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Rainer Baake (Grüne) war von 2014 bis 2018 Staatssekretär für Energie im Bundeswirtschaftsministerium.

© Kay Nietfeld/ dpa

„Mister Energiewende“ Rainer Baake: „Der Planet wurde geplündert“

Ex-Wirtschaftsstaatssekretär Rainer Baake verrät im Interview, wie er bis zum Sommer 2021 eine Klimaschutz-Road-Map für Deutschland vorlegen will.

Von Jakob Schlandt

Herr Baake, vor über zwei Jahren, im März 2018, haben Sie Ihren Rücktritt als grüner Staatssekretär im Wirtschaftsministerium eingereicht, das damals von CDU-Minister Peter Altmaier übernommen wurde. Wie haben Sie die Zeit seitdem verbracht?
Ich bin mit meiner Frau um die Welt gereist, in einem geländegängigen Pkw mit Zelt auf dem Dach. 2018 waren wir in Afrika, 2019 in Süd- und Nordamerika und in diesem Jahr in Australien. Dort hat uns Ende März die Coronapandemie eingeholt, wir haben den Wagen in Perth verschifft und sind am 2. April nach Deutschland zurückgeflogen. Wir hatten Glück, die große Reise ging ohnehin dem Ende entgegen.
War das eine rein private Entdeckungsfahrt?
Nicht ganz. Wir haben Filme gedreht, unter anderem für die Internationale Agentur für erneuerbare Energien, viel fotografiert, meine Frau hat zahlreiche Artikel veröffentlicht und jetzt arbeiten wir an einem dokumentarischen Buch und einem Film. Es war eine persönliche Erkundungsreise. Die afrikanische Wildnis, die Wüsten, die Grizzlybären beim Lachsfang in Alaska, die Korallenriffe vor der australischen Küste, es gibt nach wie vor Orte von sagenhafter Schönheit.

Aber es werden weniger?
Ja. Wir hätten schon unsere Augen verschließen müssen, um nicht zu sehen, welche Schäden die Menschheit angerichtet hat. Es gibt den Homo Sapiens seit etwa 250.000 Jahren auf der Erde. Aber in dem vergleichsweise winzigen Zeitraum der letzten 70 Jahren hat sich die Zahl der Menschen verdreifacht und das globale Bruttosozialprodukt verzwanzigfacht. Diese Entwicklung war alles andere als nachhaltig.

Der Planet wurde geplündert, Lebensräume zerstört und ein großes Artensterben ausgelöst. Der Energiehunger wurde vor allen durch Kohle, Öl und Erdgas gedeckt. Im Ergebnis wurde die Menschheit damit zu einer Kraft von geologischer Dimension. Wir haben das Klima auf dem Planeten verändert und zahllose Arten ausgelöscht. Und das alles während einer Generation, unserer Generation. Darüber wollen wir berichten und zeigen, was übrig geblieben ist und warum es sich lohnt, für den Erhalt zu kämpfen.

Am Freitag traf überraschend eine knappe Pressemitteilung ein, dass Sie als Gründungsdirektor in Berlin eine neue Organisation aufbauen, die Stiftung Klimaneutralität. Was hat es mit der neuen Stiftung auf sich?
Ja, wir haben am 1. Juli die Arbeit aufgenommen und unser Büro in der Friedrichstraße bezogen. Unser Name ist Programm. Wir wollen wissenschaftlich fundierte Wege zur Klimaneutralität aufzeigen. Es geht um sektorübergreifende Strategien für ein klimaneutrales Deutschland im europäischen Kontext. Dabei richten wir insbesondere den Blick auf die kommenden zwei Legislaturperioden und die Zwischenziele für 2030. Wir sind ein kleines Team von drei Personen mit einem gut ausgestatteten Budget für qualifizierte Forschung und Gutachten.

Wer finanziert die Stiftung – und wie groß sind die Sprünge, die sie machen können?
Die global tätige Climate Imperative Foundation, die sich derzeit ebenfalls erst im Aufbau befindet. Finanziert wird die Stiftung von wohlhabenden Privatpersonen, die etwas gegen den globalen Klimawandel unternehmen wollen. Gemanagt wird Climate Imperative durch Energy Innovation, eine renommierte Klima- und Politikberatung aus den USA. Wir haben als Stiftung Klimaneutralität eine finanzielle Zuwendung erhalten, die uns bestens in die Lage versetzt, die Aufgaben anzugehen, die wir uns vorgenommen haben.

Es gibt jede Menge Klimastiftungen und Umweltverbände und auch große Studien zum langfristigen Klimaschutz, zum Beispiel vom BDI, der Dena und von Acatech. Es fällt uns schwer, da eine Lücke zu erkennen, die unbedingt gefüllt gehört.
Wir haben den Anspruch bis zum Sommer 2021 eine Klimaschutz-Road-Map für Deutschland vorzulegen. Diese soll durchgerechnete Szenarien enthalten und konkrete Politikinstrumente, mit denen die Klimaziele auch tatsächlich erreicht werden. Ich habe nicht den Eindruck, dass es das schon gibt. Natürlich werden wir mit allen, die gute Arbeit geleistet und zur Debatte beitragen haben, im engen Austausch stehen. Darüber hinaus ist uns ein Dialog mit Akteuren in der Industrie, in den Gewerkschaften, den Umweltverbände und natürlich den politischen Parteien wichtig.

Ihren Rücktritt als Staatssekretär, der wohl auch einer Abberufung zuvorkam, reichten Sie ein, weil Sie mit der Energiepolitik der Koalitionsvereinbarung nicht einverstanden waren…
…mit den Vereinbarungen zur Klimapolitik, die aus meiner Sicht unzureichend waren! Das habe ich Peter Altmaier mitgeteilt, der mich daraufhin von meinen Aufgaben entbunden hat.

Und? Ist es, mehr als zwei Jahre später, so schlimm gekommen, wie Sie befürchtet haben?
Die Bundesregierung hat einiges unternommen, um den Klimaschutz voranzubringen. Aber nicht genug, um die von ihr selbst beschlossenen Ziele zu erreichen. Ihre eigenen Gutachter, Prognos für das BMWi und Öko-Institut für das BMU, haben ihr bescheinigt, dass das Klimaschutzprogramm das Ziel für 2030 deutlich verfehlen wird.

Zur Zeit versteckt die Coronakrise die Mängel beim Klimaschutz. Ohne diese Krise wäre Deutschland 2020 wahrscheinlich bei etwa 36 Prozent Minderung gegenüber dem Basisjahr 1990 gelandet. An den vier Prozentpunkten Zielverfehlung ändert sich nach den Ergebnissen der Gutachter der Bundesregierung bis 2030 nichts.

Auch die prognostizierte Minderung des Klimaschutzprogramms von 51 Prozent bis 2030 ist vier Prozentpunkte vom 55-Prozent-Ziel entfernt. Und das nur dann, wenn die Annahme, wie zum Beispiel zur Steigerung des Anteils der erneuerbaren Energien auf 65 Prozent, tatsächlich eintreffen, woran man in Anbetracht des massiven Einbruchs bei der Windenergie ernsthafte Zweifel haben muss. Nun kommt verschärfend hinzu, dass eine Anhebung des europäischen Ziels für 2030 auf 50 bis 55 Prozent…
…statt bislang 40 Prozent…
…für Deutschland eine weitere Zielverschärfung nach sich ziehen wird. Wie viel genau, hängt vom zu verhandelnden Verteilungsschlüssel der EU ab. Ich rechne mit 60 bis 65 Prozent. Das heißt, wir benötigen zusätzliche Anstrengungen.

In der ersten Pressemitteilung Ihrer Stiftung geben Sie stichpunktartig vor, wie Sie eine effiziente Klimaschutzstrategie hierarchisieren wollen. Ganz oben steht die Vermeidung von Fehlinvestitionen in fossile Technologien.
Aus gutem Grund. Schauen Sie: Vor nicht allzu langer Zeit haben Kabinettsmitglieder neue Kohlekraftwerke eingeweiht, die angeblich wegen ihres höheren Wirkungsgrades dem Klimaschutz dienten. Jetzt hat der Bundestag die gewaltige Summe von 50 Milliarden Euro beschlossen, um aus der Kohlekraft auszusteigen. Solche Fehler dürfen wir nicht wiederholen.

Investitionen in fossile Strukturen, die dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 widersprechen, müssen unterbleiben. Gebäude zum Beispiel haben eine Nutzungsdauer von 80 bis 100 Jahren. Sie müssen ab sofort so gebaut werden, dass wir sie zukünftig ohne CO2-haltige Brennstoffe heizen können. Ein weiterer Grundsatz heißt: Efficiency first. Wir werden es uns gar nicht leisten können, jede Kilowattstunde, die bislang aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas gewonnen wird, durch erneuerbare Energien zu ersetzen.

Drittens: Die erneuerbaren Energien müssen wir so schnell ausbauen, dass auch eine Elektrifizierung anderer Sektoren möglich wird. Also Strom für Wärmepumpen und Elektroautos. Viertens: Mit Strom aus erneuerbaren Energien auch Wasserstoff erzeugen, um den Industriesektor zu dekarbonisieren.  

Die untergehende Sonne hat den Himmel hinter Hochspannungsleitungen verfärbt.
Die untergehende Sonne hat den Himmel hinter Hochspannungsleitungen verfärbt.

© Jens Wolf/dpa

Klimaneutral ist nicht unbedingt erneuerbar. Was halten Sie von blauem Wasserstoff und auch an anderer Stelle der Abscheidung und Speicherung von CO2?
Im Industriesektor gibt es die sogenannten prozessbedingten Emissionen. Dabei geht es nicht um Strom, sondern um chemische Prozesse. Diese Emissionen können Sie nicht durch erneuerbare Energien ersetzen, es sei denn, Sie nutzen Wasserstoff. Was wir jetzt unbedingt verhindern müssen, sind Investitionen in zum Beispiel neue Stahlwerke mit fossiler Technik.

Können wir die dafür nötigen Wasserstoffmengen so schnell mit erneuerbaren Energien bereitstellen oder brauchen wir zeitlich befristete Übergangslösungen? Wir werden diese Frage untersuchen. Das Klimaproblem ist so ernst, dass ich es für falsch hielte, bestimmte Lösungen von vornherein kategorisch auszuschließen.
Die Frage nach einer Rückkehr in die Politik liegt nahe. Nach dem Aufbau der Agora Energiewende ab 2012 ist Ihnen 2014 dieser Schritt gelungen. Nicht wenige halten Sie in einer grünen Regierung sogar für ministrabel. Ist die Rückkehr ins politische Amt Ihr Ziel?
Sie müssen diese Frage ja stellen, Sie sind Journalist. Also: Ich bewerbe mich nicht um ein politisches Amt. Mein Anliegen ist der Klimaschutz. Die vergangenen 25 Jahre hatte ich die Möglichkeit, die Energiewende und den Klimaschutz in verschiedensten Funktionen voranzutreiben. Als Staatssekretär in zwei Landes- und drei Bundesregierungen, in einem Umweltverband, der Deutschen Umwelthilfe, und in einem Think-tank, der Agora Energiewende. Glauben Sie mir: Ich denke über vieles nach, aber nicht über politische Ämter.
Nach ihrem Rücktritt als Staatssekretär gab es viele bedauernde Worte, aber auch Häme, insbesondere aus Teilen der Union. Manchem dort sind Sie ein rotes Tuch. Auf der anderen Seite des Spektrums sind Ihnen viele Bürgerenergie-Vertreter gram. Sie polarisieren – zu stark?
Ich polarisiere nicht. Vielleicht wird meine Person von einigen polarisierend wahrgenommen, weil ich der Auffassung bin, dass man mit der Physik keine Kompromisse schließen kann. Wer konsequent für Klimaschutz eintritt, gerät in Konflikte mit denen, die mit fossilen Energien ihr Geld verdienen. Diese Konflikte sind unvermeidbar. Aber: Ich habe immer ein offenes Ohr und bin jederzeit zum Dialog bereit. Übrigens hat sich in den vergangenen zwei Jahren auch bei den historischen Kritikern einer ambitionierten Klimaschutzpolitik viel geändert.
Wie meinen Sie das?
Viele Manager in der Wirtschaft, auch in den energieintensiven Industrien, haben verstanden, dass ihre Unternehmen sich umstellen müssen. Weil sie sonst ihr Geschäft an Mitbewerber verlieren werden, die sich besser an eine neue Welt anpassen. Und auch die Finanzwirtschaft sendet immer deutlicher das Signal: Geschäftsmodelle, die eklatant den Klimaschutz missachten, werden zum Risiko, zum Gift fürs Portfolio.

Deshalb gilt für mich: Wir müssen und wir werden Wege finden, die aus der notwendigen Veränderung eine Modernisierungsstrategie machen, die zu einem ökonomischen Erfolgsmodell wird. Die Vorreiter werden profitieren. Ihnen gehören die Märkte der Zukunft.
Welches strukturelle Instrument bevorzugen Sie: Den Markt oder das Ordnungsrecht?
Ich setze auf einen intelligenten Mix von marktwirtschaftlichen Anreizen, Ordnungsrecht und finanzieller Förderung. Nehmen wir als Beispiel das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Bei entsprechend hohen CO2-Preisen im Rahmen des europäischen Emissionshandels hätte es keiner Abnahmepflicht und finanziellen Förderung der erneuerbaren Energien bedurft. Aber CO2-Preise, die den Schaden von Treibhausgasen realistisch abbilden, waren bislang politisch außer Reichweite. Deshalb war es klug, die erneuerbaren Energien mit dem EEG zu fördern. Heute ermöglichen sie CO2-Einsparungen zu günstigen Preisen.
Was hat Sie auf Ihrer Reise am meisten beeindruckt?
Ein Höhepunkt waren sicher die tropischen Korallenriffe. Ihre beeindruckende Schönheit wird bald vergehen. Sie sind dem Tode geweiht, weil sie die Erderwärmung nicht überleben werden. Selbst wenn es gelingen sollte, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu beschränken, sagt der Weltklimarat ein Massensterben um 2040 voraus. Wenn meine Enkelkinder erwachsen sind und reisen, werden sie fast keine lebendigen Korallenriffe mehr vorfinden. Wir müssen dafür sorgen, dass dieses Schicksal nicht viele weitere Ökosysteme trifft.

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