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Exklusiv

Mögliches Ende der Kohle-Finanzierung: Wird Klimaschutz jetzt Schwerpunkt der EZB?

Die Zentralbank sollte nur „grüne“ Anleihen kaufen. Das schlagen fast 60 Institutionen vor. Und tatsächlich erwägt Christine Lagarde solch eine Strategie.

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Als neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) sollte Christine Lagarde aktiv gegen den Klimawandel ankämpfen und alle fossilen Vermögenswerte abstoßen. Das fordert kurz vor Beginn der Weltklimakonferenz in Madrid ein breites Bündnis von fast 60 europäischen Institutionen, NGOs und Vertretern der Zivilgesellschaft in einem Schreiben an Lagarde, das dem Tagesspiegel vorab vorliegt. „Die EZB sollte sich unverzüglich dazu verpflichten, kohlenstoffintensive Vermögenswerte schrittweise aus ihren Portfolios zu streichen“, heißt es darin. Für den Anfang fordert das Bündnis den „sofortigen Verkauf von Vermögenswerten mit Bezug zu Kohle“.

Zu den Unterzeichnern des Briefs zählen unter anderem die Nichtregierungsorganisation Finanzwende, das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der „Club of Rome“ und das Stockholm Resilience Centre. Zusätzlich haben fast 100 Experten unterschrieben.

Damit wächst der Druck auf die neue EZB-Direktorin, einen stärkeren Fokus auf Klimabelange zu legen. Laut "Financial Times" drängt Lagarde darauf, die Umwelt zu einem wesentlichen Bestandteil der Geldpolitik zu machen. Zwei Personen, die an den Diskussionen zur neuen EZB-Strategie beteiligt waren, sagten der Zeitung, dass Umweltthemen wahrscheinlich bei der ersten umfassenden Strategie-Überprüfung für das Institut seit 2003 berücksichtigt würden.

Lagarde riskiert jedoch, einen Konflikt mit anderen Zentralbankern der Eurozone zu schüren. Diese argumentieren, dass der Klimawandel eine Angelegenheit der nationalen Regierungen sein sollte. So sagte etwa Bundesbankpräsident Jens Weidmann, der auch im EZB-Rat sitzt, letzten Monat, dass er jeden Versuch, die geldpolitischen Maßnahmen der EZB zur Bekämpfung des Klimawandels umzuleiten, „sehr kritisch“ sehen würde.

Das Bündnis aus NGOs und Wissenschaftlern fordert, dass die EZB zum Beispiel ihr Anleihekaufprogramm neugestaltet. Für 20 Milliarden Euro erwirbt die EZB aktuell jeden Monat Anleihen, um ihr Inflationsziel zu erreichen. Die Unterzeichner des Schreibens werfen der EZB jedoch vor, dabei zu viele Papiere von Unternehmen zu erwerben, die Geschäfte mit kohlenstoffintensiven oder fossilen Brennstoffen machen. "Die EZB verfestigt mit ihrem Ankauf den Status Quo, der aus Klimagesichtspunkten nicht tragbar ist", sagt Gerhard Schick von der Nichtregierungsorganisation Finanzwende.

Sollte die EZB in ihrer Geldpolitik den Klimawandel berücksichtigen? Intern ist das umstritten.
Sollte die EZB in ihrer Geldpolitik den Klimawandel berücksichtigen? Intern ist das umstritten.

© dpa

Dorothea Schäfer, Finanzexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sagt: "Die Aufforderung, die EZB möge bei ihrem Anleihenkaufprogramm grüne Anleihen bevorzugen, ist klug und berechtigt." Die EZB könne dadurch das Signal senden, dass sich Klimaschutz lohne. "Diesen Hebel sollte sie nutzen." Auch Schäfer hat die Forderungen des Bündnisses deshalb unterzeichnet.

Doch längst nicht alle Ökonomen sind von dem Vorschlag begeistert. Der Leipziger Ökonom Gunther Schnabl zum Beispiel sagt, das Klima zu retten sei nicht der Job der EZB: „Klima- und Umweltschutz ist Aufgabe der Regierungen, die sich die dafür eingesetzten Mittel von den Parlamenten bewilligen lassen.“ Sollte die Zentralbank bewusst "grüne" Anleihen kaufen, gefährde das den Grundsatz der Marktneutralität. Demnach darf die EZB bei ihren Anleihekäufen einzelne Unternehmen oder Staaten nicht bevorzugen. Auch könnte das Schnabl zufolge dazu führen, dass Konzerne Greenwashing betrieben, damit die EZB ihre Anleihen kauft. „Projekten könnte ein grüner Anstrich gegeben werden, wobei die so gewonnenen billigen Kredite nicht zwingend für den Umweltschutz eingesetzt werden.“

Das Bündnis, das sich jetzt an Lagarde gewandt hat, argumentiert hingegen, die EZB solle ihren Einfluss bewusst nutzen: „Wir glauben, dass die mächtigste Finanzinstitution in Europa angesichts einer wachsenden Umweltkrise nicht nur passiv bleiben kann“, heißt es in dem Schreiben. Die Unterzeichner verweisen auf jüngste wissenschaftliche Forschungen, wonach die Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel zu Wertverlusten von bis zu 24 Billionen Dollar bei globalen finanziellen Vermögenswerten führen könnten.

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