der Präsidentenwahl 2024 bei Musks Twitter wieder auftauchen, berichtete der TV-Sender CNBC.

Die Menschenrechtsorganisation NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) appellierte an Musk, speziell Trump nicht zurück auf die Plattform zu lassen. „Leben sind in Gefahr - und auch unsere amerikanische Demokratie“, sagte NAACP-Präsident Derrick Johnson.

Trump selbst bezeichnet Musk bei Fox News als „guten Mann“, erklärte aber, er wolle nicht zu Twitter zurückkehren. Der Ex-Präsident baut derzeit seine eigene Twitter-Alternative mit dem Namen Truth Social auf, die jedoch bisher ein Schattendasein führt.

„Absolutist der Meinungsfreiheit“

Doch auch unabhängig von der Causa Trump dürfte die Frage, wie Inhalte künftig bei Twitter moderiert oder gesperrt werden, in den kommenden Monaten wieder im Zentrum stehen.

Tesla-Chef Elon Musk bei einem Besuch seiner Fabrik in Grünheide.
Tesla-Chef Elon Musk bei einem Besuch seiner Fabrik in Grünheide.

© REUTERS

Musk selbst bezeichnet sich als „Absolutist der Meinungsfreiheit“. Er unterstützt zwar die Ukraine mit Internetzugängen über das Satelliten-Netzwerk-Starlink, weigert sich aber dort russische Propagandaseiten zu sperren.Da müsste ihm schon jemand eine Waffe an den Kopf halten, sagte Musk. Ob der bisherige Konzernchef Parag Agrawal seinen Job behält ist daher auch offen. Im Vorjahr hatte ihn Musk in einer Fotomontage mit Stalin verglichen. 

Wenn eine unabhängige Stelle die Sachlichkeit und Richtigkeit der umstrittenen Beiträge prüft und entsprechend kennzeichnet, wäre es sogar eine gute Sache, jeden Mist, der nachvollziehbares geltendes Recht wie z.B. Jugendschutz nicht verletzt, zu veröffentlichen.

schreibt NutzerIn karia

Twitter mit Redefreiheit sei wichtig für die Demokratie und minimiere die Risiken für die Zivilisation, sagt Musk. Seine Vorstellung von Redefreiheit umriss er dabei so: „Wenn jemand, den man nicht mag, etwas sagen darf, was man nicht mag.“ Im Rahmen der Gesetze sollten alle Meinungen erlaubt sein. 

Musk vs. NetzDG

Welche Einschränkungen es bei Twitter gibt, wird damit künftig noch stärker von Regeln wie dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) oder dem gerade von der EU beschlossenen Digital Services Act (DSA) abhängen.

Der DSA soll unter anderem sicherstellen, dass illegale Inhalte wie Hassrede nach entsprechenden Hinweisen schneller aus dem Netz entfernt, schädliche Desinformation und Kriegspropaganda weniger geteilt werden. Zudem müssen die Plattformen ihre Empfehlungsalgorithmen erstmals transparenter machen.  

Bei letzterem Punkt sind sich die Politik und der Milliardär sogar einig: Musk hat sich ebenfalls für eine größere Transparenz beim Twitter-Algorithmus ausgesprochen. Und angekündigt, der Quellcode des Dienstes sollte auf der Entwickler-Plattform GitHub im Internet veröffentlicht werden, damit jeder Einblick erhalten und Kritik üben könne.

Die Forderung, überhaupt nichts zu zensieren, hat noch nie funktioniert, weil für menschliches Zusammenleben immer Regeln ausgehandelt werden müssen.

schreibt NutzerIn haalon

In den USA, wo die Redefreiheit im ersten Verfassungszusatz festgeschrieben ist, wird freie Meinungsäußerung so großzügig interpretiert, dass Hassrede und selbst Mordaufrufe meistens nicht sanktioniert werden.

Sorgen und Warnungen vor dem Eigentümerwechsel gibt es daher viele.

„Dieser Deal ist gefährlich für unsere Demokratie“, schreibt US-Senatorin Elizabeth Warren. „Milliardäre wie Elon Musk spielen nach anderen Regeln als alle anderen.“ Der US-Publizist Eli Pariser, der einst das Konzept der „Filterblasen“ bekannt machte, findet Musks Behauptungen widersprüchlich. Er wolle die Profitabilität von Twitter freisetzen, es aber auch nicht betreiben, um Geld zu verdienen. Zudem wolle er maximale freie Meinungsäußerung, gleichzeitig aber neue Abonnementstufe einführen.

„Und seine Ideen zur freien Meinungsäußerung sind nicht nur dumm, sie sind gefährlich“, warnt auch Pariser. Er fürchtet, dass künftig wieder die lautesten Stimmen gewinnen. Vielleicht könnte der Kauf aber auch eine Debatte über Alternativen anstoßen.

Alternativen zu Twitter?

Mit Mastodon, übrigens entwickelt von einem Programmierer aus Jena, gibt es zwar eine dezentrale Alternative, die beispielsweise auch der Bundesdatenschutzbeauftrage Ulrich Kelber empfiehlt. Doch das über viele verschiedene Server verteilte Netzwerk ist deutlich unübersichtlicher und schon mit Twitter selbst können viele Menschen bis heute nichts anfangen. „Ich bin auch skeptisch, was Mastodon als „Ersatz“ für Twitter betrifft“, sagt Henning Tillmann, Co-Vorsitzender des Digitalvereins D64.

Daher wird nun auch über ganz neue Plattformen diskutiert. „Es ist an der Zeit, gesunde öffentliche Räume auch für das digitale Leben zu schaffen“, fordert beispielsweise Pariser. In physischen Gemeinschaften würden wir aus gutem Grund private und öffentliche Räume wie Parks oder Bibliotheken mischen.

Auch Jan Böhmermann regt eine „paneuropäische öffentlich-rechtliche Körperschaft zur Substituierung der kritischen Kernfunktionalität von Twitter" an.

Und auch Twitter-Mitgründer Jack Dorsey, der im Herbst die Leitung der Plattform abgegeben hatte äußerte sich ähnlich. Aus unternehmerischer Sicht sei Elon Musk zwar die einzige Lösung, der er vertraue. „Im Prinzip glaube ich nicht, dass jemand Twitter besitzen oder betreiben sollte“, sagt Dorsey. „Es soll ein öffentliches Gut auf Protokollebene sein, kein Unternehmen.“

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