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Zurückgetreten: Markus Braun.

© Christof Stache / AFP

Update

Milliardenschwerer Bilanzskandal: Wirecard-Chef Markus Braun tritt zurück

Der Vorstandschef des Dax-Konzerns Wirecard, Markus Braun, tritt mit sofortiger Wirkung zurück. In der Bilanz-Affäre geht es für das Unternehmen nun ums Ganze.

Von Carla Neuhaus

Wirecard ist sein Lebenswerk. Als Markus Braun 2002 zu dem Zahlungsdienstleister kam, war das eine kleine Firma aus der Nähe von München, die kaum jemand kannte. Doch der gebürtige Österreicher hatte eine Vision, machte aus dem Start-up einen internationalen Dax-Konzern. Nun muss der ohne seinen Vordenker auskommen.

Denn der Bilanzskandal kostet Braun den Job. Er sei mit sofortiger Wirkung zurückgetreten, teilte das Unternehmen am Freitagmittag mit. "Das Vertrauen des Kapitalmarktes in das von mir seit 18 Jahren geführte Unternehmen ist tief erschüttert", sagt Braun. "Mit meiner Entscheidung respektiere ich, dass die Verantwortung für alle Geschäftsvorgänge beim CEO liegt."

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Braun zieht damit die Konsequenzen aus der ungeklärten Affäre: Prüfer verweigern dem Unternehmen ihr Testat für den Jahresabschluss, weil für Kontoguthaben in Höhe von 1,9 Milliarden Euro die Belege fehlen. Mit anderen Worten: Da liegt Geld auf dem Konto und keiner weiß so recht, wo es herkommt. Die Summe, um die es dabei geht, ist so groß, dass sie für ein Viertel der Bilanzsumme des Unternehmens steht.

Erst in der Nacht zu Freitag hatte Braun sich dazu in einem Video geäußert, das der Konzern bei Youtube hochgeladen hat. Ganz nüchtern las er dabei die Sätze ab: „Es kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Wirecard AG in einem Betrugsfall erheblichen Ausmaßes zum Geschädigten geworden ist.“ 

Die Vermutung, dass das Zahlenwerk von Wirecard manipuliert worden ist, gibt es schon länger. Die Financial Times hatte mehrfach über dubiose Geschäfte vor allem bei Tochterfirmen in Asien berichtet. Braun hatte das allerdings stets zurückgewiesen.

Und auch jetzt ist weiterhin unklar, wer die Schuld an der Misere trägt: Wirecard, ein Treuhänder oder Banken im Ausland. Wirecard selbst hat angekündigt, Anzeige gegen Unbekannt zu stellen.

Auch die Staatsanwaltschaft ermittelt

Gleichzeitig nimmt aber auch die Staatsanwaltschaft München das Unternehmen weiter unter die Lupe. "Wir ermitteln insgesamt ergebnisoffen im gesamten Sachverhalt Wirecard, einschließlich der aktuellen Ereignisse", sagte ein Sprecherin der Staatsanwaltschaft am Freitag.

Für das Unternehmen ist der Bilanzskandal in jedem Fall schon jetzt eine Katastrophe: Weil es bis Freitag keinen Jahresabschluss vorlegen konnte, können andere Banken dem Finanzdienstleister theoretisch nun Kredite in Höhe von zwei Milliarden Euro kündigen. Der Konzern wäre damit am Ende. Am Freitagnachmittag hieß es immerhin, das Unternehmen befinde sich "in konstruktiven Gesprächen mit seinen kreditgebenden Banken".

"Vom Ehrgeiz besessen": Ein Porträt des zurückgetretenen Wirecard-Chefs lesen Sie hier.

Doch selbst wenn die anderen Institute dem Konkurrenten beistehen, kommt der Druck noch von anderer Seite. Klein- wie Großanleger denken über Schadenersatzklagen nach. Fondsgesellschaften trennen sich von den Aktien des Unternehmens. Und Spekulanten, die schon länger auf einen Kursverfall bei Wirecard gewettet haben, machen Kasse. 

Vermutungen von Manipulationen gibt es schon länger

Der Aktienkurs ist deshalb dramatisch eingebrochen. Um 65 Prozent gab er am Donnerstag nach. Einen solch starken Kurseinbruch binnen eines Tages hat es in der Vergangenheit einzig bei der Krisenbank HRE gegeben. Am Freitag dann rutschte der Kurs von Wirecard um weitere 35 Prozent ab. Auch der Rücktritt des Chefs besänftige die Anleger kaum. Am Nachmittag stand die Aktie noch immer deutlich im Minus.

Denn auch wenn der Abgang von Braun zuletzt unausweichlich geworden ist, so steht doch kaum ein anderer für das Unternehmen wie er. Braun hat früh erkannt, dass die Menschen einmal vieles im Internet einkaufen werden. Heute klingt das banal – als Braun kurz nach dem Platzen der Dotcom-Blase zu Wirecard kam, war das Netz hingegen noch weitgehend Neuland. Einzig für Glücksspiel und Pornos zahlten Menschen im Netz. Und genau dort war Wirecard damals aktiv.

 Rechnungsprüfer haben jetzt bestätigt, dass Enthüllungen um nicht nachvollziehbare Bilanzen zutreffend sind.
Rechnungsprüfer haben jetzt bestätigt, dass Enthüllungen um nicht nachvollziehbare Bilanzen zutreffend sind.

© imago/Sven Simon

Mit Unterstützung von Braun konnte das Unternehmen dieses Schmuddelimage loswerden. Er kaufte andere Firmen dazu – darunter auch ein Callcenter-Anbieter, der damals an der Börse notiert war. Durch die Übernahme wurde aus Wirecard ein Aktienkonzern. Und zwar einer, der seine Anleger lange glücklich machte.

Bis 2018 stieg der Börsenwert und damit auch der Aktienkurs des Unternehmens so stark an, dass den Dax aufstieg: In der ersten Börsenliga notiert Wirecard seitdem neben Konzernen wie Siemens, der Deutschen Bank oder Bayer. Ob sich Wirecard nach dem rapiden Kursverlust weiterhin im Dax halten kann, ist fraglich.

Interimschef wird James H. Freis 

Die Leitung von Wirecard übernimmt nun vorläufig James H. Freis. Ihn hat Braun selbst erst in dem Youtube-Video von Donnerstagnacht als neues Vorstandsmitglied begrüßt. Freis hätte eigentlich erst zum 1. Juli bei dem Unternehmen aus der Nähe von München anfangen und als Compliance-Vorstand für Ordnung sorgen sollen.

Nun übernimmt er gleich die Leitung des gesamten Konzerns. Mit Jan Marsalek hatte zuvor bereits ein anderes Vorstandsmitglied gehen müssen.

Bis 2012 im US-Finanzministerium für Geldwäsche-Ermittlung zuständig

Der neue Interimschef Freis ist Amerikaner. Bis 2012 saß er im US-Finanzministerium und war dort Chef des "Financial Crimes Enforcement Networks", das Fälle von Geldwäsche aufdecken und verhindern soll.

Wirecard-Aufsichtsratschef Thomas Eichelmann bezeichnet Freis als „international anerkannten Compliance-Experten“. Er kennt den Juristen aus der gemeinsamen Zeit bei der Deutschen Börse, die Freis 2014 als Chief Compliance Officer einstellte. Auch die Börse war damals unter Druck: Wegen Sanktionsverstößen bei Iran-Geschäften musste sie eine Millionenstrafe zahlen.

Mit heiklen Fällen kennt Freis sich also aus. Wirecard könnte das zugute kommen.

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