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Wieder im Rampenlicht. Die Berliner Fashion Week dient der Branche vor allem der Selbstvergewisserung.

© Annette Riedl/dpa

Modebranche und Digitalisierung: Wie die Pandemie die Berliner Fashion Week verändert hat

In dieser Woche trifft sich die Modeszene wieder persönlich. Doch die Vertriebswege sind digitaler geworden. Die Shows bekommen eine neue Bedeutung.

Am deutlichsten zeigt die Handelsplattform für Streetwear Highsnobiety, wer für gute Laune bei der Fashion Week sorgt. Auf dem Rücken eines T-Shirts steht es in großen Buchstaben: „Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe“. Das T-Shirt gibt es für 55 Euro neben Kapuzenpullovern und einer Bomberjacke zu kaufen – limitiert und nach einem Tag fast ausverkauft.

Ohne die finanzielle Unterstützung des Senats würde es diese T-Shirts, das Modefestival von Highsnobiety „Berlin, Berlin“ und wahrscheinlich die ganze Fashion Week nicht geben. Mit 3,5 Millionen Euro unterstützt die Senatsverwaltung für Wirtschaft die Berliner Modebranche. Was bedeutet es also für eine Branche, die sich in der Pandemie zunehmend digitalisiert hat, sich zur Fashion Week wieder persönlich zu treffen?

Wo man in den vergangenen vier Tagen die Fashion Week auch besuchte, überall ging es darum, Mode in der Stadt wieder sichtbar zu machen. Und das nicht so sehr für Einkäufer und Presse, sondern im besten Fall für eine Community, die auch im vergangenen Jahr treu zu ihren Lieblingsmarken gehalten hat. Auf jeden Fall fehlt dieser Tage das klassische Ordergeschäft in der Stadt. Seit die große Messe Premium, zusammen mit der Neonyt für nachhaltige Mode, nach Frankfurt gezogen ist, um dort eine neue Fashion Week zu gründen, rücken die Konsument:innen in den Fokus der Aufmerksamkeit.

Selbstvergewisserung, dass sie so ein Event lohnt

Noch nie war Berlin dafür bekannt, dass Modeunternehmen hier die großen Geschäfte mit Einkäufern und Ladeninhabern abschlossen. Hierher kamen Designerinnen, Einkäufer und Geschäftsinhaberinnen, um Neues zu entdecken, sich auszutauschen und für die nächste Saison in Stimmung zu bringen. Nicht ganz unwichtig in einer Branche, die Positives verkaufen will. Jetzt dient die Fashion Week vor allem der Selbstvergewisserung, dass Berlin noch relevant für die Mode ist und sich so ein Event auch ohne Messen lohnt.

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Dass das Konzept aufzugehen scheint, merkt man gleich am ersten Abend bei der Eröffnung des Programms „Studio2Retail“, das die Lobbyvereinigung Fashion Council Germany initiiert hat. Rund 100 Berliner Modegeschäfte, Labels mit Shops oder Studios sind beteiligt. 14 davon wurden mit einem Preisgeld von insgesamt 81.000 Euro bedacht, um Schauen, Ausstellungen und Pop-Up-Shops zu organisieren. Der Größte wurde am Kurfürstendamm am Montagabend von der Wirtschaftssenatorin Ramona Pop eröffnet. Hier gibt es bis Samstag Mode von 19 Mitgliedern des Fashion Councils zu kaufen.

Viele Designer:innen trafen sich seit Beginn der Pandemie zum ersten Mal an einem realen Ort und nicht nur per Videoschalte. Der wichtigste Effekt dieses Abends war, sich gegenseitig versichern zu können, das letzte Jahr mehr oder weniger gut überstanden zu haben und Pläne für eine Zeit nach Corona parat zuhaben. Gerade die vielen kleinen Labels haben die Zeit genutzt, sich zum ersten Mal intensiv Gedanken über eine digitale Strategie zu machen und ihre Produkte online zu verkaufen.

Onlineshop statt Almstadtstraße

Eine der Erfolgreichsten ist in dieser Hinsicht Esther Perbandt, die schon vor der Pandemie als Kandidatin in der amerikanischen Fernsehschau „Making the Cut“ von Heidi Klum auftrat und zur zweitbesten Designerin gekürt wurde. Den ersten Lockdown nutzte Perbandt, um ihr Geschäftsmodell zu überholen. Heute stellt sie regelmäßig neue Produkte in ihren Onlineshop vor, erzählt Geschichten dazu und verkauft so ihre schwarzen Entwürfe bis in die USA. Und nicht, wie noch vor gut anderthalb Jahren, vor allem in ihrem Geschäft in der Almstadtstraße in Mitte.

Umgeben von Masken: Die Fashion Week Berlin versucht ansonsten Normalität vorzuleben.
Umgeben von Masken: Die Fashion Week Berlin versucht ansonsten Normalität vorzuleben.

© Kira Hofmann/dpa-Zentralbild/dpa

„Man muss jetzt die Aufbruchstimmung unterstützen. Das Gegeneinander in der Berliner Modebranche ist weg, viele denken jetzt im Kollektiv“, sagt Mira von der Osten, Designerin und Vorstandsmitglied des Vereins Berliner Designer. Sie weiß auch, dass man nicht langfristig mit der finanziellen Unterstützung des Senats rechnen kann: „Wir sind im Wahljahr. Aber es ist wahrscheinlich, dass viele Formate auch ohne den Senat weiter stattfinden – weil sie für die Branche funktionieren.“

Auch von der Osten hat die Zeit genutzt, um sich Gedanken über eine neue Strategie für ihr Label Cruba zu machen: „Wir haben den Vertrieb vorher hauptsächlich über unseren Laden in der Auguststraße laufen lassen. Als der zu war, mussten wir unser Onlinegeschäft ankurbeln.“

"Das direkte Geschäft ist das, was zählt"

So wie Mira von der Osten geht es vielen, die vor allem durch ihre treuen Stammkunden überleben konnten. Und auch, weil ihre Infrastruktur überschaubar war. Einige Designer haben nebenher Kostüme für Film oder Theater entworfen, neue Konzepte für große Modeunternehmen entwickelt, oder auf Shoppingkanälen wie QVC verkauft.

Bei fast allen zieht das Geschäft gerade an. Bei Leyla Piedayesh von Lala Berlin ist der Umsatz im Laufe des Jahres um 27 Prozent gestiegen. Für die Chefin eines der größten Berliner Modeunternehmen hat es sich gelohnt, ihren Partnern im Einzelhandel im vergangenen Jahr die Treue zu halten. Auch wenn es Zahlungsschwierigkeiten gab, oder weniger Ware geordert wurde. „Wir verkaufen im Moment wieder sehr gut, man merkt den Nachholbedarf“, sagt Piedayesh.

Viele andere Labels haben sich von der klassischen Struktur des Modehandels verabschiedet. Wie Designerin Marina Hoermanseder, die schon seit drei Jahren nicht mehr an den Einzelhandel verkauft und stattdessen ganz auf ihre Community in den sozialen Medien setzt: „Einkäufer haben weder meine Motive verstanden, noch meine Emotionen weitergetragen. Das direkte Geschäft ist für mich das, was zählt, weil ich als Person dafür stehe.“

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